COP26: Klimaziele ohne Energiereduktion nicht erreichbar
| 05. November 2021Seit 31. Oktober 2021 findet im schottischen Glasgow die 26. Klimakonferenz statt. In diesem Rahmen sollte der Weg zum 1,5 Grad-Limit mit weitreichenden Maßnahmen konkretisiert werden. Die Politikwissenschafter*innen Alina Brad und Ulrich Brand berichten in ihrem Gastbeitrag über die Herausforderungen der Klimakonferenz.
Ein vorrangiges Problem: Auf diesen internationalen Konferenzen zum Klimaschutz wird lediglich die "Rahmenkonvention" verhandelt – das bedeutet völkerrechtlich, dass Ziele festgelegt werden, während die Umsetzung den Nationalstaaten obliegt.
Neben Kyoto 1997 wurde das Verhandlungsergebnis von Paris 2015 als Meilenstein gefeiert: Vor sechs Jahren einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf das Ziel, die durchschnittliche globale Erderhitzung seit Beginn der Industrialisierung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad zu halten und die globalen Emissionen innerhalb des Jahrhunderts auf Netto-Null zu senken.
COP in Glasgow dämpft die Erwartungen
Nach den Jahren der Blockade in der Klimadiplomatie führte Paris zu einem vorsichtigen Optimismus, die prognostizierte Katastrophe könnte noch verhindert werden. Sechs Jahre später rückt das 1,5-Grad-Limit immer mehr in die Ferne. Das Ziel der COP26 bleibt angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise überschaubar: Man trifft sich, um das bereits verhandelte, bisher aber nur empfohlene 1,5-Grad-Limit zur Pflicht zu machen.
Dieses Limit ist ohne die Netto-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf null zu bringen, nicht einhaltbar. Besonders interessant: Mehr als die Hälfte der Staaten, die das Pariser-Abkommen ratifiziert haben, haben sich in nationalen Abkommen selbst Klimaneutralität bis spätestens Mitte des Jahrhunderts auferlegt.
Im Fachbereich Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien werden empirische und theoretische Forschungen insbesondere zu den Themen der Steuerung und Krise der liberalen Globalisierung, internationale Umwelt- und Ressourcenpolitik, sozial-ökologische Transformationsprozesse und imperialer Lebensweise betrieben.
Maßnahmen zu wenig, um Klimakrise abzuwenden
Während tausende Regierungsdelegierte in Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen intensiv verhandeln, bestreiken Aktivist*innen vor den Toren der Konferenz das unzureichende Ausmaß der Verhandlungen. Denn die Zusagen zum 1,5-Grad-Limit spiegeln sich in den konkreten Plänen der jeweiligen Länder zu Emissionssenkung nicht wieder. Gambia ist übrigens das einzige Land mit Klimaschutzplänen, mit denen das 1,5 Grad Limit erreicht werden kann.
Rechnet man die Emissionssenkungsziele aller Staaten zusammen, wie im aktuellen UNEP Bericht, steuern wir sogar auf eine globale Erhitzung von etwa 2,7 Grad Celsius zu. Eines steht schon jetzt fest: Die Staaten werden sich nicht bereit erklären, die wirtschaftlichen und politischen Schritte zu setzen, um eine radikale Senkung der Emissionen vorzunehmen, die für das Erreichen des 1,5-Grad-Limits notwendig sind. Bereits im Vorfeld des Gipfels twitterte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass es um das Bestreben gehe "nahe am 1,5-Grad-Ziel" zu sein.
Wer blockiert Klimaschutz am stärksten?
Ein anderes wichtiges Thema in Glasgow neben den nationalen Klimastrategien: Die Industrieländer haben ab 2020 eine Finanzierung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt, um ärmeren Ländern zu helfen, Maßnahmen für Klimaschutz und Anpassungen an die Klimakrise umzusetzen. Auf die 100 Milliarden warten betroffene Länder meist vergeblich und oft ist unklar, ob es sich wirklich um zusätzliches Geld handelt oder nur bereits geplante Budgets umgeschichtet werden. Die Klimafinanzierung wären ein vielversprechender erster Schritt zu einem weiteren Dialog über Zeitpläne und Fahrpläne für die dringend benötigte, weltweite Dekarbonisierung.
Die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Länder werden versuchen, das 1,5-Grad-Limit als verbindlich auszuhandeln. Dabei ist davon auszugehen, dass trotz der Unterstützung Großbritanniens und der EU dieses Ziel auf Widerstand stoßen wird. Denn bereits im Vorfeld des Gipfels haben 24 Staaten, u.a. auch China und Indien, eine Erklärung abgegeben, wo sie eine Verschiebung des Klimaziels von deutlich unter zwei Grad auf 1,5-Grad ablehnen.
CO2-Kompensation als Hauptproblem
Auf der Klimakonferenz wird es auch primär um die Festlegung von Regeln für die Kohlenstoffmärkte gehen. Der Handel mit CO2-Zertifikaten erlaubt es Industrieländern, Emissionsreduktionen in andere Länder auszulagern und diese Gutschriften auf die eigenen Ziele zur Emissionssenkung anzurechnen. Eine Einigung soll in der Frage erzielt werden, ob das verkaufende oder das zahlende Land die Reduktion in seiner CO2-Billanz abbuchen kann. Das soll auch eine doppelte Zählung verhindern.
CO2-Kompensation wird beispielsweise in Form von Aufforstung umgesetzt. Menschen im Globalen Süden werden oft enteignet, um Bäume zu pflanzen. Es gibt aber noch ein Problem: Durch Dürre und Monokulturen sterben Bäume oft, bevor sie CO2 überhaupt ausreichend kompensieren können. (© Joachim Klug/Pixabay)
Camila Moreno von der Humboldt-Universität Berlin hat an den letzten vierzehn Vertragsstaatenkonferenzen teilgenommen, häufig als Mitglied der brasilianischen Delegation. Sie hat den Begriff der "Kohlenstoff-Metrik" in die Diskussion eingeführt. Durch den CO2-Handel wird die Krise zunehmend zur Summe quantitativer Zahlen. Das heißt, es werden konkrete ökologische Probleme und ihre Ursachen auf Abstraktes reduziert.
Der Fakt, dass Länder des globalen Nordens Hauptverursacher der Klimakrise und somit hauptverantwortlich für die Auswirkungen der Klimakrise in Ländern des Globalen Südens sind, rückt somit in den Hintergrund. Beispielsweise ist eine Folge von CO2-Kompensation Landenteignung, die aufgrund von Aufforstungsprojekten stattfindet. Laut Moreno muss folgende Frage gestellt werden: Leidet die lokale Bevölkerung des Globalen Südens nicht noch stärker unter Greenwashing-Maßnahmen?
Kein Klimaschutz ohne Sanktionen
In Glasgow wird die britische Ratspräsidentschaft versuchen sicherzustellen, dass Fortschritte bei den Emissionssenkungen erzielt werden, um das 1,5-Grad-Limit zu halten. Dabei sollen auch andere Bereiche, wie der Ausstieg aus der Kohle, die Verringerung des Methanausstoßes, die Abkehr von fossilen Brennstoffen im Verkehrssektor, besprochen werden. Allerdings hat die Forschung zu den Klimaverhandlungen gezeigt, dass die Umsetzung auf der rechtlichen Seite an den fehlenden Sanktionsmechanismen hakt – was oft an den dominanten, nationalen Interessen liegt.
Die Klimarahmenkonvention sowie die Treffen im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenzen sind wichtige Zusammenkünfte, auf denen die Regierungen dieser Welt mit dem epochalen Problem der Klimakrise umzugehen versuchen. Währenddessen geht die Dynamik der globalen Energieversorgung in eine andere Richtung.
Energiereduktion als Schlüssel zur Dekarbonisierung
Wir erleben zwar in der EU – je nach Mitgliedsstaat – eine mehr oder weniger ambitionierte Förderung erneuerbarer Energien. Doch weder hier noch anderswo findet ein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen statt, der schnell genug ist, um die Klimaziele einzuhalten. Ein neues Konfliktfeld wird jüngst wiedereröffnet und wohl auch in Glasgow eine Rolle spielen, indem die Atomenergie als klimaneutral präsentiert wird.
In den offiziellen Klimaverhandlungen wird schließlich ein Aspekt ausgespart, ohne den eine weitreichende Klimapolitik nicht funktioniert: Die Reduktion des Energieverbrauchs. Es bedarf einer kollektiv vereinbarten Selbst-Begrenzung. Diese muss Ungleichheitsfragen berücksichtigen, aber eben auch stärker in den Blick nehmen, was Obergrenzen von Konsum sind, welcher materielle Reichtum akzeptabel ist und welche Branchen – etwa die Automobilindustrie – systematisch und sozial gerecht rückgebaut werden müssen.
Auch gesellschaftliche Orientierungen wie jene des immer weiter zunehmenden Wirtschaftswachstums gilt es zu hinterfragen. Das wird mit erheblichen Interessenskonflikten einher gehen. Staatliche und internationale Politik sind hier gefragt, im Lichte der sich zuspitzenden Klimakrise zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen und die Transformation öko-sozial zu gestalten.
Über die Autor*innen:
Alina Brad forscht schwerpunktmäßig zu Internationaler Umwelt- und Ressourcenpolitik, Politischer Ökologie, Politics of Scale sowie sozial-ökologischen Konflikten, dabei liegt der regionale Schwerpunkt auf Südostasien.
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik und Leiter des Forschungsverbunds Lateinamerika. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Internationale Politik und Krise der Globalisierung, internationale Klima-, Umwelt- und Ressourcenpolitik, imperiale Lebensweise, sozial-ökologischer Umbau sowie Lateinamerika.
Beide Wissenschafter*innen forschen und lehren im Fachbereich Internationale Politk am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien.