Buchtipp des Monats von Monika Seidl
| 13. April 2015Wissenschaft trifft Kunst: Monika Seidl von der Universität Wien hat gemeinsam mit der Künstlerin Ricarda Denzer eine Publikation über den Schriftsteller W.H. Auden in Kirchstetten herausgegeben – kürzlich wurde es unter die 15 schönsten Bücher Österreichs aufgenommen.
uniview: Ihre Publikation "Silence Turned Into Objekts. W.H. Auden in Kirchstetten", die Sie gemeinsam mit der bildenden Künstlerin Ricarda Denzer herausgegeben haben, wurde unter die "15 Schönsten Bücher Österreichs 2014" aufgenommen. Können Sie kurz erläutern, wie es zu der Idee des Buches gekommen ist und was Ihr Anspruch war?
Monika Seidl: Ausgangspunkt des Buches war "About the House", ein Projekt der Künstlerin Ricarda Denzer im Rahmen von Literatur und Kunst im öffentlichen Raum, das in Kirchstetten, einem kleinen Ort in der Nähe von St. Pölten, stattfand und dem britischen Schriftsteller mit amerikanischem Pass, W.H. Auden, gewidmet war, der dort ab den späten 1950er Jahren bis zu seinem Tod 1973 seine Sommer verbrachte. Das Buch dokumentiert und kommentiert das Ausstellungsprojekt, versammelt schriftliche und visuelle Dokumente aus diversen Auden-Archiven und enthält eine Reihe eigens für den Band verfasster akademischer Aufsätze. Der Anspruch bestand darin, auf mehreren Ebenen zu arbeiten und zu zeigen, welchen Widerhall W.H. Auden über die Interventionen der bildenden Künstler, die Anordnungen von Archivmaterial und die akademischen Artikel im 21. Jahrhundert findet. Durch die Großzügigkeit des Landes Niederösterreich war es möglich, gestalterisch perfekt arbeiten zu können.
uniview: Sie sind Professorin am Institut für Anglistik an der Universität Wien mit Schwerpunkt Visual Culture. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Ricarda Denzer?
Monika Seidl: Die Visualität stand bei unserer Zusammenarbeit nicht im Vordergrund, sondern mein Interesse als Kultur- und Literaturwissenschafterin an Phänomenen der Stimme. 'Wer spricht?' ist eine einfache Frage, die sehr fruchtbringend an einen literarischen Text gestellt werden kann. Man kann aber auch danach fragen, ob man die Stimme eines Textes heute noch 'hört'. Diese Fragenstellungen hatten wir gemeinsam; die waren die Grundlage unserer Zusammenarbeit.
uniview: Was fasziniert Sie persönlich an W. H. Auden?
Monika Seidl: Einerseits sind das einzelne Gedichtzeilen, die ich auswendig kann und die mich trotz der zeitlichen Distanz heute ansprechen, deren Stimme ich gerne höre und die mich positiv berührt. Das sind beispielsweise Zeilen wie: 'Lay your sleeping head, my love, Human on my faithless arm' aus dem Gedicht 'Lullaby'. Andererseits arbeite ich viel im Bereich der Populärkultur und da finde ich es erforderlich der Frage nachzugehen, ob und wie Auden im kollektiven Bewusstsein lebt. Und interessanterweise gibt es immer wieder Momente, wo seine Stimme von vielen gehört wird: Nach dem Film 'Vier Hochzeiten und ein Todesfall' wurde das Gedicht mit den Anfangsworten 'Stop all the clocks' zu einer beliebten Totenklage, die man heute noch in dem einen oder anderen Beerdigungsinstitut bestellen kann. Und da gibt es noch eine Reihe anderer Beispiele.
uniview: Haben die Aufenthalte Audens in Österreich, speziell in Kirchstetten, sein Werk beeinflusst?
Monika Seidl: Ich würde sagen ja, aber das ist wissenschaftlich noch wenig erforscht. Es gibt zum Beispiel einen Gedichtzyklus 'About the House', in dem Auden jedem Raum des Hauses in Kirchstetten ein Gedicht widmet, von der hehren Dichterstube bis zum stillen Örtchen. Auch hat er seiner Haushälterin ein poetisches Denkmal gesetzt und nicht unumstritten im Auftrag der Gemeinde ein Gedicht über den Lyriker Josef Weinheber verfasst. Zudem hatte Auden Kontakt zur englischsprachigen 'Nachbarin' auf Schloss Friedenau Stella Musulin. Über sie machte er Bekanntschaft mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens seiner Zeit wie Friedrich Heer. Aber zu Auden und Österreich gäbe es noch Einiges aufzuarbeiten.
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uniview: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Monika Seidl: 'Der Distelfink' von Donna Tartt; original erschienen unter dem Titel 'The Goldfinch'.
uniview: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Monika Seidl: Donna Tartt ist eine sehr 'sparsame' und auch umstrittene Autorin, von ihr sind bisher nur drei Bücher, immer im Abstand von circa zehn Jahren erschienen. Die Kritiken polarisieren, wobei viele der Vorwürfe damit zu tun haben, dass Tartt eine populäre Autorin ist, was in manchen Kreisen der Literaturkritik automatisch zum Abwertungsmerkmal wird, was ich als eine spannende Dynamik erachte. 'Der Distelfink' erzählt die Entwicklungsgeschichte des New Yorker Jungen Theo Decker, mixt gekonnt Elemente des Thrillers hinein und handelt auch die Liebe zur Kunst und zu Antiquitäten ab und steht damit in Zusammenhang mit dem Buch zu Auden, das ja auch Kunst und Literatur zum Inhalt hat.
uniview: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Monika Seidl: Für mich blieb eine wohlige Melancholie, die sich als Sehnsucht des jungen Mannes nach nicht erfüllter und nicht erfüllbarer Liebe manifestiert. Das titelgebende Bild des niederländischen Malers Carel Fabritius, das einen angeketteten kleinen Finken zeigt, der selbstbewusst den Betrachter anblickt, ist das manifeste Sinnbild dieser Sehnsucht. Und ansonsten bleiben viele, viele Seiten an Lesevergnügen, die englische Taschenbuchausgabe hat 864 Seiten.