Buchtipp des Monats von Bernhard Weidinger

Vom Politologen Bernhard Weidinger kommt unser Buchtipp im Mai. Passenderweise stammt das Coverfoto seines Buches "Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen" vom 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom NS-Regime bzw. – aus burschenschaftlicher Sichtweise – der "totalen Niederlage".

uni:view: In Ihrer aktuellen Publikation "Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen" untersuchen Sie akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945. Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Bernhard Weidinger: Das Buch entstand auf Basis meiner Dissertation. Burschenschaften habe ich aus verschiedenen Gründen als Thema gewählt – vor allem wegen regelmäßigem persönlichen Kontakt mit dem Forschungsobjekt, wie er an der Universität Wien ja bis heute unumgänglich ist, sowie aufgrund der Bedeutung des völkischen Verbindungswesens für die extreme Rechte in Österreich im Allgemeinen und die Freiheitliche Partei im Besonderen.
Angesichts dieser Relevanz war es mir ein Anliegen, die politischen Debatten um Burschenschaften hierzulande auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen.

uni:view: Kann man von "den Burschenschaften" sprechen oder muss man hier noch weiter differenzieren?

Bernhard Weidinger: Oft wird unter "Burschenschaften" das gesamte studentische Männerverbindungswesen gefasst. Tatsächlich wäre hier zwischen katholischen und deutsch-völkischen Verbindungen zu unterscheiden. Die letztgenannten zerfallen wiederum in verschiedene Verbindungstypen – Corps, Landsmannschaften und andere, darunter auch die Burschenschaften. Diese weisen in Österreich ein ziemlich homogenes politisch-ideologisches Profil auf. Nichtsdestotrotz gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Verbindungen – und umso mehr auch zwischen deren Mitgliedern.

uni:view: Sie haben Burschenschaften in mehreren Städten Österreichs, darunter Wien, Salzburg und Leoben untersucht. Gibt es hier wesentliche Unterschiede?

Bernhard Weidinger: Nennenswerte Unterschiede nach Städten konnte ich nicht feststellen. Olympia Wien und Leder Leoben, Teutonia Wien und Brixia Innsbruck stehen einander etwa politisch jeweils näher als beide genannten Wiener Bünde den ebenfalls in Wien angesiedelten Oberösterreicher Germanen.

uni:view: Sie beschreiben das Weltbild der Burschenschaften u.a. als durch deutsch-völkischen Nationalismus und ein quasi-soldatisches Männlichkeitsbild geprägt. Das sind in der heutigen Zeit doch recht "gestrige" Hintergründe. Warum funktionieren Sie Ihrer Meinung nach immer noch in diesen Kreisen?

Bernhard Weidinger: Weder Nationalismus noch Hypermaskulinismus würde ich als gesellschaftlich randständig ansehen. Beide nehmen in burschenschaftlichen Kreisen freilich Formen an, die aus heutiger Sicht etwas exzentrisch wirken mögen. Dennoch halte ich die Anschlussfähigkeit zwischen burschenschaftlichen und gesellschaftlich weit verbreiteten Ideen für augenfällig – sei es die Bereitschaft zur Identitätsstiftung durch die Ausgrenzung ganzer Menschengruppen, die Assoziation von Weiblichkeit mit Schwäche oder der Glaube an das segensreiche Wirken männlicher Eliten. Diese Anschlussfähigkeit ist vermutlich auch ein Grund, weshalb die Botschaften und Erzählungen der Verbindungen noch heute manch jungem Mann plausibel erscheinen.



Gewinnspiel:
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.

 
1x "Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945" von Bernhard Weidinger
1x "Von der Schönheit" von Zadie Smith 



uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?


Bernhard Weidinger: Einen der grandiosesten Campus-Romane aller Zeiten, der heuer zehn Jahre alt wird: "On Beauty" (dt. "Von der Schönheit") von Zadie Smith.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?

Bernhard Weidinger: Zunächst einmal ist das Buch sehr unterhaltsam und teils fast satirisch geschrieben, vor allem in der Darstellung akademischer Intrigen und Eitelkeiten. Zum zweiten verhandelt Smith gleichsam nebenher soziale Ungleichheit entlang von race, class und gender sowie den US-amerikanischen "culture war", ohne dass es mühsam oder aufgesetzt wirkt. Auch über das Innenleben einer US-Eliteuniversität und derer, die sie bevölkern, erfährt der/die Leser/in viel. Es handelt sich insofern um Roman, scharfe Gesellschaftsanalyse und academia-Psychogramm in einem. Bei all dem ist das Buch, dank fesselnder Handlung und leichthändiger Schreibe, eine packende Lektüre. Kurzum: Edutainment vom Feinsten!

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?

Bernhard Weidinger: Der Wunsch nach einer Fortsetzung oder zumindest einer baldigst möglichen Verfilmung, auch wenn letztere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Lichtjahre hinter der Vorlage zurückbleiben müsste.