Buchtipp des Monats von Matthias Flatscher und Gerald Posselt

Matthias Flatscher und Gerald Posselt jeweils mit einem Buch in der Hand, vor einer Steinmauer stehend.

Der Politikwissenschafter Matthias Flatscher und der Philosph Gerald Posselt beleuchten in ihrem Buch "Sprachphilosophie", wie sich sprachliche Äußerungen auf Dinge beziehen, das Verhältnis von Sprechen und Denken bis hin zu der Frage, wie wir uns selbst und andere verstehen.

uni:view: Ihre kürzlich erschienene Publikation "Sprachphilosophie" passt gut zur aktuellen Semesterfrage der Uni Wien, die "Wie wirkt Sprache?" lautet. Wie beantworten Sie unsere Semesterfrage?
Matthias Flatscher und Gerald Posselt: Sprache wirkt auf vielfältige Weise: manchmal offensichtlich, häufig auch sehr subtil. Das fängt schon damit an, wie wir miteinander sprechen, Dinge und Sachverhalte benennen und andere Menschen adressieren. Überall ist Sprache mit im Spiel. Sprache ist wesentlich daran beteiligt, wie wir die Welt und Gegebenheiten wahrnehmen, beschreiben und bewerten. Darüber hinaus können wir mit Sprache Handlungen vollziehen oder Tatsachen schaffen, z.B. wenn wir ein Versprechen geben, uns entschuldigen oder eine Wette abschließen. Wir können einen Menschen mit Worten trösten oder Mut zusprechen, aber auch beleidigen und zutiefst verletzen. Bereits der antike Rhetoriker Gorgias spricht daher davon, dass die Rede "mit dem kleinsten und unscheinbarsten Körper die göttlichsten Taten zu vollbringen vermag".

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Im Sommersemester 2020 steht die Wirkung des Wortes im Mittelpunkt. Welche Rolle spielt die Sprache für unsere Identität? Was passiert beim Spracherwerb im menschlichen Gehirn und wie setzen wir Denken in Sprache um?
Zur Semesterfrage "Wie wirkt Sprache?"

uni:view: Nun konkret zu Ihrer Publikation. Was können sich Leser*innen unter Sprachphilosophie vorstellen?
Flatscher und Posselt: Die Sprachphilosophie hat sich erst relativ spät, nämlich im 20. Jahrhundert als eigenständige Disziplin etabliert, als deutlich wurde, dass Sprache nicht nur einen Gegenstand der Philosophie, sondern die Grundlage jedes Philosophierens darstellt. Das Nachdenken über die Sprache ist allerdings mindestens so alt wie die Philosophie selbst und deckt ein breites Spektrum von Fragen ab: von der Frage, wie wir uns mit sprachlichen Äußerungen auf Dinge in der Welt beziehen, über das Verhältnis von Sprechen und Denken bis hin zu der Frage, wie wir uns selbst und andere verstehen. 

Wir wählen daher in unserem Buch sowohl einen historischen als auch einen systematischen Zugang. Dazu rekonstruieren wir einerseits die Sprachphilosophie von der Antike bis ins 21. Jahrhundert; andererseits thematisieren wir alle wichtigen sprachphilosophischen Strömungen der Gegenwart: die analytische Philosophie, die Hermeneutik und Phänomenologie sowie Strukturalismus, Poststrukturalismus und die Dekonstruktion. 

uni:view: Wie definieren Sie Sprache?
Flatscher und Posselt: Sprache ist ein System verbaler und nicht-verbaler Zeichen und Symbole, das es uns erlaubt, die Welt zu erschließen, uns auszudrücken und mit anderen in Austausch zu treten. Als ein solches System ist Sprache niemals neutral, sondern geht immer auch mit ethischen und politischen Implikationen einher, da wir uns im Sprechen auf bestimmte gesellschaftlich akzeptierte Regeln, Normen und Konvention verpflichten.

uni:view: Welche Rolle spielt Sprache in sozialen Interaktionen?
Flatscher und Posselt: Sprache spielt in sozialen Interaktionen nicht nur eine wichtig Rolle, sondern formt diese auch. So weist bereits Aristoteles darauf hin, dass der Mensch zugleich ein sprachliches und politisches Wesen ist. Dabei dürfen wir unter Sprache nicht nur verbale Äußerungen oder schriftliche Aufzeichnungen verstehen. Zur Sprache gehören auch die Handlungen und Tätigkeiten, die mit dem Sprechen verbunden sind. Ludwig Wittgenstein spricht daher auch von "Sprachspielen". Darunter versteht er die unterschiedlichen Dinge, die wir mit Sprache tun können und die zugleich Teil einer bestimmten Kultur und Lebensform sind: wie z.B. Einkaufen gehen, Smalltalk führen, oder ein Interview führen.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:

1 x "Sprachphilosophie: Eine Einführung" von Gerald Posselt und Matthias Flatscher

1 x "Gegen den Hass" von Carolin Emcke  

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen? 
Flatscher und Posselt: Wir empfehlen das Buch "Gegen den Hass" der Publizistin Carolin Emcke, in dem sie mit feinem Gespür für offensichtliche und subtile Formen der Diskriminierung das Problem von Hass und Ressentiment in unserer Gesellschaft reflektiert.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Flatscher und Posselt: Carolin Emcke geht der Frage nach, wie eine von Hass, Ressentiment und Rassismus geprägte Sprache Menschen ausgrenzen, verletzen und entmenschlichen kann. Zugleich zeigt sie auf, wie wir im Namen von Pluralität, Menschenrechten und Demokratie dem Hass entgegentreten können, um gerade denen, die unter besonders prekären Verhältnisse am Rande der gesellschaftlichen Hör- und Sichtbarkeit leben, eine Stimme zu verleihen.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Flatscher und Posselt: Die Einsicht, dass wir der verletzenden Kraft der Sprache wiederum nur mit Sprache entgegentreten können.

Matthias Flatscher forscht und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Gerald Posselt forscht und lehrt am Institut für Philosophie der Universität Wien.