Schmetterlinge im Kasten
Redaktion (uni:view) | 14. August 2012Jeden Tag legen die Ochsenaugen, die Andrea Grill und Elena Haeler aus Sardinien mitgebracht haben, hunderte winziger Eier. Ebenso klein sind die Raupen, die daraus schlüpfen. Um sie zu studieren, benutzen die Schmetterlingsexpertinnen ein ganzes Kisten-Sortiment: Koffer, Voliéren, Zuchtkästen und Klimaschränke. Ein Fotobericht.
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Schmetterlingsforscherin Andrea Grill vor der Voliére im Botanischen Garten der Universität Wien: Darin flattern einige Exemplare der Art Maniola jurtina (Große Ochsenaugen) – die Nachkommen von im Vorjahr gefangenen Tieren aus Österreich, wo die Falter je nach Höhenlage von Juni bis September zu beobachten sind. In der Voliére fehlt es ihnen an nichts – ja es ist sogar ein Schmetterlings-Schlaraffenland, da die Gärtner täglich frische Nektarpflanzen bereitstellen. Viel fressen müssen die Falter aber ohnehin nicht – sie haben sich schon als Raupen "vorausschauend" den Bauch vollgeschlagen.
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"Heimische Falter zu züchten, ist eine Herausforderung – das geht bei tropischen Schmetterlingen, die konstante Umweltbedingungen ohne jahreszeitliche Veränderungen in Temperatur und Tageslänge gewöhnt sind, leichter", erzählt Andrea Grill. Die Gewohnheiten der Großen Ochsenaugen zu studieren und dabei Erfahrungen beim Züchten zu sammeln, sind eigentlich nur ein Nebeneffekt der Forschungsarbeit der Biologin: Wenn die Zuchtexperimente erst einmal erfolgreich sind, will sie die österreichischen Falter mit ihren Verwandten von der italienischen Insel Sardinien "verkuppeln". Denn dort gibt es neben der in ganz Europa vorkommenden Art Maniola jurtina (im Bild ein Weibchen, aufgenommen in der Voliére im Botanischen Garten) noch eine weitere Ochsenaugenart, die nur auf Sardinien lebt: die sogenannten Sardischen Ochsenaugen oder auch Maniola nurag. Ob und wie die Falter erkennen, ob ein Gegenüber zur eigenen Art gehört oder nicht – und ob das eine Rolle im Paarungsverhalten spielt – gehört zu den Fragen, die Andrea Grill beantworten will: "Es geht darum, zu begreifen, warum sich diese nah verwandten Arten nicht einfach hemmungslos miteinander kreuzen und also genetisch vermischen, d.h. letztlich um einen winzigen Beitrag zur großen Frage: Wie entstehen Arten?", so die Biologin.
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Insgesamt fliegen die Männchen der europäischen Ochsenaugen zwei bis drei Wochen – sie sterben kurz nach der Paarung. Die Weibchen (im Bild) können den Sommer länger genießen: bis zur Eiablage. Und hier liegt auch der größte Unterschied zwischen den mittel- und nordeuropäischen Schmetterlingen und den mediterranen. Die sardischen Weibchen, sowohl von M. jurtina als auch von M. nurag, halten eine Art Sommerschlaf und legen ihre Eier erst Ende September ab. Warum das so ist, und von welchen Faktoren der Zeitpunkt der Eiablage abhängt, untersuchen Andrea Grill und die Diplomandin Elena Haeler im Labor. Bevor wir die speziellen Klimaschränke am Department für Tropenökologie und Biodiversität der Tiere begutachten, spazieren wir noch hinüber zu den Zuchtkästen, in denen dreierlei Schmetterlingsraupen untergebracht sind: M. jurtina aus Österreich, M. jurtina aus Sardinien sowie die Raupen der Sardischen Ochsenaugen M. nurag.
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Eine Raupenvilla mit Bodenheizung: In die Zuchtkästen legt Andrea Grill Taschentücher voller Schmetterlingseier – streng getrennt nach geographischer Herkunft. Der geöffnete Kasten gehört ganz den "Österreichern", aber rein äußerlich sind die winzigen Raupen (deren Eltern aus dem Burgenland und Niederösterreich stammen) nicht von ihren italienischen Verwandten im mittleren und den "Sarden" im hinteren Zuchtkasten zu unterscheiden. "Es gibt zwar minimale morphologische Unterschiede zwischen den M. jurtina- und den nurag-Raupen, aber die sind mit bloßem Auge nicht auszumachen", so Grill. Schon bald nach dem Schlüpfen machen sich die "Würmchen" zum Fressen in den Gräserwald davon. "Die Raupen überwintern nahe an der Erde – darum sind die Böden unserer Zuchtkästen mit Heizstäben ausgestattet – denn in Sardinien wird es ja nur selten so kalt wie hier in Österreich." Noch ist nicht klar, ob Temperaturschwankungen bereits im Raupenstadium das spätere Eiablageverhalten der erwachsenen Falter beeinflussen. Eine weitere Spur, der die Forscherin im Rahmen des FWF-Projekts "Hybridisierung in endemischen Tagfaltern" nachgeht.
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Kaum zu glauben: Was einmal ein Schmetterling wird, beginnt als winziger, hellbrauner Punkt. In der Natur legen die Schmetterlinge ihre Eier scheinbar nicht sehr zielgerichtet im Gras ab, im Labor tut's auch ein Stück Papier. Bevor sie in den Zuchtkasten kommen, werden alle Eier gezählt – eine langwierige Detailarbeit, der sich die junge Biologin Elena Haeler im Rahmen ihrer Masterarbeit widmet. In Österreich schlüpfen die Raupen im Hochsommer und verpuppen sich etwa acht Monate später. Im Juni oder Juli starten dann die ersten flugfähigen Falter in ihr kurzes Sommerleben – ab wann und wie lange sie fliegen, variiert je nach Region. "Im Salzkammergut kann man um diese Jahreszeit noch Ochsenaugen beobachten", so Andrea Grill. Für das Studium der Raupen hat die Forscherin also mehr Zeit, aber auch das ist nicht ganz einfach, da die Tiere neben unscheinbar und klein auch noch nachtaktiv sind. "Dafür können sie mir in den Zuchtkästen nicht entwischen und sind wohl, so hoffe ich, auch leichter zu finden als im Freiland", schmunzelt die Biologin.
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Nach den Zuchtkästen geht es weiter ins Labor – praktischerweise liegt es gleich neben dem Hinterausgang des Fakultätszentrums Biodiversität, der direkt in den Botanischen Garten führt. Die Master-Studentin Elena Haeler zeigt uns, wie die Falter nach dem – natürlichen – Tod in sorgfältig beschrifteten Briefchen aufbewahrt werden: im Eiskasten. Sie haben noch nicht "ausgedient", denn sie werden in einem nächsten Schritt auf genetischer Ebene untersucht. "Auf ähnliche Weise, also in Briefchen, haben wir die Falter auch im Flugzeug von Sardinien hierher gebracht. Zusammengefaltet und im Dunkeln rühren sich die Schmetterlinge nicht und können so für kurze Zeit transportiert werden, ohne dass ihnen etwas zustößt", sagt Haeler und erzählt, dass sie sich trotz spezieller Genehmigung mit den etwa 90 Faltern im Koffer schon ein wenig vor der Gepäckskontrolle am Flughafen gefürchtet hat. Zurück in Wien mussten die Tiere dann gleich "ausgepackt" und gefüttert werden – "am Heimreisetag habe ich inklusive Vorbereitungen in Sardinien, Rückflug und Versorgen der Schmetterlinge hier am Department insgesamt nur eine halbe Stunde geschlafen", verrät die Nachwuchsforscherin.
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Im Labor gibt es zwei Klimaschränke. Der eine simuliert lange Sommertage mit 16 Stunden Licht, der andere kurze mit acht Stunden Helligkeit. Beide messen tagsüber 25 Grad Celsius, nachts wird auf 16 Grad herunter gekühlt. Hier werden sardische und österreichische Falter zur Eiablage gebracht – Elena Haeler kommt jeden Tag zum Eierzählen und Füttern. Manche Dosen enthalten Gras, manche nicht – denn es könnte sein, dass allein das Vorhandensein von frischem Gras die Schmetterlinge zur Eiablage bringt, damit die Raupen später genug Futter finden. Vielleicht sind es aber auch die kürzer werdenden Tage, die den sardischen Ochsenaugen verraten, dass sie mit der Eiablage jetzt auf der sicheren Seite sind. Denn mitten im trockenen, sardischen Hochsommer würden die Raupen kein Futter finden und nicht überleben. "In meiner Diplomarbeit untersuche ich, welche Prozesse die Eiablage bei Maniola nurag steuern", so Haeler. Betreut wird sie dabei von Konrad Fiedler, Falterexperte und Leiter des Departments für Tropenökologie und Biodiversität der Tiere.
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Die Arbeit mit den Schmetterlingsweibchen ist intensiv: Ihre Lebenszeit beträgt wenige Wochen bis mehrere Monate. Den Rest des Jahres über sind Andrea Grill und ihre Mitarbeiterin Elena Haeler damit beschäftigt, die Daten zu analysieren und die Raupen zu beobachten: "Das Raupenexperiment im Freien ist das erste dieser Art, das wir durchführen, und wir hoffen, dass sich die Tiere gut entwickeln." Wenn sie nächstes Jahr schlüpfen, will Grill mit den Kreuzungsexperimenten beginnen. Dass sich Maniola jurtina und Maniola nurag auf Sardinien mitunter kreuzen, hat sie bereits in früheren Arbeiten nachgewiesen.
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Daneben arbeiten die Falterforscherinnen an einer Phylogeographie der Großen Ochsenaugen (im Bild ein M. nurag-Weibchen auf Sardinien) – "sprich wir schauen uns auf europäischer Ebene ihre genetische Vielfalt an". Und was das Beste an ihrem Forschungsthema ist: Spätestens im nächsten Frühjahr "muss" Andrea Grill wieder nach Sardinien hinunter. (Text: Bernadette Ralser/Fotos 1-7: Markus Steiner, Foto 8-9: Andrea Grill).
![]() | Lesen Sie mehr über das Elise-Richter-Projekt "Hybridisierung in endemischen Tagfaltern" unter der Leitung von Dr. Andrea Grill im Artikel "Schmetterlinge im Sommerschlaf" (uni:view, April 2011). |
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