Jean-Marie Lehn: "Chemie ist die Brücke"
Gastbeitrag von Lena Yadlapalli | 14. März 2019Im Rahmen des Dies Academicus verlieh die Universität Wien am 12. März Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn ein Ehrendoktorat. Am Abend zuvor hielt er im vollbesetzten Großen Festsaal einen öffentlichen Vortrag zum Thema "Stufen des Lebens: Chemie".
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Am Tag vor der Verleihung seines Ehrendoktorats durch die Universität Wien hielt der renommierte französische Chemiker und Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn einen öffentlichen Vortrag im Großen Festsaal. Lehn adressierte dabei besonders die jungen Gäste, um sie von der Faszination der Chemie zu überzeugen.
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Der nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten seit Anfang März wieder geöffnete Festsaal war voll besetzt. Unter den Gästen waren viele SchülerInnen, die zum auf Deutsch gehaltenen Vortrag "Stufen des Lebens: Chemie" gekommen waren.
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Es sei eine große Ehre, den Chemiker bereits am Vorabend zum Dies Academicus der Universität zu seinem Vortrag begrüßen zu dürfen, sagte Vizerektor Jean-Robert Tyran. Jean-Marie Lehn gilt als ein Pionier der Supramolekularen Chemie, die die Synthese von großen Molekülen und neuen Materialien aus kleineren Einheiten anstrebt. Er erhielt 1987 den Nobelpreis für Chemie gemeinsam mit Donald J. Cram und Charles J. Pedersen für die "Entwicklung und Verwendung von Molekülen mit strukturspezifischen Wirkung von hoher Selektivität". Das Ehrendoktorat der Universität Wien, das am nächsten Tag verliehen wurde, sei eine Auszeichnung für sein Lebenswerk, so Tyran.
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Jean-Marie Lehn, Gründer des Institut de Science et d’Ingénierie Supramoléculaires in Straßburg sowie Mitbegründer des Instituts für Nanotechnologie in Karlsruhe, könne auf ein reiches Lebenswerk zurückblicken, sagte Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie. Lehn habe eigentlich Philosophie studieren wollen, sich dann aber doch für ein Studium der Chemie, Physik und Naturwissenschaften an der Universität Straßburg entschieden: Hier entdeckte er seine Faszination für die Organische Chemie und ihre Möglichkeiten, neue Substanzen zu synthetisieren.
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"Chemiker sind große Kinder. Wir spielen mit Atomen und konstruieren", sagte Jean-Marie Lehn unter Verweis auf den Baukasten der Chemie, das vor 150 Jahren entdeckte Periodensystem der Elemente, welches heuer im Rahmen des Internationalen Jahres des Periodensystems der Vereinten Nationen und der UNESCO gewürdigt wird.
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Jean-Marie Lehn zog in seinem aufgezeichneten Vortrag einen Bogen vom Ursprung des Universums und der Entwicklung von Leben bis hin zu komplexer Materie. "Aber wie wird Materie komplex?" Die Physik liefere die Gesetze des Universums, die Biologie die Regeln des Lebens und die Chemie baue die Brücke – die Brücke zwischen den allgemeinen Gesetzen und den Formen des Lebens, den Organismen, sagte Lehn.
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Im Zuge seiner Forschung untersuchte Jean-Marie Lehn zunächst Grundlagen zur molekularen Erkennung, die in allen biologischen Prozessen eine wichtige Rolle spielt. Damit Leben entstehen und bestehen kann, ist es unerlässlich, dass zwischen Molekülen ein Informationsaustausch stattfindet, sie einander erkennen, aufeinander reagieren, untereinander Bindungen eingehen und Strukturen bilden können. Die Supramolekulare Chemie beschreibt diese Interaktionsprozesse – sie ist die Grundlage der späteren Chemie der "selbstorganisierenden" Prozesse und der adaptiven Chemie, bei der man versucht, das Prinzip der Selbstorganisation zu verstehen und zu nützen. (im Bild v.l.n.r.: Altrektor Georg Winckler, Departmentsleiter Thierry Langer, Zentrumsleiter Michael Wagner)
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Das Prinzip der Selbstorganisation liegt jeder natürlichen Evolution zu komplexeren Formen hin zugrunde und eröffnet vielfältigste Anwendungsmöglichkeiten im Grenzgebiet zwischen Chemie, Biologie, Physik und Materialwissenschaften, z.B. bei der Entwicklung von funktionellen Materialien oder bei biomedizinischen Anwendungen wie Implantaten. Nach seinem Vortrag stellte sich Jean-Marie Lehn auch noch im persönlichen Gespräch den Fragen des Publikums.
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Jean-Marie Lehn – hier mit seinem langjährigen Freund Thomas Oliva, Vorsitzender des WWTF-Kuratoriums (links) sowie mit Veronika Somoza, Vizedekanin der Fakultät für Chemie, und Dekan Bernhard Keppler (rechts) – ist der Universität Wien und besonders der Fakultät für Chemie auch persönlich verbunden. Als assoziiertes Mitglied des Scientific Advisory Board hat Lehn die Fakultät in der Phase ihrer Umstrukturierung und bei ihrer strategischen Weiterentwicklung unterstützt. Sein Ehrendoktorat nahm er am Dies Academicus am Dienstag, 12. März 2019, mit den Worten entgegen, so sei er jetzt auch Mitglied der Universität (zum Fotonachbericht des Dies Academicus 2019). (Alle Fotos: © Universität Wien/derknopfdruecker.com)
Videomitschnitt des öffentlich Vortrags "Stufen zum Leben: Chemie!"
von Jean-Marie Lehn am 11. März 2019 im Großen Festsaal der Universität Wien.
Lena Yadlapalli ist Mitarbeiterin des Dekanats der Fakultät für Chemie.