Buchtipp des Monats von Gertraud Seiser und Matthäus Rest

Seit einigen Jahren boomt der Kult um den Krampus – auch außerhalb Österreichs. Im Sammelband "Wild und schön" beschäftigen sich zwei Kultur- und SozialanthropologInnen und ihre Studierenden mit den Hintergründen. Dazu gibt es einen (ent)spannenden Buchtipp und wie immer ein Gewinnspiel.

uni:view: Ende November ist Ihr Buch "Wild und Schön. Der Krampus im Salzburger Land" erschienen. Wie kommt es, dass sich zwei Kultur- und SozialanthropologInnen mit den heimischen Perchten befassen?
Gertraud Seiser und Matthäus Rest: Eigentlich hat sich das, wie so oft in der Anthropologie, durch eine Reihe von Zufällen ergeben. Wir waren auf der Suche nach einem Thema für ein Feldpraktikum, eine "Lehrforschung", in der die Master-Studierenden unseres Instituts die Methoden der ethnografischen Feldforschung anhand eines konkreten Forschungsprojekts erlernen sollen. Matthäus kommt aus Gastein, eine der wenigen Regionen mit einer jahrhundertelangen Krampustradition, und schlug das als Thema vor.

Erst im Rahmen dieser Forschung ist uns aufgefallen, wie viel uns der Krampus über die Gegenwart erzählen kann. Und als wir dann Seminararbeiten von sehr hoher Qualität bekommen haben, fanden wir: Die sind zu gut, um nicht veröffentlicht zu werden. Das war 2011. Zwei Jahre später, 2013, waren wir dann gemeinsam mit unserer Kollegin Elke Mader und einer weiteren Gruppe Studierender in und um die Stadt Salzburg unterwegs, und wieder ist sehr viel gutes Material herausgekommen. Aus diesen beiden Forschungen ist der Sammelband entstanden. Derzeit arbeiten wir an einem dritten Feldpraktikum, dieses Mal über die Klaubaufe von Matrei in Osttirol.

uni:view: Können Sie kurz die historischen Hintergründe der "Krampustradition" erläutern?
Seiser und Rest: Wie so oft liegt die Geschichte im Dunkeln. Was wir wissen ist, dass die ersten schriftlichen Quellen zum Thema aus dem späten 16. Jahrhundert stammen. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht möglich ist, dass der Krampus eine viel ältere Figur ist. Die Quellenlage spricht aber eher dafür, dass sich der Brauch aus den mittelalterlichen Nikolausspielen und dem Jesuitentheater der Gegenreformation entwickelt hat. Die oft geäußerte Idee, er hätte heidnische/germanische/keltische Ursprünge und wäre deshalb von der katholischen Obrigkeit verfolgt worden, scheint eine Erfindung der Romantik zu sein, die sich die nationalsozialistische Volkskunde zu Eigen gemacht hat. Uns als AnthropologInnen geht es aber nicht darum herauszufinden, was die "richtige" Geschichte ist. Für uns sind "Geschichten von der Geschichte" wichtig, weil sie uns viel über die Gegenwart derjenigen erzählen, die jedes Jahr im Herbst zum Krampus werden.

uni:view: Das Buch basiert auf mehreren Forschungsarbeiten zum Thema. Welche Fragestellungen standen dabei im Fokus?
Seiser und Rest: Ganz allgemein fragen wir uns, warum der Krampus seit der Jahrtausendwende einen so ausgeprägten Boom erlebt, der weit über sein angestammtes Verbreitungsgebiet hinausgeht. Mittlerweile ist er ja sogar in den USA bekannt und beliebt. Gleichzeitig mit diesen Globalisierungstendenzen ist der Krampus aber für viele ein Marker lokaler Identität par excellence – auch für viele Menschen in den Städten, die ihn als Ausdruck einer rückwärtsgewandten Ländlichkeit verstehen. Bei genauerer Betrachtung ist die Krampusszene aber eine unglaublich vielschichtige Subkultur, die von Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Weltanschauungen geteilt wird. Deshalb lautet eine zweite zentrale Fragestellung, wie es der Krampus schafft, für diese verschiedenen Menschen gleichzeitig so viel Unterschiedliches zu verkörpern.

uni:view: Was macht die Faszination des Krampus bis heute aus?
Seiser und Rest: Gemeinsam mit unseren Studierenden haben wir dazu eine Reihe von Thesen entwickelt. Einmal ist da, wie schon erwähnt, seine Wandlungsfähigkeit. Für die BrauchtumshüterInnen ist er der Gehilfe des Nikolaus, der die schlimmen Kinder bestraft und die Familie zusammenhält. Für Fantasy-Begeisterte stellt er die Möglichkeit dar, in die Rolle eines Orks, Werwolfs oder Dunkelelfen zu schlüpfen. NationalistInnen verwenden ihn, um ihrer Abneigung gegen MigrantInnen, vor allem mit muslimischem Glauben, Ausdruck zu verleihen. Und für viele aus den drei genannten Gruppen (und viele andere) stellt das Krampus-Werden eine Möglichkeit dar, eine selbstbewusste, aggressive Männlichkeit auszuleben, für die es im "normalen" Leben immer weniger Platz gibt. Und dann kommt seine sinnliche Anziehungskraft dazu, der sich nur wenige entziehen können: die ganz spezielle Erotik, die aus der Mischung von Maske, Fell, Lärm, Schweiß und Gefahr erwächst.

Was uns darüber hinaus sehr wichtig ist: Wir haben das Buch gemeinsam mit den Studierenden erarbeitet und wir haben uns sehr um eine Sprache bemüht, die auch für unsere Forschungssubjekte zugänglich ist. Krampusläufe sind zudem eine sehr visuelle Angelegenheit, daher haben wir auch reichhaltiges dokumentarisches Bildmaterial integriert.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung: 

1 x "Wild und Schön. Der Krampus im Salzburger Land", Hrsg. Gertraud Seiser und Matthäus Rest
1 x "Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen" von Billy Ehn und Ovar Löfgren

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Seiser und Rest: "Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen" von Billy Ehn und Ovar Löfgren.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Seiser und Rest: Besonders faszinierend waren für uns die kulturvergleichenden Analysen und feinkörnigen Beschreibungen des Wartens. Vor allem, weil Warten in unserer schnelllebigen Zeit so schwer fällt. "Nichtstun" ist außerdem spannend und amüsant zu lesen, Ethnographie vom Feinsten, beispielsweise auch was Routinen betrifft. Es hält dazu an auf Kleinigkeiten zu achten, sich und die anderen neu wahrzunehmen.  
 
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Seiser und Rest: Schlange-Stehen vor Supermarktkassen oder wo auch immer ist nun ein reines Vergnügen. Das erzwungene Nichtstun wird vom Stress zum Genuss.

Gertraud Seiser und Matthäus Rest forschen und lehren am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Fakultät für Sozialwissenschaften.