(M)ein Campus – viele Geschichten
| 09. Mai 2018Eine grüne Oase im Herzen der Stadt. Ein Ort der Begegnung. Ein Ort der Wissenschaft und Lehre. Ein Ort der Erinnerung. Der Campus der Universität Wien hat viele Gesichter, denn seine bewegte Geschichte reicht weit zurück.
Vor 30 Jahren schenkte die Stadt Wien das zehn Hektar große Areal offiziell der Universität Wien – 1998 wurde es als "Campus der Universität Wien" feierlich eröffnet. Heute sind auf dem knapp zehn Hektar großen Areal am Wiener Alsergrund 16 Institute der Universität Wien beheimatet. Trotz Umbau und teilweiser Modernisierung blieben der historische Kern der Anlage sowie die Außenfassaden weitgehend erhalten. (© Universität Wien)
So erzählt auch heute noch jedes Bauteil, jeder Baum und jedes Tor von der bewegten Geschichte. Diese reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück, als das Areal noch ein Großarmen- und Invalidenhaus war. (Bild: Altes AKH in Wien, Kolorierter Stich von 1784/Wikimedia)
Der aufgeklärte Absolutist Kaiser Joseph II war es, der das Areal zum Allgemeinen Krankenhaus umwandelte und 1784 mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit eröffnete. Das Foto aus dem Jahr 1904 zeigt das Denkmal von Josef II in Hof 2. (© August Stauda/Archiv der Universität Wien)
Im selben Jahr wurde auch der "Narrenturm" (auch bezeichnet als "Tollhaus", "Irrenhaus", "Kaiser Josefs Gugelhupf") als weltweit erster Spezialbau zur "Bewahrung und ärztlichen Versorgung von psychisch Kranken" eröffnet. Eine wichtige Verbesserung, wurden doch damit die "Wahnwitzigen" erstmals als Kranke angesehen – die medizinische Versorgung blieb jedoch bescheiden. (© Archiv der Universität Wien)
Der "Narrenturm" gehört seit der Schenkung des AKH der Universität Wien, die seit 1971 darin untergebrachten pathologisch-anatomischen Sammlungen seit 2012 dem Naturhistorischen Museum Wien. (© Universität Wien)
Der imposante Judasbaum (der Name gründet auf der Legende, Judas Ischariot habe sich an einem solchen Baum erhängt) in Hof 2 ist heute ein beliebter Treffpunkt für Studierende. Doch die wenigsten wissen, dass der Baum ebenfalls auf das 18. Jahrhundert zurückgeht – und somit zu den ältesten seiner Art in Europa zählt. (© Universität Wien)
Durch das "Tor der heimlich Schwangeren" gingen zwischen 1784 und 1854 jährlich hunderte Frauen, um im Gebärhaus anonym und sicher entbinden zu können. Vor allem für ledige Mütter war das Wiener Gebärhaus ein "Zufluchtsort", um sie "vor der Schand und Noth" zu retten. "Der Zwist zwischen Kaiserhof und Katholischer Kirche, der durch diese Möglichkeit entstand, dauerte noch lange an", erzählt der Historiker Herbert Posch. (© Universität Wien)
Doch es waren weniger "feministische" Gründe, die den Kaiser dazu bewegten, sich gegen die Kirche zu stellen, sondern vielmehr der Wunsch nach möglichst "vielen österreichischen Soldaten", so Posch. Dass das sogenannte "Schwangerthor" gut angenommen wurde, davon zeugen die Geburtsmatriken der Pfarre in der Alser Straße – es sind die umfangreichsten in ganz Österreich. Bild: Chrobak Rudolf 1843-1910 Geburtshilfe Gynäkologie im Hörsaal (© Ferdinand Schmutzer/ Archiv der Universität Wien)
Nicht nur in der Geburtshilfe war das Allgemeine Krankenhaus Vorreiter – am Alsergrund wurden medizinische Forschung und wissenschaftlicher Fortschritt grundsätzlich groß geschrieben. (Karte aus dem Jahr 1830 von Carl Graf Vasquez)
So waren internationale Größen der Wiener Medizinischen Schule hier tätig: Von Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) über Theodor Billroth (1829–1894) bis Karl Landsteiner (1868–1943). Im Bild die Theodor Billroth-Statue in Hof 1, die im Nationalsozialismus propagandistisch in "Gedenken an das Genie deutschen Geistes" errichtet wurde. (© Universität Wien)
Im selben Hof steht der Zier- und Gedenkbrunnen, der auf das Jahr 1887 zurückgeht: Er erinnert an den Anschluss des Allgemeinen Krankenhauses an die I. Wiener Hochquellenwasserleitung 1875. Durch die fortan höhere Wasserqualität und -menge sank die Sterblichkeit im Krankenhaus signifikant. Der Planer der Wiener Hochquellenwasserleitung, Eduard Suess, war ordentlicher Professor für Geologie an der Universität Wien. (© Universität Wien)
Der Campus als Ort der Erinnerung: Im Jahr 1903 errichtete Max Fleischer einen Betpavillon für PatientInnen des AKH mit jüdischem Glauben. Nachdem die Nationalsozialisten die Synagoge verwüstet und die Stadt Wien sie 1950 zum Stromtransformator für den "Narrenturm" und die umliegenden Kliniken umfunktionierte, wurde sie ab 1998 von Minna Antova im Auftrag der Universität Wien zur Stätte des Gedenkens umgestaltet und 2005 das DENK-MAL Marpe Lanefesch eröffnet in dem sich heute auch das "Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938" befindet. (© Universität Wien)
Zum Gedenken lädt auch das 2008 errichtete Denkmal für vertriebene KunsthistorikerInnen der Universität Wien in Hof 9 ein: Es erinnert an alle AbsolventInnen des Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien, die aus ethnischen, religiösen und/oder politischen Gründen in der Zeit des Austrofaschismus und Nationalsozialismus ausgegrenzt, vertrieben und ermordet wurden. (© Herbert Posch)
So ist der Campus nicht nur ein Ort der Begegnung, der Wissenschaft und Lehre, sondern erinnert mit seinen zahlreichen historischen Bezügen und Denkmälern auch an vergangene Jahre. Bei einer Führung durch den Campus hat jede/r die Möglichkeit, in die bewegte Geschichte einzutauchen: Literarische Spaziergänge durch die Wissenschaftsgeschichte, Führungen zu den Beziehungen zwischen Campus und Stadt sowie zu seiner Botanik geben Einblick in die besondere Bedeutung dieses großen Universitätsstandorts. (© Universität Wien)
Zum 20-Jahr-Jubiläum des Uni Wien Campus präsentieren MitarbeiterInnen, Studierende, Lehrende und AbsolventInnen am Blog der Uni Wien unter dem Motto "Mein Campus" ihre Perspektive auf den #univiecampus.
VERANSTALTUNGSTIPP:
Die Architekturausstellung "Eine Transformation: Vom alten AKH zum Uni Wien Campus" wurde am 5. Juni um 18 Uhr in der Aula des Instituts für Kunstgeschichte am Campus eröffnet. Mehr dazu
BUCHTIPP:
Hinsichtlich seiner Geschichte und seiner gegenwärtigen Nutzung nimmt Brigitta Schmidt-Lauber in ihrem Buch "Universität und Stadt: Campus Altes AKH Wien" den Campus der Universität Wien in den Blick und zeigt die wechselseitigen Einflüsse von Stadt und Universität auf das Ineinandergreifen von Vergangenheit und Gegenwart.
