Bibelwissenschaft: Jesus als Lehrer

Weihnachten ist für viele ein Anlass, sich mit Geburt und Leben des Jesus von Nazaret zu beschäftigen. Die Theologin Veronika Tropper untersucht das Bild des "Lehrers Jesus" in den Evangelien und in der frühchristlichen Kunst und begibt sich auf die Spuren der Bildungssituation im alten Israel.

"Jesus Didáskalos. Studien zu Jesus als Lehrer bei den Synoptikern und im Rahmen der antiken Kultur- und Sozialgeschichte" ist der Titel der Dissertation, mit der Veronika Tropper ihr Studium der Katholischen Theologie an der Universität Wien erfolgreich abgeschlossen hat – und für die sie im Oktober 2011 den Dissertationspreis 2010/11 der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie im Dezember 2011 den "Award of Excellence" des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung erhalten hat. In der Arbeit, die 2012 in der Reihe ÖBS (Österreichische Biblische Studien) erscheinen wird, untersucht die junge Theologin die drei synoptischen Evangelien (Markus-, Matthäus- und Lukasevangelium) auf ihre Aussagen über Jesus als Lehrer und stellt diese Erkenntnisse in den Kontext der Bildungssituation der Antike.

Erziehungs- und Bildungssituation zur Zeit Jesu

Das Wortfeld "Lehren und Lernen" spielt in den drei synoptischen Evangelien eine bedeutsame Rolle. Wie aber ist Jesus selbst zu seiner Bildung gekommen? "Der Überblick über die gängigste Literatur zum historischen Jesus aus den letzten beiden Jahrzehnten liefert hier erstaunlicherweise eher ernüchternde Ergebnisse: Bei den meisten AutorInnen ist das Bewusstsein für die Lehrautorität Jesu vorhanden; Aussagen zu Jesu eigener Bildung und Ausbildung werden aber meist unreflektiert getroffen und setzen bei ihm einen hohen Bildungsgrad voraus", konstatiert Tropper.

Darum widmete sich die junge Theologin zunächst einmal – aus sozialgeschichtlicher Perspektive – der Erziehungs- und Bildungssituation in der Antike: "Da Jesus als Jude in seiner Zeit verstanden wird, geht es dabei hauptsächlich um das israelitisch-jüdische Erziehungs- und Bildungswesen."

Konnte Jesus lesen und schreiben?

Diese Auseinandersetzung ergibt laut Tropper, dass das Bild eines schriftgelehrten Lehrers, der selbstverständlich Schriftrollen lesen konnte und des Schreibens kundig war, auf den historischen Jesus nicht zutrifft. "Das ist im Übrigen für die Mehrheit der damaligen Mitbevölkerung Jesu der Fall: Die Literalitätsrate in Israel-Palästina betrug um die Zeitenwende maximal zehn Prozent", erklärt sie.

Vielmehr sei davon auszugehen, dass der tektōn (Bauhandwerker) Jesus aus Nazaret sein Handwerk – wie damals üblich – von Josef lernte und mit den zu jener Zeit üblichen religiösen Gebräuchen, Gebeten sowie mit der gesamten Tradition vertraut war, weil er sie von klein auf (mündlich) im familiären Alltag vermittelt bekam. "Er war nicht – wie viele ForscherInnen meist unkritisch annehmen – Schüler in einer jüdischen Elementarschule, da eine solche frühestens für das dritte nachchristliche Jahrhundert als gesichert gelten kann", erklärt die Wissenschafterin.


Veronika Tropper, Bibelwissenschafterin:

Weihnachen verbringe ich ...
... im Kreise meiner Familie in Kärnten.

Mein Lieblingspunsch ...
Am liebsten trinke ich Apfelglühmost, weil das nicht ganz so süß ist wie Punsch.

Mein Lieblingsweihnachtsgebäck ...
... sind die "Klosterkipferl" (aus Schokonussteig und mit dunkler Schokolade überzogen) von meiner Mutter.



Der Lehrer Jesus in den Evangelien ...

Auf den Spuren des "Lehrers Jesus" führte Tropper schließlich eine ausführliche Auslegung (Exegese) exemplarischer Texte aus den synoptischen Evangelien durch (Lk 2,41 52: 12-jähriger Jesus im Tempel; Mk 1,21 28 par: Jesus in der Synagoge von Kafarnaum; Mk 6,1 6 parr: Jesus in seiner Heimat Nazaret sowie Mt 28,16 20: Auftrag des Auferstandenen). Dafür erweiterte sie den rein historisch-kritischen Methodenkanon um literaturwissenschaftliche Analysen und Erkenntnisse aus Archäologie und Sozialgeschichte.

"Bei jedem der drei Synoptiker findet sich ein anderes Bild von Jesus als Lehrer: Am eindrücklichsten wird Jesus als Lehrer der nahegekommen Gottesherrschaft im Markusevangelium präsentiert. Matthäus macht diesen zum einzig wahren Lehrer des Willens Gottes für seine SchülerInnen und JüngerInnen, d.h. seine Gemeinde, der ihnen seinen Beistand bis zum Ende der Welt zusagt", erklärt die Forscherin ihre Ergebnisse. "Im Lukasevangelium hingegen drängt der Aspekt des prophetisch-messianischen Freudenboten den des Lehrers bei der Charakterisierung Jesu in den Hintergrund."

... und in der frühchristlichen Kunst

Ergänzt wird die umfassende Untersuchung schließlich durch eine Auseinandersetzung mit der frühen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Jesu als Lehrer. "Dazu habe ich das Weiterwirken Jesu als Lehrer beispielhaft in den apokryphen Evangelien und in den Darstellungsformen der frühchristlichen Kunst untersucht", schließt die "Award of Excellence"-Preisträgerin, die nun eine Assistentenstelle am Seminar für Biblische Wissenschaften der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz antritt: "Eindrücklich führen vor allem die Beispiele aus der bildenden Kunst vor Augen, wie intensiv das Lehrermotiv die Erinnerung an Jesus von Nazaret geprägt hat." (red)

Die Dissertation "Jesus Didáskalos. Studien zu Jesus als Lehrer bei den Synoptikern und im Rahmen der antiken Kultur- und Sozialgeschichte" von Dr. Veronika Tropper (eingereicht 2011 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien) wird im Jahr 2012 in der Reihe ÖBS (Österreichische Biblische Studien) erscheinen.