Den Mut finden, weiterzugehen

Entwicklungshelfer, UNO-Researcher und Start-Up Entrepreneur: Das Ausprobieren hat ihm dabei geholfen, seinen Weg zu finden. "Für mich war es immer am wichtigsten, viel dazuzulernen und das was ich tue, gut zu machen", so Gebhard Ottacher, Alumnus der Universität Wien und COO von Teach For Austria.

uni:view: Sie haben an der Universität Wien Wirtschaftsgeschichte studiert. Was waren die Gründe für die Studienwahl?
Gebhard Ottacher: Ich wollte zunächst etwas studieren, wofür ich echte Leidenschaft hatte. Das war bei mir die Geschichte, insbesondere die Neuere Europäische Geschichte. Ab Mitte meines Studiums hat sich mein Interesse mehr in Richtung Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Für mich ist die Kenntnis der Geschichte auch heute noch der Schlüssel für das Verständnis der Gegenwart und ich bin froh, dass ich mich über mehrere Jahre so intensiv damit auseinandersetzen konnte.

uni:view: Was konnten Sie aus Ihrem Studium für sich mitnehmen?
Ottacher: Gut zu schreiben ist eine der Basiskompetenzen, die man in vielen Berufen benötigt. Ich hab durch mein Geschichtestudium gelernt, aus breit angelegten Textrecherchen verständliche und lesbare Zusammenfassungen zu synthetisieren.

uni:view: Welche Türen hat Ihnen das Studium geöffnet?

Ottacher: Ich habe mehrmals das Leistungsstipendium der Universität Wien erhalten, was mir u.a. einen längeren USA-Aufenthalt ermöglicht hat. Damals lernte ich erstmals den Campus von MIT und Harvard in Cambridge/US kennen, wo ich später meinen Master absolviert habe. Mein Studium führte mich auch für ein Erasmusjahr nach Perugia, wo ich viele Impulse von anderen Fachrichtungen bekam, die mir halfen, meinen Weg zu finden.









In der Reihe "AbsolventInnenbilder"  stellen wir Ihnen in Kooperation mit univie, dem Alumni-Magazin der Universität Wien, Alumni und ihre Karrieren vor.



uni:view:
Sie sind Chief Operations Officer von Teach For Austria. Arbeiten Sie in Ihrem Traumjob?

Ottacher: Ich habe meinen individuellen "Traumjob" gefunden – eigentlich kein Job, sondern eine "Aufgabe". Eine Aufgabe, die mich immer wieder aufs Neue fordert, wo ich nie auslerne und gleichzeitig die Wirkung meiner Arbeit jeden Tag sehen kann. Ich arbeite bei der Initiative "Teach For Austria", die sich dafür einsetzt, dass der Bildungserfolg eines Kindes in Österreich nicht von Bildung und Einkommen seiner/ihrer Eltern abhängt. Dafür bringen wir fachlich und persönlich herausragende HochschulabsolventInnen für mindestens zwei Jahre als vollwertige Lehrkräfte an die herausforderndsten Schulen Österreichs.

Ich war immer Generalist, habe nie auf einen Beruf in einer spezifischen Industrie bzw. Funktion hingearbeitet. Für mich war es immer am wichtigsten, viel dazuzulernen und das was ich tue, gut zu machen. In meiner derzeitigen Rolle als COO kann ich mein Wissen, meine Erfahrungen und meine Fähigkeiten sehr gut kombinieren und für eine wichtige und bedeutsame Sache einsetzen.

uni:view: Was war die größte Herausforderung auf Ihrem bisherigen Weg?
Ottacher: Die größte Herausforderung ist bestimmt, den eigenen Weg zu finden. Dazu hilft vor allem das Ausprobieren. Ich habe einiges ausprobiert, u.a. war ich als Entwicklungshelfer, Strategieberater, Researcher bei der UNO in Genf, Start-Up Entrepreneur und Beteiligungsmanager tätig. Ich habe versucht, mich auf diese unterschiedlichen Herausforderungen voll einzulassen und gleichzeitig ständig zu reflektieren, wie sich diese Jobs anfühlen. Das hat mir geholfen, meinen Weg und meine Aufgabe zu finden. Das wichtigste dabei ist meiner Meinung nach, sich nicht mit "good enough" zufriedenzugeben und den Mut aufzubringen, weiterzugehen, wenn ein Job nicht "passt".

uni:view: Wenn Sie an Ihre Zeit an der Universität Wien zurückdenken, gibt es prägende Erinnerungen?
Ottacher: Prägend waren die Forschungsaufenthalte in Siebenbürgen mit dem Volkskundler Dr. Grieshofer und dem Soziologen Prof. Girtler. Bei den deutschsprachigen Minderheiten habe ich sehr viel über die Bedeutung der Begriffe "Identität", "Kultur", "Zusammenleben" und "Toleranz" gelernt. Diese Erfahrung hat mir später in den unterschiedlichsten Bereichen geholfen.

uni:view: Haben Sie einen konkreten Ort im Kopf, wenn Sie an die Universität Wien denken?
Ottacher: Der große Lesesaal hat mich immer fasziniert. Die Lernatmosphäre dort hat mich oft angesteckt, mich ziellos über Stunden in den unterschiedlichsten Büchern zu verlieren. Noch heute gehe ich gelegentlich dorthin, um Nachschau zu halten, ob auch alles "beim Alten" geblieben ist.

uni:view: Was geben Sie einem Studienanfänger Ihres Fachs auf den Weg?
Ottacher: Möglichst viel auszuprobieren, auf jeden Fall ins Ausland zu gehen und sich nach spätestens drei Semestern zu fragen, ob ich mit Geschichte nach dem Studium mein Geld verdienen will. Falls ja, schnell einen Mentor in dem Bereich suchen, immer mehr in einen konkreten vertiefen und ein eigenes "Portfolio" aufbauen. Falls nein, ein zweites inhaltliches/fachliches Standbein aufbauen (entweder durch Arbeit nebenbei, weiteres Studium oder Übernahme von Verantwortung in Studentenorganisationen).

uni:view: Was raten Sie jungen AbsolventInnen, die sich überlegen wo es beruflich hingehen soll?

Ottacher: Wichtig ist es, gerade am Anfang viel zu lernen. Das passiert vor allem, wenn man sich Herausforderungen stellt, die zunächst recht groß erscheinen. In Organisationen, wo man die Möglichkeit hat, Fehler zu machen und diese auch gemeinsam zu reflektieren, lernt man in meiner Erfahrung am meisten.

Heutzutage erwartet kein Dienstgeber, dass Berufsanfänger ewig dableiben. Deshalb ist es auch in Ordnung nach zwei Jahren zu wechseln, insbesondere, wenn die Lernkurve abflacht, die Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt sind oder es einen in eine andere Branche zieht. Deshalb sollte man sich die oft angebotenen "Traineeprogramme" sehr genau ansehen – viele davon drohen Leuten, die nach zwei Jahren wechseln wollen, mit der Verrechnung von exorbitanten "Ausbildungskosten".

MentorInnen, die einem selbst zwei Schritte voraus sind, können bei der Reflexion von Berufsentscheidungen sehr hilfreich sein. Wie findet man sie? Einfach fragen. Leute helfen gerne, wenn sie können. Wer bereit ist, Verantwortung anzunehmen, der lernt in meiner Erfahrung am schnellsten und kommt auch beruflich am schnellsten voran. Der heilige Gral des Berufslebens ist aus meiner Sicht deshalb auch das Finden des Bereichs, der für mich persönlich am besten passt – wo ich gerne wachsende Verantwortung übernehme und das nicht als Belastung empfinde.

uni:view: Ihre Pläne für die Zukunft?
Ottacher: Ich möchte beitragen, das österreichische Bildungssystem fairer zu machen. Ich möchte denen eine Stimme geben, die keine Stimme haben, damit in 25 Jahren jedes Kind in Österreich Zugang zu exzellenter Bildung hat.


Gebhard Ottacher hat an der Universität Wien, der Universität Perugia und der Wirtschaftsuniversität Wien Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Wirtschaft sowie Marketing studiert und war Präsident der AIESEC – der größten internationalen Studentenorganisation – Wien. Er war Marketingleiter in einem Entwicklungsprojekt in Nicaragua. Anschließend hat er bei einem führenden Strategieberatungsunternehmen die internationale Projektarbeit geleitet. 2008 hat er den Master of Public Administration (MPA) Programms an der Harvard University in Leadership Studies und Strategic Management abgeschlossen. Er war außerdem Researcher bei der UNO in Genf und war als Investment Manager sowie als Gastlektor für Strategie und Innovation an der Universität Erlangen/Nürnberg sowie HHL Leipzig tätig.