Schnitzler-Jahr 2012: Romantische Kinobesuche und mehr

Vor 150 Jahren, am 15. Mai 1862, wurde einer der einflussreichsten österreichischen Autoren geboren: Arthur Schnitzler. Zum Jubiläumjahr beleuchtet Stephan Kurz die "cineastische Seite" des Schriftstellers.

Arthur Schnitzler und das Kino – ein Aspekt, der neben der Betonung des Films und der intermedialen Beziehung zu Schnitzlers Texten in der Beschäftigung mit dem Autor Schnitzler immer ein wenig im Hintergrund geblieben ist. Schnitzler protokollierte in seinem Tagebuch im Zeitraum von 1904 bis knapp vor seinem Tod 1931 über 800 Kinobesuche, eine von heute aus gesehen beeindruckende Zahl. Im Rahmen des FWF-Publikationsprojekts "Clara Katharina Pollaczek und Arthur Schnitzler gehen ins Kino" ging ein Germanistentrio (Michael Rohrwasser, Daniel Schopper und Stephan Kurz) seinen Kinobesuchen nach: Notierte Schnitzler "im Opernkino", dann konnten wir in den meisten Fällen anhand von Kinoprogrammen aus Tageszeitungen erschließen, welchen Film er gesehen hat. Anhand der Filmzeitschrift "Paimann's Film-Listen" und weiterer Quellen haben wir dann filmographische Daten und eine Kurzzusammenfassung des gesehenen Films zusammengetragen.


Buchpräsentation und Lesung anlässlich des Schnitzler-Jahres 2012:
"A. ist manchmal wie ein kleines Kind. Clara Katharina Pollaczek und Arthur Schnitzler gehen ins Kino" (Hrsg.: Stephan Kurz und Michael Rohrwasser unter Mitarbeit von Daniel Schopper, Böhlau Verlag 2012, Manu Scripta Band 2. Editionen aus der Handschriftensammlung der Wienbibliothek)
Donnerstag, 26. April 2012, 19 Uhr
Österreichische Gesellschaft für Literatur
Herrengasse 5, 1010 Wien



Clara Katharina Pollaczek

Schnitzler notierte freilich nicht immer nur ein Kino oder einen Filmtitel, in den meisten Fällen schreibt er auch nieder, mit wem er das Kino besucht hatte. In der Überzahl der Fälle ist das "C. P." – die weitgehend unbekannte Wiener Schriftstellerin Clara Katharina Pollaczek. Rasch war klar, dass auch deren Tagebucheinträge Kino- und Filmnotizen enthalten. Pollaczeks Tagebücher liegen in einem über 900 Seiten starken Konvolut in der Wienbibliothek im Rathaus und sind bis dato über einen kleinen Kreis von Schnitzler-SpezialistInnen hinausgehend kaum bekannt. Pollaczek selbst stellte ihre Notizen, die neben Tagebuchpassagen auch Abschriften aus ihrer Korrespondenz mit Schnitzler enthalten, unter den vielsagenden Titel "Arthur Schnitzler und ich", sie reiht sich also hinter den von ihr schon seit den 1890ern verehrten Autor, mit dem sie ab 1923 eine "romantische Beziehung" verband.

Klassiker der Stummfilmära und historische Monumentalfilme

Die Kinobesuchsprotokolle von Pollaczek und Schnitzler lassen sich gut nebeneinanderstellen. Sie ermöglichen einen Eindruck davon, wie Kinofilme in den 1920ern und frühen 1930ern rezipiert wurden. Meist sind die Einträge kurz und bündig, doch in der Gesamtschau ergibt sich ein stimmiges Bild von Kinogänger und Kinogängerin, die bei der Auswahl der Filme wenig Ansprüche stellten, sich aber durch die Vielzahl der gesehenen Filme dennoch ein differenziertes Urteilsvermögen ausgearbeitet hatten: Das Spektrum reicht von den Klassikern der Stummfilmära über historische Monumentalfilme österreichischer und deutscher Produktion bis hin zu heute kaum mehr bekannten Filmen, von Zirkusfilmen zum Kriminalgenre, von frühen "Autorenfilmen" bis zu Dokumentar- und "Kulturfilmen".

Weitere Publikationen und Projekte im Rahmen des Schnitzler-Jubiläumsjahrs:


Unter der Leitung von Konstanze Fliedl, Professorin am Institut für Germanistik und Präsidentin der Arthur-Schnitzler-Gesellschaft, erscheint die historisch-kritische Ausgabe des Frühwerks von Arthur Schnitzler. Der erste Band, "Lieutnant Gustl" ist bereits seit Mitte 2011 lieferbar. Der zweite Band, "Anatol" wird zum Jubiläum ebenfalls in den Buchhandlungen erhältlich sein, weitere Bände – "Sterben", "Liebelei" und frühe Erzählungen – sind in Vorbereitung.

Die Arthur Schnitzler-Gesellschaft veranstaltet am 20. Mai 2012 um 11 Uhr im Wiener Volkstheater eine Anatol-Matinee unter dem Titel "Anatol gratuliert Schnitzler zum Geburtstag und verleiht einen Preis": Uraufgeführt wird die mehraktige Textcollage "Anatol – Leben, Werk und Wirkung". Im Rahmen der Matinee verleiht die Arthur Schnitzler-Gesellschaft den 3. Arthur-Schnitzler-Preis an eine Dramatikerin.

Das Tagebuch Arthur Schnitzlers, das in der Edition der Österreichischen Akademie der Wissenschaften seit 2000 komplett greifbar ist, wird 2012 in einer durchsuchbaren und annotierten Online-Ausgabe durch das Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie (ICLTT) an der ÖAW veröffentlicht.

Peter Michael Braunwarth und Leo A. Lensing haben zum Jubiläum Schnitzlers Traumtagebuch aus dem Nachlass herausgegeben, das er aus seinen Tagebuchaufzeichnungen destillierte: Träume. "Das Traumtagebuch 1875–1931", Wallstein Verlag 2012.

Weitere Veranstaltungen und Informationen zum Schnitzler-Jubiläum 2012

Mag. Stephan Kurz ist am Institut für Germanistik tätig und führte gemeinsam mit Michael Rohrwasser, Professor am Institut für Germanistik, das FWF-Publikationsprojekt "A. ist manchmal wie ein kleines Kind." durch.

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