Shalini Randeria übernimmt Sir Peter Ustinov Gastprofessur
| 06. Juni 2011
Shalini Randeria lehrt im Rahmen der Sir Peter Ustinov Gastprofessur der Stadt Wien am Institut für Zeitgeschichte.
Seit 1. Juni lehrt Shalini Randeria (Universität Zürich) im Rahmen der Sir Peter Ustinov Gastprofessur der Stadt Wien am Institut für Zeitgeschichte. Neben Lehrveranstaltungen an der Universität Wien wird die Sozialanthropologin am Dienstag, 7. Juni 2011, um 19 Uhr eine Wiener Vorlesung zum Thema "Enteignen, entrechten, ausgrenzen: Wirtschaftswachstum, Infrastrukturaufbau, Slums und Vision Bombay 2020" halten.
Shalini Randeria zählt zu den renommiertesten Forscherinnen auf dem Gebiet der Sozialanthropologie. Sie studierte Soziologie und Sozialanthropologie an den Universitäten Delhi und Heidelberg sowie an der Freien Universität Berlin. Heute ist sie Professorin für Ethnologie an der Universität Zürich. 2002-03 gründete sie an der Central European University in Budapest ein neues Department of Sociology und Social Anthropology. 2007-09 fungierte sie als Präsidentin der European Association of Social Anthropology (EASA).
Im Juni ist die Sozialanthropologin, zu deren Forschungsschwerpunkten unter anderem Globalisierung und Governance, Bevölkerungspolitik und Gender, Rechtsantrophologie, Multiple Modernen und Postkolonialismus sowie Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen – v.a. in den Regionen Südasien und Indien – zählen, zu Gast in Wien: Im Rahmen ihrer Sir Peter Ustinov Gastprofessur im Sommersemester 2011 hält sie Lehrveranstaltungen am Institut für Zeitgeschichte sowie eine Wiener Vorlesung im Rathaus.
Wiener Vorlesung
Im Zentrum der Wiener Vorlesung am 7. Juni 2011 stehen erste Zwischenergebnisse von Randerias aktueller Feldforschung, die sich der gegenwärtigen Dynamik der ursprünglichen Akkumulation in Indien widmet. Im Mittelpunkt stehen dabei Prozesse der Enteignung und Entrechtung, die eng mit Fragen der Umweltgerechtigkeit verbunden sind – die damit einhergehende Verarmung werde als Preis für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes politisch in Kauf genommen.
Laut Randeria lassen ethnographische Fallstudien aus unterschiedlichen Regionen des Landes verschiedene Aspekte dieser Prozesse erkennen: die Vertreibung von Bäuerinnen und Bauern sowie Fischerinnen und Fischern, um private Häfen und Sonderwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild zu errichten; die Zwangsumsiedlung von SlumbewohnerInnen, um städtische Verkehrsinfrastruktur aufzubauen; die Zerstörung von Bergdörfern, um ausländischen und einheimischen Minengesellschaften den Abbau von wertvollen Rohstoffen zu ermöglichen und schließlich die Beschneidung von Rechten der Hirten-NomadInnen, um den Schutz der Biodiversität zu gewährleisten. Untersucht wird dabei einerseits die Privatisierung von staatlichem sowie gemeinschaftlichem Eigentum ("commons"). Andererseits wird die Einführung von neuen geistigen Eigentumsrechten auf biogenetische Ressourcen analysiert, die die bisherigen kollektiven Rechte von Bäuerinnen und Bauern beschneidet.
Auf diese Weise nehmen ethnographische Studien die alltäglichen Praktiken des Staates in den Blick, der durch die Verrechtlichung von immer mehr Lebensbereichen die Entrechtung der armen Bevölkerungsschichten vorantreibt. Die Wiener Vorlesung wird von Anna Soucek, Radiojournalistin bei ORF-Ö1, moderiert.
Gastprofessur an der Universität Wien
Im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit am Institut für Zeitgeschichte wird Randeria in einer Vorlesung und einem Seminar in englischer und deutscher Sprache zum Thema "Reproduction, State Intervention and Women's Bodies: Global Designs and Locial Life-Worlds" drei Vorurteilsbereiche kritisch analysieren und hinterfragen: 1) Die Welt ist überbevölkert; 2) Nur quantitative Daten und positivistische Methoden können die Bevölkerungspolitik bestimmen; 3) Immer sind es "die Anderen", die zu viele auf der Welt sind.
Randeria selbst umschreibt ihre Ausgangsthesen folgendermaßen: "Es gibt tatsächlich eine demografische Zweiteilung der Welt. In Europa führt man Steuererleichterungen für deutsche oder französische Kinder ein, während die vermeintliche Überbevölkerung der 'Anderen' als globales Problem dargestellt wird. Zu viele sind immer die Anderen, seien es die MigrantInnen in Europa oder die Armen in den Entwicklungsländern."
In den USA versuche man durch Kürzungen der Sozialleistungen, arme und schwarze Familien dazu zu bringen, weniger Kinder zu bekommen, so die Forscherin weiter: "Reproduktive Freiheit gilt in jeder Gesellschaft nur für bestimmte Klassen und ethnische Gruppen. Dabei darf man nicht übersehen, dass sich die Europäer, solange Afrika und Asien europäische Kolonien waren, über niedrige Geburtenraten in diesen Ländern beklagt haben. Sie hatten nämlich Interesse an den billigen Arbeitskräften. Die Belgier haben etwa im Kongo versucht, die Stillzeit der Mütter zu verkürzen, damit sie häufiger Kinder gebären."
Sir Peter Ustinov Gastprofessur der Stadt Wien
Die Sir Peter Ustinov Gastprofessur der Stadt Wien wird heuer zum achten Mal vom Sir Peter Ustinov Institut für Vorurteilsforschung mit Sitz am Institut für Konfliktforschung (IFK) vergeben. "Vorurteile sind der Ausgangspunkt vieler sich häufender Probleme dieser Welt", erklärte der gesellschaftlich engagierte Filmschauspieler Sir Peter Ustinov (1921-2004) in einem Schreiben anlässlich der Gründung des Instituts: "Man hüte sich davor, schale, abgestandene und überkommene Meinungen gedankenlos zu übernehmen." Die Sir Peter Ustinov Gastprofessur am Institut für Zeitgeschichte wird aus Mitteln der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) finanziert. (red)
Wiener Vorlesung von Shalini Randeria (Sir Peter Ustinov Gastprofessur 2011): "Enteignen, entrechten, ausgrenzen: Wirtschaftswachstum, Infrastrukturaufbau, Slums und Vision Bombay 2020"
Dienstag, 7. Juni 2011, 19 Uhr
Rathaus, Volkshalle, Lichtenfelsgasse 2
1010 Wien
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