Chemie-Nobelpreis für die Evolution von Proteinen
| 04. Oktober 2018Der heurige Chemie-Nobelpreis geht an Frances Arnold, George Smith und Gregory Winter für ihre Errungenschaften in der künstlichen Evolution von Molekülen. uni:view hat bei Christian F. W. Becker nachgefragt, Leiter des Instituts für Biologische Chemie, der selbst zu maßgeschneiderten Molekülen forscht.
uni:view: Was sagen Sie als Chemiker zur Vergabe des heurigen Chemie-Nobelpreises?
Christian F. W. Becker: Als Proteinchemiker freue ich mich besonders, dass die außergewöhnlichen Beiträge von Frances Arnold, George Smith und Greg Winter zum Gebiet der Proteinforschung so gewürdigt werden. Ihre Beiträge sind für viele heutige Forschungsfragen, die Proteine betreffen, grundlegend, da sie es ermöglichen, Proteine mit neuen Eigenschaften zu generieren und den gewaltigen Sequenzraum von Proteinen mittels lebender, sich selbst replizierender Systeme zu erschließen. Es zeigt sich darin, wie die Chemie wichtige Beiträge an den Schnittstellen zur Biologie, Biotechnologie und der Entwicklung von Pharmazeutika leistet.
uni:view: Frances H. Arnold wurde "für die gerichtete Evolution von Enzymen" geehrt, George P. Smith und Sir Gregory P. Winter "für das Phagen-Display von Peptiden und Antikörpern". Können Sie kurz erläutern, um welche Forschungen bzw. bahnbrechenden Erkenntnisse es sich dabei handelt?
Becker: Die gerichtete Evolution von Enzymen stellt eine stark beschleunigte und teilweise kontrollierbare Laborvariante der Evolution, die das Leben auf der Erde über Milliarden Jahre verändert hat, dar. Frances Arnold hat vor mehr als zwei Jahrzehnte begonnen solche Experimente durchzuführen, wobei mittels Veränderung der zur Grunde liegenden DNA und durch gezielte Selektion Enzyme identifiziert werden, die besonders stabil sind und/oder neue Reaktionen, die ansonsten in der Natur nicht vorkommen, ermöglichen. Diese Erkenntnisse sind wichtig für die Grundlagenforschung, da sie zeigen, wie universell Proteine als Katalysatoren eingesetzt werden können. Sie ermöglichen aber auch direkt Anwendungen, z.B. für die effektivere Herstellung von Medikamente oder Biokraftstoffen.
Die Entwicklung des Phagen-Displays nutzt die Vermehrung bestimmter Viren (Bakteriophagen) in Bakterien aus, die die im Genom codierten Proteine oder Proteinabschnitte (Peptide) dann auf der Bakteriophagen-Oberfläche präsentieren. George Smith hat bereits vor mehr als 30 Jahren Grundlagen entwickelt, um mit dieser Methode sehr viele verschiedene Varianten von Peptiden und Proteinen herstellen und gezielt auf Wechselwirkungen mit anderen Biomolekülen untersuchen zu können. Die genetische Codierung in den Bakteriophagen ermöglicht dabei eine eindeutige Identifizierung dieser Moleküle. Damit ergeben sich vorher nicht verfügbare Möglichkeiten, eine sehr große Zahl (>109) unterschiedlicher Peptid- und Proteinvarianten auf ihre biochemischen Effekte zu testen und die Besten gezielt zu selektieren. Kurz darauf wurde diese Methode durch Arbeiten von Greg Winter zum Antikörper-Display erweitert, durch welches neue, spezifische Antikörper entwickelt werden konnten, die heute als hocheffiziente Medikamente eingesetzt werden.
uni:view: Sie leiten das Institut für Biologische Chemie an der Universität Wien. Inwieweit überschneidet sich Ihre Forschung mit der der NobelpreisträgerInnen?
Becker: Im Rahmen unserer Forschung modifizieren wir ebenfalls Proteine, um neue Eigenschaften zu generieren oder auch potentiell therapeutisch wirksame Moleküle zu erhalten, allerdings mit anderen Methoden, als sie von den diesjährigen NobelpreisträgerInnen entwickelt wurden. Trotzdem nutzen wir häufig Ergebnisse, die mit Hilfe von Phagen-Display Experimenten generiert wurden, wie z.B. bestimmte Peptidsequenzen, die spezifisch an andere Biomoleküle binden oder durch gerichtete Evolution verbesserte Enzyme. Ohne diese Werkzeuge wären viele unserer Forschungsfragen sehr viel schwerer zu bearbeiten.
uni:view: Hat diese Vergabe des Nobelpreises Auswirkungen auf Ihr Forschungsgebiet?
Becker: Aus meiner Sicht wird die Vergabe des Nobelpreises diese Forschungsfelder weiter beflügeln und dabei helfen, dass die gerichtete Evolution und das Phagen-Display, methodisch sehr aufwändige Technologien, weitere Verbreitung finden werden. Große Bibliotheken an unterschiedlichsten Peptiden und Proteinen werden damit durch (bio-) chemische Methoden beeinflussbar und dies wird die Umbrüche, die wir bereits in der biotechnologischen aber auch der medizinischen Forschung sehen, weiter beschleunigen.
uni:view: Vielen Dank für das Interview! (red)
Christian F. W. Becker ist Professor am Institut für Biologische Chemie der Universität Wien und dessen Leiter. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Synthese und Modifikation von Proteinen, die Verknüpfung synthetischer Peptide und rekombinanter Proteine, Therapeutische Peptide und Proteine sowie Polymer- und DNA-Hybride. (© Universität Wien/Barbara Mair)