Exkursion Osttirol: Regionalentwicklung gegen Abwanderung

Mit Öffis ins Bergdorf: Im Rahmen einer Geographie-Exkursion nach Osttirol erlebten Uni Wien-Studierende, wie abgelegene Gemeinden Mobilität, Bildung und Arbeitsplätze für ihre Bevölkerung organisieren. Was sie dabei gelernt haben, berichtet LV-Leiterin Elisabeth Gruber im Gastbeitrag.

Studierende bei einer Wanderung in Osttirol.

Die Themen bei der Exkursion reichten vom Gemeindemobil über Bildungskooperationen bis zu Innovationsförderung und der nachhaltigen Tourismus-Entwicklung. Vor allem von den Mobilitätsprojekten zeigen sich die Studierenden beeindruckt. Das beruhte durchaus auch auf persönlicher Erfahrung – schließlich war die Exkursionsgruppe selbst ohne Reisebus unterwegs. Die anfängliche Skepsis diesbezüglich stellte sich jedenfalls als unbegründet heraus. 

Die Exkursion nach Osttirol fand im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Sommersemester 2019 statt und wurde von den LV-Leiterinnen Elisabeth Gruber und Petra Köck begleitet. Im Zentrum standen die Themen Abwanderung aus ländlichen Gebieten, demographischer Wandel und Daseinsvorsorge in betroffenen Orten. Die Studierenden haben sich mit Interviews im Lauf des Semesters vorbereitet, die Exkursion fand vom 15. bis zum 21. September 2019 statt. 


Die Exkursionsgruppe und LV-Leiterinnen Elisabeth Gruber (links) und Petra Köck (rechts) am Toblacher See. (© Elisabeth Gruber)

Gemeinsam mit 13 Bachelor- und Masterstudierenden der Geographie mit Schwerpunkt Raumforschung und Raumordnung waren Elisabeth Gruber und Petra Köck für eine Woche in Osttirol unterwegs, um sich unterschiedlichen Aspekten der Raumentwicklung zu widmen.


Einstimmung auf die Exkursion im "Adlerstüberl" in Lienz mit Regionsmanager Michael Hohenwarter. (© Elisabeth Gruber)

Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern nachhaltige räumliche Entwicklung in einem schwer erreichbaren Gebiet funktionieren kann, das zusätzlich mit Herausforderungen durch die alpine Topographie konfrontiert ist. Am ersten Tag trafen sich die Studierenden mit Regionsmanager Michael Hohenwarter, um Fakten über den Bezirk Osttirol und die regionalen Gegebenheiten zu erfahren. 


Bürgermeister Vitus Monitzer berichtet über die Gemeindeentwicklung in St. Veit im Defreggental. (© Elisabeth Gruber)

So kämpfen etwa die Gemeinden im Defreggental seit einigen Jahren mit einer rückläufigen Bevölkerungszahl – ohne dass sich dadurch die Aufgaben für eine Gemeinde verringern. Die Bereitstellung von Daseinsvorsorge für die Bevölkerung – etwa in den Bereichen Bildung, Soziales, Mobilität und Versorgung – fällt unter Abwanderungsbedingungen nicht leicht, denn weniger EinwohnerInnen bedeutet auch weniger Steuerzuweisung. 


Bürgermeister Hopfgartner empfängt die Gruppe in Hopfgarten im Defreggental. (© Elisabeth Gruber)

Die Gemeinden im Defreggental setzen daher auf Kooperation, um die Bereitstellung von Daseinsvorsorge auch in Zukunft zu ermöglichen: So wurde etwa ein Schulcluster gegründet, um auf abnehmende SchülerInnenzahlen zu reagieren.

Nachhaltige Entwicklungen durch öffentlichen Verkehr und energiesparendes Heizen

Im Defereggental und in der Gemeinde Virgen gibt es elektrisch betriebene Gemeindemobile, die ehrenamtlich von BürgerInnen zur Verfügung gestellt werden. Mehr Mobilität bedeutet so auch mehr sozialer Zusammenhalt: Durch das ehrenamtliche Netzwerk lernen sich Personen kennen, die sonst nicht in Kontakt getreten wären. 


Ein Parkplatz für das "Def-Mobil". (© Elisabeth Gruber)


Das "Virgen-Mobil" in der Gemeinde Virgen. (© Elisabeth Gruber)

Neben den öffentlichen Transportmitteln haben die Gemeinden in Osttirol aber auch andere Möglichkeiten gefunden, eine nachhaltige Transformation einzuleiten. Dietmar Ruggenthaler, Bürgermeister der Gemeinde Virgen, erkannte schon in den 1990er Jahren, dass erneuerbare Energien die Zukunft sind – sei es in der Mobilität oder im Hausgebrauch. 


Die Gruppe besucht den neuen Recyclinghof in Virgen. (© Petra Köck)

Die Gemeinde setzte daher schon früh auf Energiesparmaßnahmen und ermöglichte den BewohnerInnen Beratung beim Dämmen der Wohnhäuser. Sie betreibt auch ein eigenes Kleinkraftwerk sowie eine Nahwärmeanlage. Nachhaltigkeit wird auch beim Thema Recycling groß geschrieben: Durch die Errichtung eines neuen Recyclinghofes konnte der Restmüllanteil in der Gemeinde verringert werden. 

Herausforderungen mit Innovationen begegnen

Viele Gemeinden setzen in Osttirol auf innovative Ideen, um Herausforderungen aufgrund ihrer peripheren Lage zu überwinden. Dass Innovation und periphere Lage sich nicht widersprechen müssen, zeigt sich etwa daran, dass auch im Lienzer Talboden Unternehmen zu finden sind, die in ihrem Bereich global gesehen marktführend sind. Um in der wissensbasierten Ökonomie auf Dauer konkurrenzfähig zu bleiben, wurde im Jahr 2018 eine gemeinsame Ausgründung der Universität Innsbruck und der UMIT in Lienz eröffnet: Die Division für Mechatronik am Campus Lienz. 


Besuch am Universitätscampus in Lienz. (© Elisabeth Gruber)

Es ist kein Zufall, dass gerade in Lienz innovative Ideen umgesetzt werden. Diese Entwicklung ist unter anderem auf den Prozess "Vordenken für Osttirol" zurückzuführen, bei dem viele Ideen geboren wurden, die nun von verschiedenen AkteurInnen aus Wirtschaft und Politik umgesetzt werden. Vor allem im Lienzer Talboden arbeiten Gemeinden und AkteurInnen aus der Wirtschaft eng zusammen, um in einer globalen Wirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. 


Ein Vortrag von Oskar Januschke über die Zusammenarbeit im Lienzer Talboden. (© Elisabeth Gruber)

Tourismusentwicklung durch BürgerInnenbeteiligung

Für viele Gemeinden in alpinen Lagen ist die Entwicklung der Tourismusindustrie die einzige Möglichkeit, Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu generieren. Osttirol zeigt zwar keine massentouristischen Tendenzen, dennoch spielt der Tourismus für einige Gemeinden eine entscheidende Rolle. Die Gemeinde Kals am Großglockner war bis in die 1990er Jahre touristisch geprägt, konnte aber nur wenig Wertschöpfung generieren. Mit dem Zusammenschluss der Skigebiete von Matrei und Kals und dem Bau einer modernen Hotelanlage konnte sich die Gemeinde tourismuswirtschaftlich erfolgreich weiterentwickeln. 


Das Gradonna Mountain Resort in der Gemeinde Kals am Großglockner – Blick aus dem Hotelturm auf die Gemeinde Kals. (© Petra Köck)

Bürgermeisterin Erika Rogl und Altbürgermeister Klaus Unterweger erklärten, dass die Gemeinde auf den Dialog mit den BürgerInnen im Rahmen von Bürgerbeteiligungsprozessen setzt. Nur so konnte eine nachhaltige Umsetzung der Tourismusentwicklung in Kals gelingen. Für die Studierenden im Bereich der Raumordnung war es zudem erfreulich zu hören, dass die örtliche Entwicklung gemeinsam mit dem Raumplaner Wolfgang Mayr umgesetzt wird. So unterstütze Mayr die Gemeinde maßgeblich bei der Standortfrage der Hotelanlage. Momentan ist die Gemeinde dabei, ein neues örtliches Raumordnungsprogramm zu entwickeln. 


Diskussion mit Bürgermeisterin Erika Rogl und Altbürgermeister Klaus Unterweger im Gemeindamt in Kals am Großglockner (© Petra Köck)

Die räumliche Lage in Osttirol ist nicht nur aufgrund der Topographie herausfordernd. Vor ziemlich genau 100 Jahren, im September 1919, wurde im Friedensvertrag von St. Germain festgelegt, dass Südtirol ein Teil des italienischen Staates wird. Osttirol verwandelte sich damit in eine räumliche "Sackgasse". Erst durch den Bau des Felbertauertunnels Ende der sechziger Jahre konnte eine zusätzliche Anbindung – neben der Verbindung über das Drautal – an Westösterreich geschaffen werden. Wichtig war auch die europäische Integration – kein Wunder also, dass die grenzüberschreitende Kooperation für den Bezirk einen hohen Stellenwert hat. Im Rahmen einer Interreg-Veranstaltung im Südtiroler Toblach konnten die Studierenden einiges über Aktivitäten der europäischen Programme lernen. 


Die Interreg-Veranstaltung fand im Toblacher Grand Hotel statt. (© Elisabeth Gruber)

Wandern im Nationalpark Hohe Tauern

Osttirol bot den Studierenden bei ausgezeichnetem Wetter auch Einblicke in die einzigartige Naturlandschaft des Nationalparks Hohe Tauern. Bei einer Wanderung auf dem Zettersfeld erklärte Nationalpark-Ranger Andreas Angermann Interessantes zu Flora und Fauna der einzigartigen Hochgebirgslandschaft. 


Mittagspause auf der "Adler Lounge" mit Blick auf den Großglockner. (© Elisabeth Gruber)

Der Nationalpark Hohe Tauern stellt das größte Schutzgebiet Europas dar. Die Gründung eines Nationalparks in den Zentralalpen wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts angestrebt, jedoch aufgrund diverser Schwierigkeiten erst in den 1980er Jahren final verwirklicht. Der Nationalpark liegt nicht nur im Gebiet von drei Bundesländern, sondern auch im Grundbesitz von etwa 1000 unterschiedlichen Eigentümern. Während zu Beginn große Skepsis aufgrund von Nutzungseinschränkungen vorherrschte, gilt der Nationalpark heute als Grundlage für den Schutz der Natur- und Kulturlandschaft sowie für nachhaltigen Tourismus. 


Unterwegs mit dem Nationalpark-Ranger. (© Elisabeth Gruber)

In einer Abschlussdiskussion wurden schließlich Erfahrungen mit dem Regionsmanager Michael Hohenwarter ausgetauscht. Die Studierenden erzählten mit ihrem "Blick von Außen" von ihren Erlebnissen. Vor allem die Bemühungen der Region, Moblität zu ermöglichen, bewerteten die Studierenden als sehr positiv. Das beruhte auch auf persönlicher Erfahrung, denn unsere Exkursionsgruppe war mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. 


Abschlussdiskussion mit Michael Hohenwarter (© Elisabeth Gruber)

Für die meisten Studierenden war es durchaus erstaunlich, dass Osttirol so große Anstrengungen unternimmt, um seinen BewohnerInnen eine gute Lebensqualität zu bieten. Osttirol beweist damit, so die Meinung der Studierenden, dass eine periphere Lage kein Schicksal sein muss, sondern auch Innovationen bewirken kann. 

Zur Autorin: Elisabeth Gruber arbeitet im Fachbereich Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung am Institut für Geographie und Regionalforschung. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören räumliche Herausforderungen, Migrationsforschung und Binnenwanderung sowie Abwanderung und Regionalentwicklung in ländlichen Räumen. Sie hat gemeinsam mit Petra Köck die Lehrveranstaltung "Raumentwicklung zwischen Möglichkeiten und Grenzen" gehalten und die Exkursion nach Osttirol organisiert.