9/11: Rückblick und Ausblick

Hat der 11. September 2001 die Welt verändert? Heinz Gärtner vom Institut für Politikwissenschaft spricht von einem weltpolitischen Rückschlag. In seinem Gastbeitrag blickt der Politologe auf die letzten zehn Jahre zurück, analysiert die Folgen von 9/11 – vom "Krieg gegen den Terror" über den Irakkrieg bis zum Tod Osama bin Ladens – und gibt einen Ausblick über die Herausforderungen, die der Weltgemeinschaft in Hinblick auf den globalen Terrorismus noch bevorstehen.

Die Anschläge des 11. September 2001 waren nicht die Ursache neuer weltpolitischer Entwicklungen, wohl aber beschleunigten sie Tendenzen und politische Handlungen, die vorher so nicht möglich gewesen wären.

Einmal zeigten die Akte einer terroristischen Gruppe endgültig, dass sich die globale Bedrohungslage nach Ende des Kalten Krieges dramatisch geändert hatte. Die Hauptgefahr ging nicht mehr von Angriffen von Staaten aus, sondern von nicht-staatlichen AkteurInnen und Netzwerken. Nicht starke und funktionierende Staaten sind zu fürchten, sondern funktionsgestörte Staaten mit schwachen Regierungen können Ausgangspunkte von zerstörerischen Endwicklungen mit globalen Konsequenzen sein.

Des Weiteren demonstrierten die Anschläge in New York und Washington, dass Globalisierung, die in den 90er Jahren weithin als Entwicklungsschub betrachtet worden war, auch negative Seiten hat. Nicht nur die Wirtschaft und die Information globalisierten sich, sondern auch terroristische und kriminelle Aktivitäten.

"Mit uns oder gegen uns"

Schließlich hatte der 11. September für die US-Regierung George W. Bush ein Fenster für unilaterale Politik geöffnet. Der globale "Krieg gegen den Terror" stellte die Welt vor die Alternative, entweder mit der Administration oder mit den TerroristInnen zu sein. Dadurch wurden Übertreibungen und Panikmache möglich, wie etwa, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besäße und Verbindungen zu den Anschlägen hätte. Der Wunsch, den Irak militärisch zu befrieden, war zumindest bei Vizepräsident Dick Cheney lange vor dem 11. September 2001 vorhanden. Der Sturz der Regierung im Irak war in dem von ihm unterstützten Projekt "The New American Century" aus dem Jahr 2000 gefordert worden.

Die Glaubwürdigkeit der USA in der Welt litt unter dem Krieg, und die Idee von "soft power" wurde in Frage gestellt. Durch das Argument, die islamische Welt könnte durch den Krieg demokratisiert werden, wurden redliche Demokratisierungsbemühungen entwertet.

Fehlinterpretation


Zum "Krieg gegen den Terror" passte die fatale Ideologie vom "Kampf der Kulturen", die der US-Politologe Samuel Huntington geliefert hatte. Als wären die Anschläge krimineller Terroristen mit einem islamischen Kreuzzug gegen den Westen gleichzusetzen! Der nicht anti-amerikanische und nicht anti-westliche arabische Frühling widerlegte eindrucksvoll diese religiös-kulturelle Interpretation des 11. September.

Anstatt sich gleich auf Al-Qaida zu konzentrieren, was die Regierung Obama zu tun versprach, verschwendete die Administration Bush Zeit und Energie auf einen universellen "langen Krieg". Mit dem Argument, TerroristInnen ließen sich nicht abschrecken, übersah sie, dass auch Terrornetzwerke Kosten-Nutzen Kalküle anstellen.

Al-Qaidas Niedergang

Die Tötung von Osama bin Laden fast zehn Jahre nach den Anschlägen zeigte den Erfolg einer neuen Abschreckungs- und Isolierungsstrategie und kündigte symbolisch den Niedergang Al-Qaidas an. Die Fokussierung des Antiterrorkampfes auf Afghanistan und Pakistan brachte Fortschritte. Sie entzog Al-Qaida zunehmend die staatliche Infrastruktur.

Al-Qaida wird das Schicksal aller terroristischen Organisationen vor ihr teilen. Der Terrorismus der radikalen AnarchistInnen Ende des 19. Jahrhunderts, der des Carlos und des Abu-Nidal sowie jener der Roten Brigaden in Italien und der Roten Armee Fraktion in Deutschland im letzten Jahrhundert verschwand nach jeweils etwa einem Jahrzehnt – zumeist verbunden mit der Isolierung oder Eliminierung der Führung. Jedes Mal entstanden neue terroristische Netzwerke.

Der Anschlag in Norwegen im Juli 2011 kann ein Vorbote für ein Ansteigen der Anzahl der EinzeltäterInnen sein, aber auch ein Ausnahmefall bleiben. Lokale und regionale Terrorzentren werden weiter bestehen. Wie der "EU Terrorisms Situation and Trend Report 2011" feststellt, hatten 2010 von den 249 Anschlägen innerhalb der Europäischen Union lediglich drei kleinere einen islamistischen Hintergrund, 160 waren separatistisch, 45 anarchistisch orientiert.

Globale Partnerschaften

Die Globalisierung des Terrorismus erfordert globale Antworten. Seine Bekämpfung brachte – ebenso wie der Kampf gegen Klimaerwärmung, organisierte Kriminalität, nukleare Proliferation, Pandemien und Piraterie – neue globale Partnerschaften hervor. Globale Polarisierungen sind zur Problemlösung ungeeignet geworden. Deshalb sprach die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton nicht von einer "multipolaren", sondern von einer "multipartnerschaftlichen" Welt. Die Obama-Administration ist besonders besorgt über nuklearen Terrorismus. Verwundbares nukleares Material soll gesichert, die Produktion von spaltbarem Material gestoppt werden. Multilaterale Kooperation ist dafür unerlässlich. 2012 soll in Seoul ein Weltgipfel zu diesem Thema stattfinden.

Die Anschläge des 11. September 2001 haben ein Jahrzehnt lang einen weltpolitischen Rückschlag gebracht. Der Terrorismus, aber auch der völlig überzogene "Krieg gegen den Terror" brachten entscheidende Einschränkungen liberaler Freiheiten und multilateraler Kooperation. Mit dem Entstehen neuer gemeinsamer, globaler Herausforderungen und dem Absterben von Al-Qaida scheinen sich neue globale Partnerschaften herauszubilden.

Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Amerikaexperte am österreichischen Institut für internationale Politik (oiip) und am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien sowie Herausgeber des Buches "Obama and the Bomb: The Vision of a World Free of Nuclear Weapons" (Peter-Lang, 2011).