Chemie ohne Verschwendung, ganz wie in der Natur – geht das?

Nuno Maulide untersucht, was uns täglich begleitet: die hocheffiziente chemische Maschinerie der Natur mit ihren vielfältigen Reaktionen. Neue, abfallfreie Transformationen, die kein Atom vergeuden, ermöglichen es seit kurzem, einen Teil der "idealen Chemie" der Natur im Labor zu imitieren.

uni:view: Können Sie als Chemiker von der Natur lernen?
Nuno Maulide: Ich würde sagen, die Natur ist die beste organische Chemikerin. In unserem Körper beispielsweise finden jede Sekunde Milliarden chemischer Reaktionen statt – ohne dass viel Energie verschwendet wird. Dabei schafft die Natur eigentlich unmögliche Reaktionen. In der Chemie versuchen wir, das zu imitieren. Die Grundidee ist, mehrere Chemikalien miteinander zu verknüpfen, ohne dass ein Abfallprodukt entsteht. Wobei die Konkurrenz mit der Natur schon ein wenig unfair ist, immerhin hatte sie Milliarden Jahre lang Zeit, sich zu verbessern. (lacht)

uni:view: Was wird in der Chemie verschwendet?
Maulide:
In der Chemie entstehen manchmal sehr viele Abfallprodukte. Beispielsweise finden bei organischen Reaktionen Änderungen in der sogenannten Oxidationsstufe statt – Oxidationen (Reaktionen, bei denen ein Atom, Ion oder Molekül Elektronen abgibt) erhöhen die Oxidationsstufe, während Reduktionen (Reaktionen, bei denen Elektronen von einem Atom, Ion oder einem Molekül aufgenommen werden) sie verringern. Für diese Reaktionen benötigen wir in der Chemie Oxidations- bzw. Reduktionsmittel, die dabei in der Tat zahlreiche Nebenprodukte produzieren.

uni:view: Wieso ist das schlimm?
Maulide:
Nehmen wir z.B. die Wittig-Reaktion, eine organisch-chemische Reaktion, die der Knüpfung von Doppelbindungen zwischen Kohlenstoffatomen dient. Der deutsche Chemiker Georg Wittig hat dafür 1979 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Die Wittig-Reaktion ist für die obengennante Knüpfung eine unschlagbare Methode und funktioniert fast immer. Dennoch gibt es dabei eine Menge an Verschwendung, an Abfallprodukten.

Die Wittig-Reaktion wurde in den 1950er Jahren entdeckt – und bisher hat noch niemand eine wirklich bessere Alternative gefunden. Wir bringen sie also unseren Studierenden in den Einführungsvorlesungen bei, so wichtig ist sie in der Organischen Chemie. Leider kommen solche Methoden in der Industrie sehr wenig zum Einsatz, weil sie auf Grund der Verschwendung einen viel zu hohen Aufwand und viel zu hohe Kosten bedeuten würden. Darum suchen wir in meiner Gruppe nach neuen, originellen Methoden für diese Knüpfung von C=C-Bindungen, mit dem Hinblick darauf so wenig Abfallprodukte wie möglich (idealerweise keine!) zu generieren.


Videoantwort von Nuno Maulide

Chemiker Nuno Maulide erklärt im Video, warum die Natur immer noch die beste organische Chemikerin ist und was wir von ihr lernen können.



uni:view: Haben Sie bereits Möglichkeiten für eine "Chemie ohne Verschwendung" gefunden?
Maulide: Ja, wir haben z.B. eine Technik entwickelt, mit der wir alpha-arylierte Carbonylverbindungen – diese werden u.a. für entzündungshemmende Medikamente verwendet – ohne Verschwendung von Atomen herstellen können. Bislang wurde bei arylierten Carbonylverbindungen sehr häufig mit Übergangsmetall-katalysierten Reaktionen gearbeitet, d.h. es wurden Übergangsmetall-Reagenzien verwendet. Bei unserer neu entwickelten Technik verwenden wir alle Atome der Ausgangsmaterialien, so dass die Gesamtzahl der Atome erhalten bleibt und keine verschwendet werden. Solche Technik kann von großer Bedeutung für die Industrie sein, da man damit die Produktionskosten massiv senkt.

uni:view: Was fällt Ihnen in ihrer Arbeit an der Universität Wien besonders auf?
Maulide:
Ich war schon an vielen Universitäten tätig und kann sagen: Unsere Studierenden am Institut für Organische Chemie sind besonders klug und motiviert. Dadurch ist die Lehre  an unserer Universität sehr angenehm. In meiner Grundvorlesung, zum Beispiel, stellen die Studenten manchmal etliche Forschungsfragen – obwohl sie noch im Bachelorstudium sind!

uni:view: Ist Ihnen das Thema Ressourcenschonung auch privat ein Anliegen?
Maulide: Ja, absolut. Den Respekt vor der Umwelt haben mir meine Eltern beigebracht. Das fängt schon bei kleinen Dingen an, z.B. beim Zähneputzen kein Wasser laufen zu lassen.

uni:view: Was wünschen Sie der Universität Wien zum 650-Jahr-Jubiläum?
Maulide:
Ich wünsche, dass die Universität Wien ihr eigenes Potenzial erkennt und strategisch in die Zukunft denkt.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!

Über Nuno Maulide:
Nuno Maulide, geboren 1979 in Lissabon, hat in Portugal am Instituto Superior Técnico in Lissabon und an der Ecole Polytechnique in Paris Chemie studiert und 2007 mit einer Arbeit im Bereich der Organischen Chemie an der Katholischen Universität Louvain in Belgien promoviert. Nach einem Postdoktorandenaufenthalt in den USA war Maulide von 2009 bis 2013 Nachwuchsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. 2011 hat er einen ERC-Starting Grant erhalten. Seit Oktober 2013 ist er Professor für Organische Synthese an der Universität Wien. Hier forscht er vor allem im Bereich der stereoselektiven Synthese von organischen Verbindungen, der Entwicklung von neuen Synthesemethoden sowie deren Anwendung für die gezielte Herstellung bioaktiver Naturstoffe.



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