Buchtipp des Monats von Walter Schachermayer
| 05. November 2013Gemeinsam mit Walter Schachermayer verlost uni:view drei Bücherpakete, bestehend aus einem Werk des Mathematikers (ideal für DissertantInnen oder in der Forschung tätige MathematikerInnen) sowie seinem Buchtipp des Monats. Welcher das ist, verrät er im Interview.
uni:view: Herr Professor, welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen als Herbstlektüre?
Walter Schachermayer: "Des Bankers neue Kleider. Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muss" von Anat Admati und Martin Hellwig.
uni:view: Wie sind Sie auf das Buch gestoßen?
Schachermayer: Auf die Arbeiten von Hellwig hat mich vor etwa fünf Jahren der Ökonom Franz Xaver Hof aufmerksam gemacht und ich habe sie seither mit Interesse verfolgt. Ich habe auch einige Vorträge von Hellwig gehört und ihn bei einem Kongress getroffen. Als die englische Version des Buchs von Admati und Hellwig vor einigen Monaten erschien, habe ich es dann sehr rasch gelesen.
uni:view: Warum hat "Des Bankers neue Kleider" das Zeug dazu, die Welt zu verändern – wie Sie es in Ihrer kürzlich in der Tageszeitung Presse erschienene Rezension formulieren?
Schachermayer: Der Diskurs über aufsichtsrechtliche Regeln für Banken ist naturgemäß technisch. Wer kennt sich schon bei Begriffen wie Basel III oder
value-at-risk etc. wirklich aus? Die Autoren schaffen es, dass sie ihr sehr präzises Wissen zu diesen Themen in einfacher Sprache vermitteln. Sie verschanzen sich nicht hinter technischen Details sondern analysieren mit zwingender logischer Schärfe und so, dass ein/e aufmerksame/r LeserIn auch ohne besondere Vorkenntnisse gut folgen kann.
Da die Zukunft des Finanzsystems für uns alle von vitaler Bedeutung ist, halte ich es für ganz wichtig, wenn eine breitere Öffentlichkeit in informierter Weise an der Diskussion teilnehmen kann.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Schachermayer: Die zentrale Botschaft des Buchs lautet, dass Banken eine höhere Eigenkapitalquote haben sollen. Nach der Lektüre versteht man besser, warum dies in der Realität nicht – oder nur sehr zögerlich passiert. Obwohl diese Maßnahme mit praktisch null Kosten für die Allgemeinheit verbunden ist!
Ich glaube aber an die Kraft korrekter Argumente. Sigmund Freud bringt das schön auf den Punkt: Die Stimme des Intellekts ist leise. Aber sie ruht nicht, bis sie sich Gehör verschafft hat.
uni:view: Wir verlosen heute auch Ihr Fachbuch "The Mathematics of Arbitrage". An wen richtet es sich?
Schachermayer: Dieses Buch ist hochspezialisiert und richtet sich ausschließlich an MathematikerInnen, die ein solides Vorwissen in Stochastik und Funktional-Analysis mitbringen. Ideale LeserInnen sind DissertantInnen oder in der Forschung tätige MathematikerInnen.
Die ersten zehn Seiten geben aber eine informelle Einführung in das Thema, "ohne Formeln". Auch die darauffolgenden 30 Seiten sind noch mit relativ elementaren Mathematik-Kenntnissen lesbar. Danach steigt das mathematische Niveau allerdings rasch an. Leider sind diese technischen Schwierigkeiten für ein mathematisch präzises Verständnis unvermeidbar.
uni:view: Kurz zusammengefasst für Nicht-MathematikerInnen: Worum geht's?
Schachermayer: Im Wesentlichen kreist das Buch um einen einzigen mathematischen Satz: das "Fundamental Theorem of Asset Pricing". Ich werde versuchen, diesen Satz anschaulich zu motivieren, wobei ich etwas vereinfachen muss.
Ausgangspunkt ist das sogenannte "No Arbitrage Prinzip", das folgendes postuliert: Auf einem liquiden Finanzmarkt ist es nicht möglich, risikolose Gewinne zu machen. Wie die Amerikaner so schön sagen: "There is no such thing as a free lunch". Wer auch immer versucht, Extra-Gewinne zu erzielen, muss unweigerlich dafür Risiken in Kauf nehmen.
Ein viel stärkeres Postulat an einen Finanzmarkt ist das Prinzip der "Risiko-Neutralität": Nach Berücksichtigung der Zinseffekte gewinnt/verliert ein Finanz-Investor im Durchschnitt nichts. Louis Bachelier, der schon 1900 eine bahnbrechende Arbeit zum Thema Options-Bewertung geschrieben hat, formuliert das so: "L'éspérance mathématique du spéculateur est nulle".
Während das No-Arbitrage Prinzip durchaus überzeugend ist, scheint das Postulat der Risiko-Neutralität weit entfernt von der Realität zu sein. Rein mathematisch gesehen gibt es aber einen engen Zusammenhang: Der Fundamentalsatz besagt, dass ein mathematisches Modell eines arbitrage-freien Finanzmarkts immer in ein risikoneutrales Modell übergeführt werden kann, indem man die Wahrscheinlichkeitsgewichte ändert.
Dieser Satz wurde im Prinzip von einigen mathematischen Ökonomen Ende der 1980er Jahre formuliert. Allerdings hat es viel Zeit und Mühe gekostet, diesen Zusammenhang mathematisch präzise zu fassen und zu verstehen. Freddy Delbaen und ich haben den Satz in einer Reihe von Arbeiten präzise formuliert und bewiesen. In dem Buch, das etwa zehn Jahre nach den Original-Arbeiten erschienen ist, haben wir versucht, diese Ergebnisse in einer möglichst benutzerfreundlichen Art aufzubereiten. (br)
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Univ.-Prof. Mag. Dr. Walter Schachermayer ist Professor für Finanzmathematik an der Universität Wien. Der Wittgenstein-Preisträger erhielt 2009 den renommierten ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates.