Das Plagiat: Ein strukturbedingter Vertrauensbruch?

Aktuelle Plagiatsfälle zeigen es: Auch in der Wissenschaft wird betrogen und gefälscht. Oft sind es Einzelpersonen, die in solchen Fällen im Kreuzfeuer der Kritik stehen. Im Interview mit "uni:view" spricht Ulrike Felt, Vorständin des Instituts für Wissenschaftsforschung, nun über die Hintergründe – u.a. jene Strukturen, die die Zunahme von Plagiaten begünstigen, sowie den schmalen Grat zwischen "gerade noch" korrektem und unzulässigem Handeln.

uni:view: Welche Normen und Werte zeichnen den Wissenschaftsbetrieb aus?
Ulrike Felt: Wissenschaft baut im Grunde auf drei Gruppen von Werten und Normen auf. Erstens geht es um die Art und Weise, wie Wissen erzeugt wird: Was gilt als neues Wissen? Welche Methoden sind zulässig, und wie kann man neues Wissen systematisch kritisch hinterfragen? Zweitens spielt das Verhalten in Bezug auf die Objekte und Subjekte der Forschung eine Rolle: Wie geht man mit Menschen um, über die geforscht wird? Was darf man mit Versuchstieren tun? Und drittens stellt sich die Frage nach den Verhaltensweisen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft: Wie wird mit geistigem Eigentum anderer WissenschafterInnen umgegangen? Was bedeutet es beispielswiese, KoautorIn zu sein, und wie sehen die Belohnungs- und Anerkennungsmechanismen aus?

Diese Werte und Normen waren bis vor wenigen Jahren immer nur implizit in der Wissenschaftsgemeinschaft vorhanden. Auch heute sind nur wenige Punkte in den Kodizes zur "guten wissenschaftlichen Praxis" explizit verankert. Weiters unterliegen sie einem stetigen Wandel. Es ist daher wichtig, sich ihrer immer wieder bewusst zu werden. Der Wissenschaftsbetrieb baut auf dem Vertrauen auf, dass die Mitglieder diese Werte und Normen durch Sozialisation internalisiert haben und sich weitgehend daran halten.

uni:view: Wie verletzen Plagiate diese? Warum passiert diese Form von Betrug?
Felt: Bei Plagiaten liegt ein offensichtlicher Vertrauensbruch vor. Es werden die Vorleistungen anderer WissenschafterInnen nicht entsprechend gewürdigt. Die Leistung, für die man Anerkennung erhält, wurde nicht selbst erbracht – und das Gebot der Neuheit somit nicht erfüllt. Oft ist diese Form des Betrugs mit der Feststellung gekoppelt, dass die kritischen Hinterfragungsmechanismen versagt haben. Das erfüllt das Wissenschaftssystem mit besonderer Unruhe. Die Gründe für Plagiate sind vielfältig. Das massive Auftreten hat aber vor allem mit Veränderungen im Wissenschaftssystem, aber auch im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu tun.

uni:view: Welche Strukturen begünstigen Plagiate?
Felt: Die vier wesentlichen Gründe für die Zunahme von Plagiaten sind: die fehlende Sozialisation junger ForscherInnen vor allem in den Massenfächern, wodurch es zu keiner Verankerung von Wertvorstellungen kommt; der wachsende Druck auf ForscherInnen besonders in entscheidenden Phasen ihrer Karriere; vereinfachte Möglichkeiten durch elektronischen Zugang zu Texten und Daten zu gelangen und schließlich die Gleichsetzung eines akademischen Grades mit Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs.

uni:view: Warum ist es schwierig, eine Grenze zwischen "noch korrektem" Arbeiten und Plagiieren zu ziehen?
Felt: Werte und Normen verschieben sich und die Grenze zwischen gerade noch korrektem Arbeiten und unzulässigem Handeln in der Forschung ist manchmal eine sehr schmale. In den Sozial- und Geisteswissenschaften etwa ist das Arbeiten mit Texten anderer WissenschafterInnen zentral, wobei sicherlich bisweilen auch Ideen unbewusst aufgenommen und daher auch nicht zitiert werden. Den Ausschlag, ob dies als Plagiat einzuschätzen ist oder nicht, gibt dann oft die Dichte solcher Vorkommnisse. Aber auch wie nahe man einer Idee bleibt – ob sie als Auslöser für etwas Neues diente oder weitgehend übernommen wurde.

uni:view: Wird "Betrug" in der Wissenschaft auf andere Art und Weise diskutiert/beurteilt als in anderen Bereichen der Gesellschaft?
Felt: Ja und nein. Ja, weil Wissenschaft sich in der heutigen Gesellschaft einen Sonderstatus erworben hat. Sie ist die Lieferantin von "besserem" Wissen, welches maßgeblich die Ausrichtung politischer Entscheidungen prägt und Auswirkungen auf unsere Verhaltensweisen sowie die Selbstwahrnehmungen von Menschen hat. Dabei wird Wissenschaft auch häufig als "neutral" und "über den Dingen stehend" porträtiert, was mit gewissen Erwartungshaltungen einhergeht. Wissenschaft wird im öffentlichen Raum als privilegierter Bereich gesehen, dem viel Freiraum zugestanden wird. Daher fällt die öffentliche Reaktion auf Betrug sehr emotional aus. Nein hingegen, weil immer wieder auch Stimmen laut werden, die darauf verweisen, dass sich Wissenschaft immer mehr an andere Bereiche unserer Gesellschaft angleicht – etwa durch ihre Ökonomisierung. Zu erwarten sind daher ähnliche Probleme wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

uni:view: Wie soll mit einzelnen Plagiatsfällen umgegangen werden? Braucht es eine bessere Aufarbeitung?
Felt: Lange Zeit haben wissenschaftliche Institutionen zu solchen Vorfällen geschwiegen – es hätte am eigenen Image gekratzt. In zahlreichen Betrugsfällen wurden WissenschafterInnen einfach "weggelobt" und konnten in der nächsten Institution weiter machen wie bisher. Diejenigen, die solche Fälle aufzeigten, hatten das Risiko, Schaden für die eigene Karriere zu erleiden. Dies hat sich im letzten Jahrzehnt geändert. Es wird vielmehr darüber gesprochen, wenngleich das oft zu voyeuristisch abläuft. Es wird zu einer Hexenjagd, die ich für die Problematik eher unangemessen halte. Wichtiger ist es zu analysieren, durch welche Strukturen diese Verhaltensformen möglich gemacht wurden.

uni:view: Mit welchen (weiteren) Aspekten dieses Thema setzen Sie sich am Institut für Wissenschaftsforschung auseinander?
Felt: Wir wählen zweierlei Zugänge zu dieser Fragestellung: Zum einen werden konkrete Betrugsfälle im Detail aufgearbeitet. Dabei ist es zentral, sich von der Fixiertheit auf den Betrüger oder die Betrügerin zu lösen und in erster Linie auf die strukturellen Bedingungen und die darin eingebetteten Werte zu schauen. Zum anderen sehen wir uns das heutige Leben und Arbeiten in der Wissenschaft an. Dabei wird deutlich, dass solche Grenzüberschreitungen oft lange unsichtbar sind – weil sie entsprechend klein bleiben und ein System dafür blind geworden ist. Es geht uns nicht darum, Dinge anzuprangern, sondern einen Beitrag zum Nachdenken über die Veränderungen des Systems zu leisten und Räume zu schaffen, in denen über die Probleme des wissenschaftlichen Arbeitens reflektiert werden kann. (dh)

Univ.-Prof. Dr. Ulrike Felt ist Vorständin des Instituts für Wissenschaftsforschung.