Post aus dem Reich der Mitte (Tag 6-8)
Gastbeitrag von Antonia Steiner und Romana Groh | 20. August 2013E-Mail aus China! Diesmal berichten die Exkursionsteilnehmerinnen Antonia Steiner und Romana Groh, was die Gruppe aus Geographiestudierenden der Universität Wien und der Nanjing Normal University auf ihrer Reise durch die Provinz Jiangsu erleben.

Tag 6. Nach unserem zweitägigen Seminar in Nanjing begleitet uns Professor Jian Wang, Vizerektor der Nanjing Normal University, an die Küste der Region Jiangsu am Gelben Meer. Dort besprechen wir unter anderem die Themen Küstenprozesse und -formen, Landgewinnung und -nutzung, Tourismus und Infrastrukturboom. Die Küstenregion ist stark geprägt von großräumigen Bauprojekten, vorwiegend für Wohn- und Bürogebäude, aber auch neuen Industriegebieten (z.B. Petrochemie). Für den nationalen Tourismus ist diese Region sehr interessant, da es sonst nur wenige Stellen mit Bademöglichkeiten im Meer gibt. Eine große Herausforderung sind die starken Sedimentumlagerungsprozesse. Diese werden einerseits zur Landgewinnung genutzt, führen aber andererseits zu großen Problemen mit der Schifffahrt.

Unser erster Stopp nach einer vierstündigen Busfahrt von Nanjing ist das "Mi-Deer National Nature Reserve", das zum Schutz der in China endemischen Wildtierart und ihres Naturraums errichtet wurde. Nach einem Vortrag über das Reservat und die Tiere (bei ca. 40°C Außentemperatur in einem klimatisierten Seminarraum …) fahren wir gemeinsam mit dem Parkleiter in elektrischen Safarimobilen durch einen Teil des 4,7 Quadratkilometer großen Geländes. Mi-Deers waren vor Jahrhunderten in millionenfacher Zahl in dieser Gegend anzutreffen und wurden mit der rasanten Bevölkerungsentwicklung bis auf einige Exemplare in der Parkanlage des Kaisers in Beijing dezimiert. Ein britischer Missionar führte einige der Tiere aus und züchtete sie – aus dieser Zucht wurden die Mi-Deers wieder reimportiert. Heute befindet sich auf dem Parkgelände die mit ca. 1.000 Tieren größte freilebende Mi-Deer-Herde.

Die Problematiken eines an der Wattküste errichteten Frachthafens mit einem 15 Meter tiefen Zufahrtskanal wird am etwa eine Stunde entfernten "Dafeng Port" diskutiert. Grundsätzlich müssen an solchen Flachküsten lange, ins Meer hinausreichende Zubringer gebaut werden, über die man die Schiffe be- und entladen kann. Wir besprechen die Vor- und Nachteile eines Dammes bzw. einer Brücke als Zufahrtsmöglichkeit, auch in Anbetracht der extremen Sedimentumlagerungen (ca. 45-50 Kilometer Landzuwachs in 900 Jahren). Über den Frachthafen werden jedes Jahr rund 1.200 Schiffe abgefertigt.

Auf Grund eines Gezeitenhubs von stellenweise mehr als acht Metern entstehen Abflusskanäle, verzweigt wie bei einem Flusssystem, die starke Strömungen sowie Sedimentfracht bedingen. Sedimentation kann starke Auswirkungen auf die Küstenlandschaften haben, sowohl für die Oberflächenformen als auch für die BewohnerInnen. Aus diesem Grund muss, wie bereits erwähnt, jede Veränderung – wie beispielsweise die Errichtung einer Brücke oder eines Damms – im Detail geplant werden. Besonders wichtig ist auch das genaue Monitoring der Umweltsituation, um möglichen Veränderungen umgehend entgegenwirken zu können. Das Gebiet wird weiterhin traditionell genutzt: Bei Ebbe sammeln Einheimische Krabben und Meerestiere im Watt.

Der Frachthafen liegt zwischen Shanghai und Beijing. Nach Erläuterungen des Hafenleiters soll seine Kapazität bis 2020 verdoppelt werden. Er ist bereits jetzt der siebtgrößte Hafen Chinas und hat nationale und internationale wirtschaftliche Bedeutung. 35 Prozent des Frachtguts bildet Kohle, 25 Prozent Minerale, aber auch Gestein, Holz und Reis werden geladen und verschifft. Ein Großteil der Schiffe liefert Ware von und nach Japan, Südkorea und Taiwan. Am Abend fahren wir in weiteren zwei Stunden mit dem Bus weiter zur "Kleinstadt" Yancheng mit ca. 1,6 Mio. Einwohnern und 7,3 Mio. im Umland, wo wir vom Bürgermeister willkommen geheißen und zum Abend-Bankett eingeladen werden.

Tag 7. Morgens fahren wir in zweieinhalb Stunden weiter nach Lianyungang. Im "Urban Planning Exhibition Center" berichtet uns der Tourismusmanager über die Stadtentwicklung und eine geplante Zugstrecke, die "Eurasian-Continental-Bridge". Diese soll über 34 Länder von Lianyungang, China, bis nach Rotterdam in den Niederlanden führen. Der Ausbau der Stadt, der wirtschaftliche und touristische Ziele verfolgt, wird uns in einem pompösen Video demonstriert. Die Stadtvergrößerung ist bereits in vollem Gange und folgt dem enormen Urbanisierungsboom an Chinas Küste.

Nach der Übernachtung im universitätseigenen Hotel fahren wir über den 6,7 Kilometer langen "West Dike" auf Liandao Island. Die Aufgabe des Westdamms besteht hauptsächlich in der Prävention von Sedimenttransport in den Zufahrtskanal des Hafen Lianyungang, wird aber auch als Transportweg zur vorgelagerten Insel genutzt. Dort wandern wir von der Soma Bay zur Dasha Bay. Unterwegs diskutieren wir über die unterschiedlichen metamorphen Gesteine an der hier einzigartigen Steilküste. Von der Küstenform und der anzutreffenden Vegetation ist auf eine geringe Wellenaktivität in diesem Küstenabschnitt zu schließen.

Auf der Wanderung über einen angelegten Pfad in die nächste Bucht betrachten wir die unterschiedlichen Erosionsformen, die durch den Wellengang entstanden sind und die Oberflächenform des anstehenden Gesteins geprägt haben. Entlang des Weges erklärt uns Professor Wang viele Details über den Nationalpark, dessen Bedeutung für Natur und Tourismus, sowie Küstenprozesse an dieser einzigartigen Steilküste.

Die Dasha Bay ist in ganz China als Strand von besonderer Schönheit bekannt. Dementsprechend ist die touristische Entwicklung weit fortgeschritten. Nach der Wanderung in der Mittagshitze bei bis zu 40 Grad Celsius erfrischen wir uns im Meer und lassen den Tag im hier so "blauen Wasser" des Gelben Meeres ausklingen. Wir baden dort mit zahlreichen Einheimischen, die die Seltenheit eines Badestrandes in China ebenfalls genießen wollen. Da sehr viele ChinesInnen nicht schwimmen können, sind die meisten mit einem farbenfrohen Schwimmring im Meer. Um nicht braun zu werden, gehen sie auch häufig mit Sonnenschirm oder Regenjacke schwimmen.

Tag 8. Zum Abschluss in Lianyungang fahren wir zum höchsten Berg der Provinz Jiangsu, den Huagou Shan mit 642 Metern (Yunu Peak). Die Verlagerung des Yangtse River in Richtung Norden und die damit verbundene Küstenverlagerung wird aufgrund der hervorragenden Aussicht auf dem Gipfel an Hand einer Karte erklärt. Vor mehreren Hundertmillionen Jahren ragten die drei höchsten Spitzen nur als Insel aus dem Meer. Frühere Kliffe in verschiedenen Höhenlagen des Berges sind nur noch zu erahnen und werden wissenschaftlich stark diskutiert. Wie sich die Küstenbereiche aufgrund der Sedimentation in Zukunft entwickeln werden, bleibt fraglich.

Nach einer kurzen Einführung in die verschiedenen Erosionsformen starten wir den Abstieg über den ausgebauten Treppenweg. Da in China die Sicherheit der BesucherInnen ein sehr wichtiges Thema ist, sind sämtliche Wanderwege in den Nationalparks ausgebaut. Die Verantwortung bei Unfällen liegt bei den Nationalparkbetreibern.

Um die TouristInnen auf den Berg zu locken, werden verschiedene Attraktionen angeboten, etwa kann man sich in einer Sänfte hinauftragen lassen – ein Fortbewegungsmittel aus früheren Zeiten. Weiters begeistert ein künstlicher Wasserfall mit extra angelegter Höhle die tagtäglichen Besuchermengen. Der Berg genießt in China einen hohen Bekanntheitsgrad, da er eine bedeutende Rolle in der Nationalnovelle "Journey to the West" spielt.

Eine der Hauptattraktionen sind Affen, die sich auf dem Berg frei bewegen und von den PassantInnen verbotenerweise gefüttert werden. Entlang des Wegs finden sich immer wieder Felsblöcke, die auf einen Bergsturz hinweisen. Da es sich um Felsen mit bereits abgerundeten Kanten handelte, ist anzunehmen, dass sich dieser Bergsturz bereits vor vielen Jahrhunderten ereignet hat. Von hier führt uns unsere Exkursion mit dem Bus fünf Stunden zurück nach Nanjing und mit dem Highspeedtrain weiter nach Beijing. Die 900 Kilometer von Nanjing nach Beijing daueren nur etwas mehr als vier Stunden, was bei 300 Stundenkilometern Fahrtgeschwindigkeit nicht verwunderlich ist! Fortsetzung folgt ...