Die Familienmacher
| 16. März 2012Am Sonntag, 25. März 2012, findet im Museum für Volkskunde die Finissage der Ausstellung "Familienmacher" statt, die im Rahmen des WWTF-Projekts "Doing Kinship with Pictures and Objects" konzipiert wurde. Bei der Abschlussveranstaltung wird auch der Ausstellungskatalog präsentiert.
Endstation Museum? Keineswegs! Diese Fußballschuhe – ein altes "Familiending" – wollte der Besitzer nicht einfach wegwerfen, aber dennoch loswerden. Da war er bei der Station "Loswerden" in der Ausstellung "Familienmacher" im Wiener Volkskundemuseum genau richtig. Hier können Familienobjekte abgegeben werden, "für die eine neue gute Bleibe gesucht wird", so zu lesen in der "Gebrauchsanweisung zur Ausstellung". Jeder und jede BesucherIn kann dabei einen Gegenstand in der Ausstellung abgeben und mit einer kurzen Beschreibung sowie Erwartungen an die zukünftigen BesitzerInnen versehen: BesucherInnen der Ausstellung können sich nämlich einen Gegenstand aussuchen und gegen ein eigenes Familiending eintauschen.
"Ich erkenne kein einziges Objekt wieder. Innerhalb von nur wenigen Wochen finden sich jetzt lauter neue Familiendinge auf den Ablagen", freut sich Sozialanthropologin Tena Mimica, eine der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Ausstellung: "Über hundert Stücke haben bisher Besitzer gewechselt." Der große Anklang, den diese Station erfährt, zeige, so Mimica, dass Objekte, die Menschen mit Geschichten, Erinnerungen, etc. verbinden, aber nicht wirklich brauchen können, großes Thema sind. "Mit der Station brechen wir quasi ein museales Tabu, da die Gegenstände in diesem Fall nicht im Museum verbleiben", erklärt die Jungwissenschafterin. So habe das Österreichische Museum für Volkskunde schon mehrere Anfragen von BesucherInnen bekommen, die "Tauschwand" in der Dauerausstellung beizubehalten.
Ana Ionescu (Institut für Europäische Ethnologie), Tena Mimica (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie) und Lukasz Nieradzik (Institut für Europäische Ethnologie – v.l.n.r.) führten im Rahmen des WWTF-Projekts "Doing Kinship with Pictures and Objects" die ethnografischen Forschungen im 8. und 16. Wiener Gemeindebezirk durch und konzipierten gemeinsam mit der Designerin Kathrina Dankl, der Kunst- und Kulturvermittlerin Karin Schneider und der Projektleiterin Elisabeth Timm die Ausstellung "Familienmacher" – mit dem Titel sind übrigens keine Personen gemeint, sondern Dinge, Objekte und Praktiken, die mit Familie und deren Konstruktion zu tun haben.
Zu Projektbeginn – das WWTF-Projekt ist eine Kooperation der Universität Wien, der Universität für angewandte Kunst Wien und des Österreichischen Museums für Volkskunde – suchten sie zunächst auf ethnografischer Feldforschung nach Orten, an denen Familie "gemacht" wird. Sie identifizierten dabei Fotostudios, Second Hand-Geschäfte, Callshops, Seniorenheime sowie ein "Wedding Center". Anschließend führten die NachwuchswissenschafterInnen über 30 Interviews mit Menschen aus dem jeweiligen Umfeld durch, um mehr Informationen über Familienpraktiken mit Objekten zu erhalten. Die Idee zur Tauschstation hat sich zum Beispiel aus Gesprächen mit älteren Menschen in Pensionistenheimen ergeben.
"Die interdisziplinäre Arbeit mit den KollegInnen aus den Bereichen Design und Kunst war unglaublich spannend", erzählt Ana Ionescu, die derzeit am Institut für Europäische Ethnologie eine Praedoc-Stelle innehat. Ebenso wie Lukasz Nieradzik, der das WWTF-Projekt auch aus methodologischer Hinsicht sehr interessant findet. Für Tena Mimica vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie war es "sehr bereichernd, Wissenschaft, Kunst und Alltagspraxis miteinander zu verbinden." Projektleiterin Elisabeth Timm, die 2011 vom Institut für Europäische Ethnologie an der Universität Wien an die Universität Münster wechselte, freut sich, mit NachwuchswissenschafterInnen zu arbeiten und diesen so die Möglichkeit zu geben, noch vor ihrer Dissertation in einem großen Drittmittel-Projekt zu forschen.
Die zweite von den insgesamt drei Stationen der Ausstellung, "Verbinden", entwickelte sich aus Nachforschungen, Recherchen und Interviews, die die WissenschafterInnen in Callshops durchgeführt haben. "Das Handy kann man durchaus als 'Standleitung zur Familie' bezeichnen", erklärt Lukasz Nieradzik. Die Kommunikation am Telefon und per SMS ist einerseits sehr persönlich und dabei oft banal. Ana Ionescu: "Sie passiert einfach nebenbei, ist selbstverständlich und wird deshalb jetzt nicht so sehr als Familienereignis festgemacht wie zum Beispiel Weihnachten."
In der Ausstellung können BesucherInnen gespeicherte Familien-SMS an das Handy vor Ort weiterleiten, die daraufhin in den nächsten Tagen am Newsticker und im roten Behälter am Tisch zu sehen sind. Mit den bereits gesendeten SMS kann dann ein Lesetheater bzw. ein Mini-Theaterstück kreiert werden, indem einzeln ausgeschnittene Kurzmitteilungen zu einem Dialog zusammengefügt werden.
Die dritte und letzte Station von "Familienmacher" lautet "Festhalten". Dort können in das aufliegende sogenannte Superalbum vor Ort produzierte Fotos, mitgebrachte Fotografien oder von anderen abgelegte Fotografien eingeklebt werden. Wie die Fotos dann im Album zusammengestellt werden, finden die ForscherInnen natürlich besonders spannend.
Dabei werden nämlich durchaus "klassische" Muster befolgt: So finden sich Kinderfotos mit Weihnachtsszenen auf einer Seite …
… und zahlreiche Hochzeitsfotos nehmen sogar fast zwei Seiten ein. BesucherInnen haben an der Station "Festhalten" gleich mehrere Möglichkeiten. Sie können persönliche Fotos, digitale "Spaßfotos", aussortierte Bilder sowie Fotos für das Album in jeweils eigene Laden platzieren bzw. von dort für das Album verwenden.
Viel Spaß haben die Ausstellungsgäste im eigenen Fotostudio. Vor dem "Fototermin" müssen sie allerdings ein rotes Kärtchen ziehen, auf dem angeben ist, für welchen Ort dieses Foto gemacht wird, also wo es später aufgehängt bzw. platziert werden soll, zum Beispiel am Klavier, auf der Kommode, im Vorzimmer, etc. und sich dementsprechend adjustieren.
Wie aktiv die AusstellungsbesucherInnen bisher daran teilgenommen haben, zeigt nicht nur das gut gefüllte Superalbum, sondern ebenso die ständig wechselnden Objekte an der Tauschwand und die zahlreichen SMS, die am Ticker laufen. Das wissenschaftliche Team und die KuratorInnen – Kathrina Dankl, Andrea Hubin, Ana Ionescu, Tena Mimica, Lukasz Nieradzik, Karin Schneider und Elisabeth Timm (Leitung) – freuen sich alle über den Erfolg der Ausstellung, die noch bis 25. März 2012 besucht werden kann. (Text und Fotos: Theresa Dirtl)
Finissage und Katalogpräsentation der Ausstellung "Familienmacher: Vom Festhalten, Verbinden und Loswerden"
Sonntag, 25. März 2012, 18 Uhr
Österreichisches Museum für Volkskunde
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
Nähere Informationen (PDF)
Die Ausstellung "Familienmacher: Vom Festhalten, Verbinden und Loswerden" ist das Ergebnis einer ethnografischen Forschung im 8. und im 16. Wiener Gemeindebezirk im Rahmen des interdisziplinären WWTF-Projekts "Doing Kinship with Pictures and Objects. A Laboratory for Private and Public Practices of Art". Projektpartner: Universität Wien, Universität für angewandte Kunst Wien und Österreichisches Museum für Volkskunde. Idee und Leitung: Elisabeth Timm, Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie, Universität Münster; bis Juli 2011: Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Wissenschaftliches Team und KuratorInnen: Kathrina Dankl, Andrea Hubin, Ana Ionescu, Tena Mimica, Lukasz Nieradzik und Karin Schneider.