Buchtipp des Monats von Birgit Schwarz
| 05. Dezember 2014Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz von der Universität Wien erforscht die Museumspolitik von Hitler und dessen NS-Regime. In der Reihe "Buchtipp des Monats" spricht sie über die Hintergründe und empfiehlt u.a. einen Besuch des Heldenbergs im Wetzdorfer Schlosspark. uni:view verlost Bücherpakete!
uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub" erschienen, die im Rahmen des Forschungsprojekts "'Sonderauftrag Ostmark'. Hitlers Kunstraub- und Museumspolitik in Österreich" entstanden ist. Wie ist die Idee zu diesem Projekt bzw. zur Publikation entstanden?
Birgit Schwarz: Das Buch basiert auf einer Vorlesung über NS-Kunstpolitik und NS-Kunstraub, die ich im Wintersemester 2010 an der Universität Wien gehalten habe; das Konzept war, den NS-Kunstraub als Element eines kunstpolitischen Systems darzustellen. In aller Kürze: Hitler ließ einerseits in der Aktion "Entartete Kunst" die angeblich "schlechte" Kunst der Avantgarde aus den Museen entfernen und schenkte den Museen dafür beschlagnahmte "gute" Kunstwerke, alte Meister. Seit Mitte 2013 untersuche ich in dem Forschungsprojekt "Sonderauftrag Ostmark" die Zuweisungen der meist aus jüdischen Sammlungen beschlagnahmten Kunstwerke an die österreichischen Museen zwischen 1940 und 1945 und damit Hitlers Kunstraub- und Museumspolitik in Österreich. Die Publikation "Auf Befehl des Führers" geht also einerseits auf ältere Untersuchungen zurück, verarbeitet in ihren Österreich-Kapiteln aber auch erste Ergebnisse des aktuellen Forschungsprojekts.
uni:view: Das Projekt startete 2013 und läuft noch bis 2016. Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer Forschungsarbeit?
Birgit Schwarz: Das Projekt wird die Verteilung der Raubkunst auf die österreichischen Museen sowie die Rolle der involvierten Institutionen und auch den Fragen nach einem hinter der Verteilung stehenden kunstpolitischen Programm sowie den ideologischen Prämissen des Raubes stellen.
Eine große Herausforderung stellt die Menge des Quellenmaterials dar. Die Zahl der Listen, die geraubte Kunstwerke verzeichnen, ist gewaltig. Diese Listen sind aber meist undatiert, d.h. ihr Entstehungs- und Funktionskontext muss rekonstruiert werden. Die Frage ist: Handelt es sich um Wunschlisten der Museen, um Verteilungsvorschläge von Hitlers Sonderbeauftragten Hans Posse oder um Listen, welche die Zuteilungen an die Museen aufführen?
uni:view: Sind Sie schon auf für Sie überraschende Ergebnisse gestoßen?
Birgit Schwarz: Ich kenne das Material aufgrund meiner langjährigen Auseinandersetzung damit sehr gut. Überraschungen gibt es dennoch immer wieder, große und kleine: Nicht erwartet hatte ich, dass die Reisetagebücher von Hans Posse, die im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verwahrt werden, hinsichtlich der Fragestellungen des Projekts so ergiebig sein würden, wie sie es sind. Posse machte sich während seiner Inspektionsreise zu den österreichischen Museen zahlreiche Notizen. Diesen ist zum Beispiel zu entnehmen, dass er beim Besuch des Museums in Klagenfurt in Betracht zog, dort einige Räume mit moderner österreichischer Malerei einrichten zu lassen. In diesem Zusammenhang taucht der Name "Böckl" auf, und damit kann kein anderer als Herbert Boeckl (Klagenfurt 3. 6.1894 -20. 1.1966 Wien) gemeint sein, der Vertreter der österreichischen Moderne.
uni:view: Das Thema Kunstraub während des NS-Regimes wird seit einigen Jahren ernst genommen und aufgearbeitet. Gibt es Ihrer Meinung nach noch viel zu tun in Österreich?
Birgit Schwarz: Es gibt seit mehr als 15 Jahren eine intensive Provenienzforschung in den österreichischen Museen; als Ergebnis konnten zahlreiche Objekte an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden. Provenienzforschung ist aber notwendigerweise Forschung am Einzelobjekt, der mikroskopische Blick auf den NS-Kunstraub. Es fehlt aber an Grundlagenforschung, etwa an Untersuchungen zu den beraubten jüdischen Sammlern und ihren Sammlungen; hier hat die Forschung erst eingesetzt. Ein Desiderat ist auch die Täterforschung; ich habe zu den Motiven des obersten Kunsträubers Hitler 2009 ein Buch vorgelegt ("Geniewahn. Hitler und die Kunst"). Was aber motivierte die Kunsthistoriker der Museen und Denkmalämter, rückhaltlos mitzumachen? Ein weiteres, wenig bearbeitetes Forschungsfeld hat soeben eine Wiener Tagung über die Bergung von Kunst- und Kulturgüter in den Jahren 1938 bis 1945 eröffnet, veranstaltet von der Kommission für Provenienzforschung und der Israelitischen Kultusgemeinde. Es gibt also noch viel zu tun!
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uni:view: Nun zu Ihrem Buchtipp: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen für kalte Wintertage?
Birgit Schwarz: Ich empfehle den Roman "Pargfrider" von Stefan Heym, 1998 im Bertelsmann-Verlag erschienen. Es handelt sich um den letzten Roman des DDR-Autors, der die Geschichte des österreichischen Tuchhändlers Joseph Gottfried Pargfrider erzählt, der als Armeelieferant ein Vermögen machte und 1832 Schloss Wetzdorf in Kleinwetzdorf (Niederösterreich) erwarb. Im Schlosspark ließ er den sogenannten Heldenberg errichten, der insgesamt 169 Standbilder und Büsten von Generälen, Heerführern, Soldaten und österreichischen Herrschern präsentiert. Trotz dieses patriotischen Bekenntnisses blieb Pargfrider die gesellschaftliche Anerkennung durch die Wiener Hofgesellschaft verwehrt, nicht zuletzt, weil er Jude war. Erst zur Beerdigung seines Feldmarschalls Josef Wenzel Graf Radetzky von Radetz sah sich Kaiser Franz Joseph zum Erscheinen auf Schloss Wetzdorf gezwungen. Radetzky ließ sich nämlich als Gegenleistung für die Erlassung seiner Schulden durch Pargfrider in der Gruft im dortigen Schlosspark zur letzten Ruhe betten. Pargfrider wurde in den Ritterstand erhoben und ließ sich später ebenfalls in der Gruft bestatten, zwischen zwei kaiserlichen Generälen sitzend auf die Auferstehung wartend!
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Birgit Schwarz: In der Rahmenhandlung des Romans werden Pargfriders Aufzeichnungen in den letzten Kriegstagen von einem sowjetischen Offizier in Schloss Wetzdorf erbeutet, um Jahrzehnte später an einen amerikanischen Journalisten weitergegeben zu werden. Der Roman erschien 1998, dem Jahr der "Restitutions-Wende", als die Washingtoner "Conference on Holocaust Era Assets" eine neuerliche Restitutionsphase für Kulturgut einläutete und in Österreich ein Kunstrückgabegesetz erlassen wurde, das Rückgaben aus staatlichen Museen ermöglicht. Pargfriders fiktive Aufzeichnungen fallen unter die Kategorie gestohlenes Kulturgut (auch wenn in diesen Fall nicht die Nationalsozialisten die Täter sind). Dieser Aspekt wird im Roman aber nicht reflektiert – damit ist Stefans Heyms Roman eine typisches Werk der Zeit vor der "Restitutions-Wende" 1998!
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Birgit Schwarz: Es bleibt zum einen der Eindruck einer sehr starken Persönlichkeit, die mit ihrem Heldenberg die k. u. k. Monarchie heraus- und die Anerkennung ihrer Leistungen eingefordert hat. Es bleibt aber auch der Entschluss, das beeindruckende Denkmalensemble im Wetzdorfer Schlosspark möglichst bald zu besuchen! (td)