Musik aus den Kindertagen der Universität

Wer kennt die Musik, die im Umfeld der Universität Wien in deren ersten 150 Jahren ihres Bestehens erklang? Ein Abend am 11. September mit Vortrag und Konzerten im Archiv der Universität Wien lud dazu ein, Kompositionen aus dieser Zeit und mit engem Bezug zur Universität kennenzulernen.

Die Veranstaltung "Zeitgenössische Musik" im Spätmittelalter wurde von dem FWF-Forschungsprojekt "Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich" organisiert, das mit diesem Abend dem ambitionierten Ziel, die Klangaura Österreichs von ca. 1340 bis 1520 zu rekonstruieren, einen weiteren Schritt näher gekommen ist. Nicht nur die Frage, welche Musik damals erklang, sondern auch wie und wo Menschen diese Musik hören konnten, steht im Zentrum des kulturwissenschaftlichen Forschungsansatzes. An diesem Abend wurde der Fokus jedoch ganz auf Wien und die Universität gerichtet.

Mit kurzen Vorträgen führte das Projektteam (Bild oben v.l.n.r.: Birgit Lodes, Reinhard Strohm, Marc Lewon) in die Thematik des Abends ein. Auch wenn die Musik an der Universität selbst nicht als praktisches Fach unterrichtet wurde, war das Musizieren im Spätmittelalter ein wichtiger Bestandteil im Leben der Studierenden und Lehrenden. Reinhard Strohm berichtete von zahlreichen Dokumenten und Quellen, die Hinweise auf Musikausübung im universitären Umfeld liefern und zeichnete einige Lebenswege der Schreiber und Besitzer solcher Handschriften nach. So begann etwa Hermann Pötzlinger während seines Wiener Studiums (1436–1439) mit der Niederschrift des sogenannten St. Emmeram-Codex (München Clm 14274). Diese Handschrift überliefert unter anderen die Musik von Hermann Edlerawer, der einer der ältesten namentlich bekannten Komponisten in Wien ist und nach seinem Studium (1413–1414) als Kantor an St. Stephan wirkte.

Birgit Lodes und Marc Lewon stellten die Homepage des Forschungsprojekts vor, die neben Essays zu verschiedenen Themenfeldern rund um die Musik des Spätmittelalters vor allem auch zahlreiche Abbildungen und Hörbeispiele, die speziell für diesen Web-Auftritt aufgenommen wurden, bietet. Mit der Veröffentlichung dieser Seite wird es demnächst möglich sein, ein noch sehr wenig bekanntes Kapitel der Musikgeschichte Österreichs anhand von wissenschaftlich fundierten und ansprechend gestalteten Texten in einem multimedialen Kontext zu erkunden. Mit einer Email an musical-life.musikwissenschaft(at)univie.ac.at kann man sich für Informationen rund um die Veröffentlichung der Homepage registrieren.

Das erste Konzert des Abends gestaltete das Ensemble Stimmwerck unter dem Titel "Flos virginum" mit vorwiegend geistlicher Musik aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Den Bezug der vorgetragenen Kompositionen zu Wien und insbesondere der Universität konnten die ZuhörerInnen den ausführlichen Anmerkungen des Programmhefts entnehmen, das die Spannweite des Repertoires von einem französischen Virelay des späten 14. Jahrhunderts (das im St. Emmeram-Codex mit einem lateinischen Text kontrafaziert wurde) bis hin zu humanistischen Odenvertonungen von Paul Hofhaimer erschloss.

Eine ganz andere Klangkulisse bot im zweiten Konzert das Ensemble Leones, das auf Instrumenten und mit Gesang vornehmlich die weltliche Musik des Spätmittelalters mit Liedern von Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein bis zu Heinrich Isaac auslotete. Musiziert wurde auch erst jüngst auf Fragmenten in der Österreichischen Nationalbibliothek identifizierte Musik: Das englische Liebeslied "My ladi myn happ" und die Chanson "Soyt tart tempre" dürften einem um 1400 entstandenen Chansonniers entstammen und geben Hinweise auf das international beeinflusste Kulturleben in Wien.

Die Texte sämtlicher vorgetragener Kompositionen konnte das gebannt lauschende Publikum in einem eigenen Textheft im Original und in Übersetzungen mitlesen. Auf diese Weise war es auch den im Lateinischen oder Frühneuhochdeutsch ungeübten HörerInnen ein leichtes, beispielsweise die Pointe des Veilchen-Schwanks in der Neidhart-Tradition wie auch die außerordentliche sprachliche Raffinesse der weiteren Texte zu verfolgen.

Ein besonders seltenes Erlebnis stellte Marc Lewons Vortrag (Bild) von Michel Beheims (ca. 1420–1472/79) Loblied auf die Universität Wien in 31 Strophen dar ("Von der hohen schul zu wien"). Der am Hof Friedrichs III. angestellte Sangspruchdichter Beheim vergleicht darin Wien mit einem Garten, in dessen Zentrum die Universität wie ein Baum wächst und Früchte trägt. Beheim bittet auch um Nachsicht mit den Studierenden, die zwar manchmal über die Stränge schlagen würden, im Grunde jedoch alle strebsame und schwer arbeitende Schüler seien.

Auch der Ort der Veranstaltung, den die ZuhörerInnen nach den Konzerten beschwingt verließen, war mit Bedacht gewählt. Zwar haben sich keine Gebäude der mittelalterlichen Universität erhalten, doch in etwa an der Stelle, an der sich heute das Archiv der Universität befindet, begann auch das universitäre Leben in Wien. (Fotos: Joseph Krpelan)

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