Theater im Kontext der Refugee-Bewegung
Gastbeitrag Forschungsplattform Elfriede Jelinek: Texte - Kontexte - Rezeption | 29. Oktober 2015Der Chor in Elfriede Jelineks Flüchtlingsdrama "Die Schutzbefohlenen" spricht eine unbequeme Wahrheit aus. Am 19. Oktober diskutierten WissenschafterInnen der Universität Wien das Stück im Kontext der aktuellen Refugee-Bewegung. Es ging um Asylrecht, Ausschlussmechanismen und das xenophobische Sprechen.

Am 19. Oktober 2015 veranstaltete die Forschungsplattform "Elfriede Jelinek: Texte – Kontexte – Rezeption" der Universität Wien und das "Elfriede Jelinek-Forschungszentrum" eine Diskussionsveranstaltung zu Jelineks Theatertext "Die Schutzbefohlenen". (Foto: Martin Vukovits)

Die Veranstaltung fand anlässlich des neu erschienenen JELINEK[JAHR]BUCHS 2014-2015 statt, das von Pia Janke, Leiterin der Forschungsplattform, zu Beginn des Abends präsentiert wurde.

Silke Felber, Universitätsassistentin und Postdoc der Forschungsplattform Elfriede Jelinek, gab zunächst eine kurze Einführung in Jelineks Theatertext "Die Schutzbefohlenen", der zwar bereits 2013 entstanden war, sich aber heute "als brisanter denn je" erweise.

Ausgehend von der Besetzung der Wiener Votivkirche durch Refugees und UnterstützerInnen (2012) sowie von der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa (2013) verhandelt die Autorin darin Asylrechtsmissstände, Ein- und Ausschlussmechanismen im Kontext von Migration sowie das xenophobische Sprechen darüber.

Referenzpunkte des Gesprächs bildeten drei künstlerische Auseinandersetzungen mit Jelineks Text: die Inszenierung des Burgtheaters in der Regie von Michael Thalheimer, das Theaterprojekt "Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene" (Die schweigende Mehrheit sagt JA) und das Übersetzungsprojekt "Die, should sea be fallen in" (VERSATORIUM), das als Auftakt des Abends präsentiert wurde.

Die Performance, die gemeinsam mit Refugees des Refugee Protest Camp Vienna und Studierenden der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Ivna Zic und dem DRAMA FORUM von uniT erarbeitet worden war, stieß auf äußerst konzentrierte ZuhörerInnen.

Die anschließende Diskussion verstand sich als Diskurs an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Politik. Es diskutierten der Chefdramaturg des Burgtheaters Klaus Missbach, die Regisseurin Tina Leisch, der Migrationsforscher Christoph Reinprecht, die Literaturwissenschafterin Christine Ivanovic und die Studienrichtungsvertreterin Catherine Hofbauer, moderiert von Silke Felber.

Catherine Hofbauer, die als Studienrichtungsvertreterin aktiv am Refugee Protest Camp beteiligt war, erinnerte sich an die Ereignisse rund um die "Besetzung" der Votivkirche, die Elfriede Jelinek als Anlass für ihren Theatertext dienten.

Christoph Reinprecht, der von 2012 bis 2015 Sprecher der interfakultären Forschungsplattform "Migration and Integration Research" der Universität Wien war, zeigte auf, inwiefern Jelineks Text sprachpolitische Strategien entlarvt, die der Argumentierung von Asylrechtsverschärfungen dienen.

Christine Ivanovic setzt sich in ihren Forschungen mit "translationaler Literatur" auseinander, d.h. mit Texten, die den Status eines Originals haben, also keine Übersetzungen darstellen, sich aber konstitutiv auf das Übersetzen beziehen. Jelineks Theatertext "Die Schutzbefohlenen" diene als Beispiel einer solchen Literatur.

Dramaturg Klaus Missbach, der Jelineks "Die Schutzbefohlenen" gemeinsam mit Michael Thalheimer im Burgtheater zur österreichischen Erstaufführung gebracht hatte, berichtete von den Herausforderungen, die Jelineks Text an ein künstlerisches Leading-Team stellt. Von der Forschung als "postdramatisch" bezeichnet, verfügt der Theatertext weder über Regieanweisungen, noch über Figuren im herkömmlichen Sinn.

Im Gegensatz zur Inszenierung des Burgtheaters, die auf den Kunstraum Theater fokussierte, erarbeitete die Regisseurin Tina Leisch den Text gemeinsam mit Vertriebenen aus Afghanistan und Syrien, die momentan im Erstaufnahmelager in Traiskirchen ausharren. Unterstützt wurden sie dabei von SchauspielerInnen, die schon länger in Österreich leben und zum Teil ebenfalls über Fluchterfahrung verfügen. Im Anschluss an die Veranstaltung, die auf großen Publikumszuspruch stieß, wurde zu Brot und Wein geladen. (Fotos: Helen Farnik)