Wie aus Forschung ein Dokumentarfilm wird
Redaktion (uni:view) | 23. Oktober 2013Die Sprachwissenschafterinnen der Universität Wien Verena Krausneker und Katharina Schalber haben die Geschichte der Gehörlosen im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Aus dem Projekt ist der Dokumentarfilm "nicht verstummt" entstanden, der am 10. November im ORF zu sehen ist.

Über die von Euthanasie, Zwangssterilisation und anderen Diskriminierungen betroffene gehörlose Minderheit im Nationalsozialismus war bis vor kurzem wenig bekannt. Das hat sich mit dem Forschungsprojekt "Gehörlose ÖsterreicherInnen im Nationalsozialismus" von Verena Krausneker und Katharina Schalber, beide vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, geändert.

Die beiden Wissenschafterinnen haben im Rahmen ihres Projekts die bis dahin unbekannten Informationen zur Geschichte der Gehörlosengemeinschaft erarbeitet. "Dafür haben wir 24 gehörlose ZeugInnen dieser Zeit in den USA und in Österreich befragt und ihre Lebensgeschichten dokumentiert", erzählt Projektleiterin Krausneker.

Viele der Gespräche dauerten mehrere Stunden – manche gingen sogar über Tage. Die Begegnungen mit den zum Teil sehr betagten ZeitzeugInnen waren für die beiden Forscherinnen bewegend: "Die meisten Erzählungen waren dramatisch und berichteten von schlimmen Kindheits- und Jugenderfahrungen. Gleichzeitig wurden Humor, Herz und eine große Resilienz deutlich, was uns sehr beeindruckt hat." (Im Bild: Verena Krausneker im Gespräch mit einer Zeitzeugin)

Schließlich flossen alle Ergebnisse und Erkenntnisse zum Schicksal der österreichischen Gehörlosengemeinschaft in der NS-Zeit in eine DVD ein. Diese umfasst acht Kurzfilme, jeweils zwischen 19 und 45 Minuten lang. Die gehörlose Lehrerin Astrid Weidinger führt dabei als Erzählerin durch acht thematische Kapitel. "Das Medium Videofilm mag akademisch ungewöhnlich sein. Doch wir wollten etwas Innovatives auf die Beine stellen, das außerdem den Bedürfnissen unserer Zielgruppe, die die Österreichische Gebärdensprache verwendet, gerecht wird", so Krausneker.

Die Nachfrage nach der DVD war so groß, dass drei Auflagen – jeweils eine mit deutschen, englischen und italienischen Untertiteln – schnell vergriffen waren. Vier der insgesamt acht Filme ohne Ton liefen auf Filmfestivals in Hong Kong, Canada, den USA und Deutschland. Schließlich wurden alle Videofilme mit den Titeln "Gehörlosenvereine", "Gehörlosenschulen", "NS-Euthanasie", "Zwangssterilisation", "Shoa", "Lager", "Krieg" und "Widerstand" frei und kostenlos auf der Projektwebsite zugänglich gemacht.

"Vom Zukunftsfonds der Republik Österreich finanziert, haben wir schließlich das gesamte Material neu geschnitten und fernsehtauglich aufbereitet", freut sich Krausneker. Die begleitende Musik zu den packenden Geschichten erstellte dabei der Komponist Konrad Rennert. Drei ausgezeichnete SynchronsprecherInnen liehen den gehörlosen ErzählerInnen ihre Stimmen, damit sie auch nicht-gebärdensprachkompetente Menschen verstehen.

Beim "Festival der Nationen" in Ebensee wurde der 45-minütige Dokumentarfilm von der international besetzten Jury mit einem Bronzenen Bären ausgezeichnet. Ein großer Erfolg für die beiden Neo-Filmemacherinnen, die alles – von der Recherche über Interviews, Buch, Script, Regie, Schnitt, Übersetzung bis hin zu den Untertiteln – selbst bewerkstelligt haben.

Am 10. November 2013 wird der preisgekrönte Dokumentarfilm "nicht verstummt" über das Schicksal der österreichischen Gehörlosengemeinschaft auf ORF III ausgestrahlt. Der Film wird in Österreichischer Gebärdensprache, mit deutscher Synchronisation und deutschen Untertiteln gespielt – und ist somit für alle SeherInnen und HörerInnen rezipierbar. (Fotos: Verena Krausneker, Text: Verena Krausneker/red)