Wiener Stadtexkursion: Wie inklusiv oder exklusiv ist Wohnen in Wien?
| 16. November 2017Wien steht wie keine andere Stadt für die Errungenschaften des sozialen Wohnbaus. Eine Fachexkursion am Institut für Geographie und Regionalforschung besuchte ausgewählte Objekte des Wiener Wohnbaus und sprach mit den InitiatorInnen. Ein Fotobericht.
Aktuell zählt das Sonnwendviertel am Hauptbahnhof zu den größten Stadtentwicklungsgebieten in Wien.
Wohnen als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge? Vorbesprechung im Büro der "wohnpartner" im Gemeindebau der Stadt Wien in der Engerthstraße im 2. Bezirk. Die Studierenden recherchierten bereits vor der Exkursion ein Wohnprojekt ihrer Wahl und bewerteten dieses hinsichtlich der Aspekte Inklusivität und Exklusivität.
Tour durch die Gemeindebauten entlang der Wehlistraße: Vom Roten Wien bis zum jüngsten Gemeindebau der Leopoldstadt. Die MitarbeiterInnen der "wohnpartner", die für die Mediation im Gemeindebau zuständig sind, vermitteln anschaulich die Lebensqualität und Herausforderungen des Zusammenlebens im Gemeindebau.
Das Sonnwendviertel steht beispielhaft für die aktuelle Wohnraumschaffung, die sehr stark durch die Stadtverwaltung mittels sozialem Wohnungsbau gesteuert wird. Die rund 5.000 Neubauwohnungen, die bis 2019 errichtet werden, schaffen Wohnraum für circa 13.000 BewohnerInnen. Dies entspricht jedoch nicht einmal einem Drittel des derzeitigen jährlichen Bevölkerungswachstums in Wien (zwischen 1.1.2016 und 1.1.2017 rund 27.000 Personen mehr).
Stadtteilprojekte, wie beispielsweise ein Gemeinschaftsgarten, sollen das Miteinander im neuen Stadtteil fördern. Dieser Garten wurde auch ein Ort der Begegnung zwischen den neuen BewohnerInnen des Sonnwendviertels und den langjährig ansässigen BewohnerInnen in der direkten Nachbarschaft des 10. Bezirks. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie die stadtplanerische Herausforderung, "Alt und Neu" miteinander zu verbinden, gemeistert werden kann.
Baugruppen sind aktuell eine beliebte Wohnform, um selbstgeplantes Wohnen nach individuellen Vorstellungen in einem angespannten Wohnungsmarkt in Wien zu realisieren. Die Stadt Wien unterstützt Baugruppen beispielsweise mit eigens als "Baugruppe" gewidmeten Bauflächen. Michael Friesenecker, Institut für Soziologie der Universität Wien, ist Mitglied der Baugruppe "Grüner Markt" im Sonnwendviertel und gibt Einblick in den langjährigen Planungs- und Vorbereitungsprozess einer Baugruppe. Der Spatenstich des "Grünen Markts" erfolgt im November 2017, der Einzug ist für 2019 geplant.
Privatinitiierter und freifinanzierter Wohnbau: Im 15. Wiener Gemeindebezirk lassen sich vor allem im südlichen Teil auffallend viele Sanierungs- und Neubauprojekte beobachten. Die Häufung an Wohnbauprojekten in einem historisch gewachsenen Gründerzeitbezirk resultiert aus Nachholeffekten am Immobilienmarkt, EigentümerInnenwechsel sowie Nachverdichtungsdruck auch in unattraktiven Lagen – beispielsweise Gürtelnähe – aufgrund steigender Wohnraumnachfrage.
Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung für die Bezirke 6/14/15, die im 15. Bezirk als Kommunikationsdrehscheibe zwischen Magistrat und BewohnerInnen fungiert, weist auf die Qualitätssteigerung bei gemeinsamen Planungsprozessen hin. Auch im privatinitiierten Neubau kann durch Planungsabstimmung beispielsweise eine lebendige Erdgeschosszone im Stadtteil geschaffen werden. Statt Müllraum und Garageneinfahrt ist in diesem Neubau ein Ladenlokal für einen Optiker entstanden.
Wohnungsnot damals wie heute: Ursprünglich illegale "Brettersiedlungen" wurden später von der Stadtverwaltung genehmigt und deren Planung legalisiert. So entstand als ein prominentes Beispiel auch die Wiener Werkbundsiedlung am Rande des 13. Gemeindebezirkes.
Im Rahmen der Wiener Siedlerbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigneten sich Einzelpersonen eigeninitiativ Grund und Boden an, um dort eigene Häuser und Siedlungen zu bauen und damit einer akuten Wohnraumnot zu entkommen. Die innovativen Raumüberlegungen, die damals in der Werkbundsiedlung zum Einsatz kamen, sind auch heute wieder state-of-the-art. Damals wie heute gilt: kleine Grundfläche bei gleichzeitiger effizienter Raumnutzung.
Wohnqualität als Luxusgut: Der letzte Tag der Exkursion widmete sich dem Thema "Wohnen und Wohnqualität als Luxusgut". Gemeinsam mit einer Maklerin der Raiffeisen Gruppe besuchte die Exkursionsgruppe eine Wohnung der Kategorie "Luxury living". Der Dachgeschossausbau einer Jugendstilvilla im Wiener Cottageviertel schafft sechs neue Wohnungen, die mit einem Quadratmeterpreis von ca. 11.000 Euro am Immobilienmarkt erhältlich sind.
Lage, Lage, Lage: Neben Größe und Ausstattung ist vor allem die Lage für KäuferInnen einer Luxuswohnung entscheidend. Die künftigen Eigentumswohnungen bieten einen Rundumblick über Wien. Die erwarteten KaufinteressentInnen stammen sowohl aus dem Ausland als auch aus dem Inland. Nach Auskunft der Maklerin gab es vor ca. fünf Jahren noch kaum Wohnungen im Luxussegment in Wien. Mittlerweile sei der Markt übersättigt. Viele Bauträger haben sich auf das Hochpreissegment spezialisiert, da hier hohe Renditen zu erzielen sind. Nicht selten lässt sich auch beobachten, dass Luxuswohnungen mittlerweile auch jenseits der bevorzugten Lagen (1., 13., 19. Bezirk) errichtet werden, was sich mietpreissteigernd im freifinanziertem Markt auswirkt.
In einem sich verknappenden Wohnungsmarkt lassen sich inzwischen auch andere etablierte Wohnformen in Wien als Luxuswohnen bezeichnen. Viele der heutigen Kleingartensiedlungen, Gartensiedlungen oder einfachen Wohnsiedlungen wurden ursprünglich illegal oder nur temporär errichtet und im Laufe der Jahrzehnte schrittweise im Nachhinein legalisiert. Auf der Wiener Schmelz gibt es auf dem Gelände eines ehemaligen Exerzierplatzes noch heute den Kleingartenverein Schmelz.
Für 660 ParzellenpächterInnen gibt es hier die Möglichkeit auf Naherholung mitten im Grünen. Obwohl die Parzellen nicht mit einer dauerhaften Wohnnutzung ausgestattet sind, kann doch eine schrittweise Vergrößerung der gebauten Häuser auf den Kleingartenparzellen bemerkt werden. Einige wirken augenscheinlich auch ganzjährig bewohnt. Die Nachfrage nach den Pachtgrundstücken steigt stetig an. Stammten die InteressentInnen früher noch aus den Gemeindebauten in der direkten Umgebung, so kommen heute die neuen Anfragen zumeist aus ganz Wien.
Kleingärten wurden auf Pachtgründen der Gemeinde Wien errichtet. Obwohl die Siedlungen nur für eine kleine EinwohnerInnenzahl zur Verfügung stehen, sind die Bezirke kaum daran interessiert, diese Grundstücke einer anderen Wohnnutzung zuzuführen. Die Exkursionsgruppe diskutiert für und wider einer alternativen Flächennutzung: Bei Nutzung der halben Arealfläche des Kleingartenvereins könnte Wohnraum für die zehnfache Menge an MieterInnen im Vergleich zur heutigen PächterInnenzahl geschaffen werden. Die übrige Kleingartenfläche ließe sich als öffentlich zugänglicher Park im dicht verbauten 15. Bezirk öffnen.
Die Abschlussdiskussion der Exkursion verdeutlicht, dass viele der Studierenden nun einen anderen Blick auf die gebaute Stadt haben. Wohnungsmarktsegmente mit einem sozialen Anspruch sind oftmals nur vordergründig inklusiv, während gerade der freifinanzierte Wohnungsmarkt Exklusivität durch Kapitalbedarf erzeugt. Die Studierenden bewerten nun vor allem aber auch ihre persönliche Wohnsituation anders als noch vor der Lehrveranstaltung. (Alle Fotos: Yvonne Franz und Elisabeth Gruber)
Das aktuelle enorme Bevölkerungswachstum wird Wien bis 2030 mehr als zwei Millionen EinwohnerInnen bringen. Das stellt den Wiener Wohnungsmarkt zunehmend unter Druck. Die gesteigerte Nachfrage am Wohnungsmarkt, die vor allem durch internationale Zuwanderung entsteht, kann nicht ausreichend abgedeckt werden. Im Rahmen einer dreitägigen Exkursion, die am Institut für Geographie und Regionalforschung für 20 Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende des Fachs Geographie angeboten wurde, konnten verschiedene Wohnungsmarktsegmente besichtigt und aus der Perspektive verschiedener Akteursgruppen hinterfragt werden: Wie inkludierend beziehungsweise exkludierend sind die jeweiligen Wohnungsmarktsegmente hinsichtlich Verfügbarkeit und Leistbarkeit? Welche Wohnqualitäten gibt es aus der Perspektive verschiedener Lebenssituationen?
Yvonne Franz und Elisabeth Gruber sind Postdoc Wissenschafterinnen am Institut für Geographie und Raumforschung. Sie bieten für Bachelor- und Masterstudierende regelmäßig Exkursionen zu aktuellen Stadtentwicklungsprozessen in Wien an.
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