Buchtipp des Monats von Otmar Weiß
| 21. Januar 2022Sport und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. In seiner Publikation über Sportsoziologie zeigt Otmar Weiss die Zusammenhänge zwischen Sport und sozialen Gruppen, (Massen-)Kommunikation, Wirtschaft, Religion, Politik, Gewalt und Doping auf.
uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Introduction to the Sociology of Sport", die Sie gemeinsam mit Gilbert Norden verfasst haben, erschienen. Was genau kann man unter der relativ jungen Wissenschaftsrichtung Sportsoziologie verstehen?
Otmar Weiß: Die Sportsoziologie setzt sich mit der gesellschaftlichen Einbindung und sozialen Bedeutung des Sports auseinander. Sie zeigt die Zusammenhänge zwischen Sport und Gesellschaft, sozialen Gruppen, (Massen-)Kommunikation, Wirtschaft, Religion, Politik, Gewalt und Doping auf.
uni:view: In Ihrem Buch beleuchten Sie u.a. die Verbindung von Sport und Gesellschaft. Was charakterisiert diese Verbindung?
Weiß: Es gibt kaum einen Bereich, der die Prinzipien der Gesellschaft besser abbildet als der Sport: Dass der Erfolg zählt, dass die bessere Leistung zur höheren Anerkennung führt, Messbarkeit, Vergleichbarkeit usw. Gesellschaftliche und kulturelle Werte wie z. B. Fair Play und Gesundheit, an die Menschen glauben, sind im Sport besser sichtbar und erlebbar. Sport erscheint als Ideal der Gesellschaft, weil in ihm die Eigenleistung des Menschen sichtbar ist und zählt. In der modernen Gesellschaft gibt es kaum einen Bereich, der für so viele Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion und Herkunft – soziale Anerkennung und Integration ermöglicht.
uni:view: Auch Sport im Zeitalter der Massenmedien wird behandelt. Welchen Einfluss haben sie auf Sport?
Weiß: Wie kaum ein anderes Phänomen fügt sich der Sport erfolgreich in den Algorithmus von Freizeit, Konsum und Massenkommunikation ein und verhilft seinerseits diesen Subsystemen zur Verwirklichung ihrer Ziele. Folglich kommt es im Sport zur Kommerzialisierung (Anpassung des Sports an die Gesetze des Marktes), Professionalisierung (Verberuflichung) und Mediatisierung (Anpassung des Sports and die Gesetze der Medien).
uni:view: Gegen Ende des Buchs präsentieren Sie eine neue Theorie, die die unglaubliche Popularität von Sport den Leser*innen näher bringt. Können sie einen kurzen Einblick in diese Theorie geben?
Weiß: Ein wesentlicher Grund dafür, warum Sport zu einem der wichtigsten Sinngeber in unserer Gesellschaft geworden ist, besteht darin, dass im Sport Aktionsleistung und Präsentationsleistung zusammenfallen. Während Leistung in anderen Bereichen oft nur von Expert*innen gewürdigt werden kann, wird im Sport der Erfolg durch die regelgeleitete Leistung erzielt. Nur Tore, Sekunden, Zentimeter zählen. Sport ist eine Welt, in der und über die jeder mit jedem reden kann. Im Breiten- wie im Spitzensport sind die Leistungsstandards bekannt und das Ansehen der Sportlerinnen und Sportler steigt und fällt damit, wie nahe sie diesen Standards kommen. Sport ermöglicht unmittelbare, primäre Erfahrungen und gibt eine Antwort auf die Abstraktheit und Anonymität der modernen Gesellschaft. Durch Sport kann der Mensch lernen, dass der Gewinn des eigenen Selbst der wichtigste Sieg überhaupt ist.
Buchtipp:
"Introduction to the Sociology of Sport", herausgegeben von Otmar Weiss und Gilbert Norden
Buchtipp von Otmar Weiss:
"Ein ganzes Leben" von Robert Seetaler
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen?
Weiß: "Ein ganzes Leben" von Robert Seetaler
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Weiß: In dem Roman wird ein einfaches Leben beschrieben, das authentischer nicht sein kann und tief bewegt. Es wird nicht eine Betrachtung über das Leben, sondern das Leben dargeboten. Die Hauptfigur des Romans, Andreas Egger, kommt mit schweren Schicksalsschlägen ohne weiteres zurecht und begegnet widrigsten Umständen mit einer Selbstverständlichkeit, die beeindruckend ist. Obwohl er als Mitglied eines Bautrupps am Fortschritt mitwirkt, trotzt er diesem.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Weiß: Ein bescheidenes und hartes Leben, das voller Entbehrungen ist, kann Glück bedeuten.