"Back to the Future" mit Gödel
| 23. Juli 2019"Die größte intellektuelle Freundschaft seit Plato und Sokrates", so ist das Verhältnis von Kurt Gödel und Albert Einstein bezeichnet worden. In seinem Gastbeitrag anlässlich der Konferenz "Kurt Gödels Erbe" beschreibt Mathematiker Karl Sigmund wichtige Stationen dieser Beziehung.
"Ich gehe nur ans Institut, um Gödel nach Hause zu begleiten", pflegte Einstein zu sagen. In den Nachkriegsjahren in Princeton sahen sie einander fast täglich. Worüber sie sich unterhielten, weiß niemand, doch wird es nicht bloßer Smalltalk gewesen sein. "Ihre Persönlichkeiten unterschieden sich auf beinahe jede Weise", meinte ein gemeinsamer Kollege. "Aber eine Eigenschaft war ihnen gemeinsam: Beide gingen voller Schwung und ohne Umschweife auf die zentralen Fragen los."
Gödel war der weitaus jüngere der beiden – er war erst dreizehn, ein wohlerzogener Mittelschüler in Brünn (heute Brno), als im Jahr 1919 der 40-jährige Einstein schlagartig weltberühmt wurde. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie hatte die Ablenkung der Lichtstrahlen durch die Masse der Sonne korrekt vorhergesagt und damit das Newtonsche Weltbild verdrängt. Es setzte ein "Einstein-Rummel" ein, dessen Ausmaß heute kaum mehr vorstellbar ist. Kein Wunder, dass Gödel zunächst Physiker werden wollte.
Der Reichtum der Mathematik
Im Jahr 1924 inskribierte er an der Universität Wien. Die theoretische Physik wurde dort durch Hans Thirring vertreten, der eine wichtige Folgerung aus der allgemeinen Relativitätstheorie hergeleitet hatte: Eine Kugel, die sich dreht – also etwa die Erde – hat ein anderes Schwerefeld als eine Kugel, die still steht. Dieser Effekt ist jedoch so klein, dass er erst 80 Jahre später nachgewiesen werden konnte.
Der junge Physik-Student Gödel interessierte sich allerdings bald mehr für das Grenzgebiet zwischen Mathematik und Philosophie. Hier gelang dem knapp 25-jährigen eine Entdeckung, die das Bild der Mathematik, wie es seit Euklid gängig war, auf den Kopf stellte. Gödel konnte nachweisen, dass jede formale mathematische Theorie, wenn sie widerspruchsfrei ist, Aussagen zulässt, die unentscheidbar sind – also aus den Voraussetzungen, den Axiomen, weder logisch herleitbar noch widerlegbar. Ändert man die Voraussetzungen, um die Lücke zu schließen, tun sich andere Lücken auf. Der logische Formalismus ist ein zu knappes Gewand für den inhaltlichen Reichtum der Mathematik.
Dieses Resultat schlug wie eine Bombe ein. Gleich nach seiner Habilitation im Jahr 1933 wurde Gödel auf ein Gastsemester an das neugegründete Institute for Advanced Study nach Princeton eingeladen. Dort lernte er erstmals Einstein kennen, der ihn alsbald als den größten Logiker seit Aristoteles bezeichnete.
Neugierig geworden? Im Rahmen der internationalen Konferenz "Kurt Gödel's Legacy: Does Future Lie in The Past?" (25.-27. Juli, Universität Wien) finden auch zwei öffentliche Vorträge statt:
25. Juli, 17 Uhr: Juliet Floyd - In and Out of Mind: Wittgenstein and Gödel, Post and Turing
26. Juli, 18.30 Uhr: John D. Barrow - 100 Years of Universes
Einblicke in Kurt Gödels Leben und Werk und das Gödel Universum bietet die begleitende Sonderausstellung im Arkadenhof, kuratiert von Karl Sigmund und dem Institut Wiener Kreis.
Zerrüttete Nerven, glasklarer Verstand
Als Gödel nach Wien zurückkehrte, machten sich psychische Probleme bemerkbar. In den folgenden Jahren pendelte er zwischen Wien, Princeton, und diversen Nervenheilanstalten. Seine Nerven mochten zerrüttet sein, sein Verstand war es nicht. Gödels Beiträge zur Mengenlehre waren um nichts weniger revolutionär als die zur Logik.
Im Jänner 1940, als er ein letztes Mal von Wien nach Princeton reiste, oder richtiger gesagt, flüchtete – es war eine haarsträubende Gratwanderung über Sibirien und den Pazifik – gab ihm sein ehemaliger Physikprofessor Thirring eine brisante Botschaft an Einstein mit: Die Nazis bauten an einer Atombombe. In späteren Jahrzehnten glaubte Thirring, dass seine Warnung Einstein zu dem berühmten Brief an Präsident Roosevelt bewogen hatte, der letztlich zum Feuerball über Hiroshima führte. Als leidenschaftlicher Pazifist quälte sich Thirring mit Selbstvorwürfen. Erst knapp vor seinem Tod gestand ihm Gödel beiläufig, dass er Einstein lediglich Grüße von Thirring ausgerichtet hatte, nicht aber die Warnung vor der deutschen Atomrüstung.
In den 1940er Jahren vertiefte sich die Freundschaft zwischen Einstein und Gödel. Als Gödel vom Herausgeber einer Einstein-Jubelschrift aufgefordert wurde, etwas Philosophisches über Kant und die Relativitätstheorie zu schreiben, konnte er schwerlich "nein" sagen. Zur eigenen Überraschung entdeckte er etwas Mathematisches: neue Lösungen für die Einsteinschen Feldgleichungen. Dafür erhielt er alsbald den ersten Albert Einstein Award, aus der Hand seines gerührten väterlichen Freundes. "Von der Feier habe ich dir nichts geschrieben", berichtete Gödel seiner Mama nach Wien, "weil ich solche Dinge hasse."
In seiner Lösung der Einsteinschen Gleichungen zeigt Gödel die theoretische Möglichkeit von Zeitreisen auf. Einstein widerstrebte diese von ihm selbst wachgerufene Vision. Anlässlich der Konferenz "Kurt Gödels Erbe" (25.-27. Juli) erklärt Physiker Peter C. Aichelburg den Stand der Theorie in uni:view. (© Pixabay/WikiImages CC BY 2.0)
70 Jahre Jubiläum der Möglichkeit von Zeitreisen
Das Besondere an den Gödelschen Lösungen ist, dass sie Zeitreisen in die Vergangenheit zulassen. Der Zeitreisende kann also mit seinem jüngeren Selbst zusammentreffen und diesem, wie Gödel reichlich sinister schrieb, "etwas antun" – was natürlich den Antritt der Zeitreise ausschließt und das Gefüge von Ursache und Wirkung heillos sabotiert. Seit 70 Jahren hat diese Möglichkeit nichts von ihrer beunruhigenden Faszination verloren.
Karl Sigmund ist emeritierter Professor am Institut für Mathematik der Universität Wien, zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört u.a. die Spieltheorie, aber auch die Geschichte der Mathematik, insbesondere in Zusammenhang mit dem Wiener Kreis.