Über alte und neue Gipfel

Zwölf Jahre, drei Amtsperioden – kein anderer Rektor vor Georg Winckler blickt auf eine derart lange Amtszeit an der Universität Wien zurück. Im uni:view-Abschiedsinterview spricht der Wirtschaftswissenschafter und passionierte Bergsteiger über den Weg der Universität Wien in die Vollrechtsfähigkeit, seine Sorge, dass Österreich es versäumt, Bildungschancen für die nächste Generation zu schaffen und darüber, was er seinem Nachfolger Heinz Engl für die Zukunft wünscht.

uni:view: Rektor Winckler, Sie sind der Rektor mit den meisten "Dienstjahren" in der Geschichte der Universität Wien – und Sie haben ein "historisches Ereignis" begleitet, das immer mit Ihrer Amtszeit verbunden sein wird: die Vollrechtsfähigkeit der Universität. Was waren die Hintergründe?

Georg Winckler: Wie Sie wissen, fand meine erste Wahl zum Rektor der Universität Wien – 1998, Amtsbeginn 1999 – noch unter dem Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1993 statt. Das war eine Art "Bürgermeisterwahl", um es überspitzt zu formulieren. Wahlberechtigt war ein Gremium von 400 Personen. Damals war mir klar, dass dem Rektor, bzw. der Universitätsleitung der Universität Wien, eine eher traditionelle – d.h. repräsentative und koordinierende, aber nicht gestaltende – Funktion zukommt. Das war einer der Gründe, warum ich mich von Anfang an um eine Weiterentwicklung des UOG 1993 sowie die Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine vollrechtsfähige Universität bemüht habe – ab Jänner 2000 auch in meiner Funktion als Vorsitzender der Österreichischen Rektorenkonferenz. Ich fand, dass es für die Weiterentwicklung der österreichischen Universitäten insgesamt wichtig wäre, wenn gerade auch die großen Universitäten – also vor allem Wien, Innsbruck, Graz und Salzburg – einen "Modernisierungsschritt" in Richtung Vollrechtsfähigkeit wagen. Und dieser Standpunkt wurde nicht nur von der Rektorenkonferenz getragen, sondern auch innerhalb der Universität Wien akzeptiert.

uni:view: Warum wollten Sie die Universität aus der staatlichen Verwaltung nehmen?

Winckler: Unter anderem habe ich den Dienstpostenplan, die Budgetkameralistik des Bundes und die Schwierigkeiten im Umgang damit immer als etwas "Gestriges" angesehen. In einer autonomen Universität sah ich die Chance, als Universität strategie- und handlungsfähig zu werden, Budget- und Personalentscheidungen stärker nach qualitätsorientierten Gesichtspunkten zu treffen. Daneben habe ich mich darum bemüht – auch als Vorsitzender der Rektorenkonferenz – die Universität stärker in die Gesellschaft zu stellen. Aus all diesen Punkten ist dann das Universitätsgesetz 2002 hervorgegangen ...

uni:view: ... das heftig umkämpft war. Was war die schwierigste Herausforderung in diesem Zusammenhang?

Winckler: Natürlich die Implementierung dieses Gesetzes an der Universität Wien. Bestimmte Punkte waren leicht umzusetzen – ich glaube, letztlich wollte jeder die Budget- und Personalentscheidungen in der Universität haben. Aber es war auch klar, dass sich die Frage der Mitbestimmung neu stellte – und das war dann Gegenstand hitziger Diskussionen.

uni:view: Budget- und Personalentscheidungen sind nun Sache der Universität. Was für Veränderungen hat die Vollrechtsfähigkeit noch mit sich gebracht?

Winckler: Wichtig ist, dass durch das Universitätsgesetz eine Organisationsautonomie geschaffen wurde. Das heißt, die Universität kann selbst über die innere Organisation entscheiden – abgesehen von den Rechten und Pflichten der leitenden Organe, die im UG festgeschrieben sind. Außerdem hat die Universität Strategieautonomie bekommen, was bedeutet, dass sie in ihrem Entwicklungsplan jene Schwerpunkte setzen kann, die sie möchte. Autonomie besteht auch bei der Gestaltung der Lehrpläne. Nicht festlegen kann die Universität, wer und wie viele studieren dürfen. Schwierig ist die Situation dadurch, dass die Budgetfrage eng mit der Zahl der Studierenden zusammenhängt und das eine nicht mit dem anderen abgestimmt ist. Deswegen benötigt die Universität eine Studienplatzfinanzierung, die für gute Studienbedingungen sorgt.

uni:view: Apropos Studienbedingungen: In Ihrer Amtszeit kam es dreimal zu Studierendenprotesten (2000, 2004 und 2009). In einem Presse-Interview erklärten Sie kürzlich, dass Sie als Student an den Audimax-Besetzungen teilgenommen hätten. Was wäre auf Ihrem Transparent gestanden?

Winckler: Wohl so etwas wie "Gegen die Verschulung des Studiums" und "Für eine bessere Unifinanzierung". Zum einen ist es eine wichtige Frage, welche Freiheitsspielräume die Studierenden haben. Das gilt vor allem in der Endphase eines Studiums – sei es Bachelor-, Master- oder Doktoratsstudium. Gegen Anfang eines Bachelor-Studiums kann man darüber diskutieren, da es hier wesentlich ist, dass die Studierenden gleiche Voraussetzungen erfüllen bzw. sich diese erarbeiten. Zum anderen hätte ich auch die Forderung nach einer besseren Finanzierung der Universitäten unterschrieben, eine Forderung, die bei allen Studierendenprotesten eingebracht wurde. Im OECD-Vergleich der staatlichen Hochschulausgaben nimmt Österreich nur eine mittlere Position ein. Wenn es aber um das BIP pro Kopf geht, ist man stolz, zu den reichsten EU-Ländern zu gehören. Das drückt sich aber nicht in den Ausgaben für die Universitäten aus.

uni:view: Und das bereitet Ihnen Sorgen ...

Winckler: Ja, es sorgt mich, dass sich die österreichische Regierung zu wenig um die Bildungschancen der nächsten Generationen kümmert. Genau hier liegt aber eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Ein Mangel an Bildungschancen wirkt sich auf viele weitere Bereiche negativ aus, wie soziale Sicherheit, den Arbeitsmarkt, etc. Ich verstehe die Politik in diesem Punkt nicht. Sie ist zu kurzfristig, zu sehr an ein politisches Klientelsystem gekoppelt und somit gegen die Bildungschancen der jungen Leute.

uni:view: Zurück zur Wissenschaft: Sie betonten immer wieder, dass die Forschung in Österreich und an der Universität Wien mehr "Breite, Spitze und Profil" gewinnen muss. Ist das in Ihrer Amtszeit, zumindest teilweise, gelungen?

Winckler: Zunächst einmal sind alle drei Punkte wichtig. Breite, weil ich an der Universität keinen Bereich haben möchte, in dem keine Forschung betrieben wird. Und in jedem Bereich muss diese Forschung hinreichend gut sein. Spitze – oder der Mangel an Spitze – ist ein Problem für ganz Österreich: Wir bräuchten Forschung, die international Beachtung findet. Wir haben an der Universität Wien einige Exzellenzbereiche, ersichtlich etwa an den zahlreichen ERC-Grants, die in den letzten Jahren eingeworben wurden, aber ich hätte gerne noch mehr Spitzen an der Universität Wien – und generell in Österreich. Wir, als Universität Wien, sind im europäischen Vergleich überdurchschnittlich, wir gehören zu den führenden Universitäten. Wir sollten weiter ambitioniert sein und uns den Erfolg der schweizerischen Universitäten zum Ziel nehmen. Zum Thema Profil: Die Universität soll kein kunterbunter Bauchladen mit allem möglichen sein, sondern versuchen, in ihren Forschungsleistungen gezielt sogenannte Verbundeffekte zu erzielen. Wie kann ich zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Informatik und Chemie oder zwischen verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen stärken? So ein Verbund schafft Profil. Rückblickend war in diesem Zusammenhang die Einrichtung von Forschungsplattformen, aber auch von Doktoratskollegs, ein großer Erfolg, weil diese Programme Spitze und Profil wesentlich gestärkt haben. Dass sie auch universitätsintern sehr gut angenommen worden sind, zeigt die Anzahl und die Qualität der gestellten Anträge.

uni:view: Die Spitze zu stärken hängt also eng mit Europäisierung und Internationalisierung zusammen – zwei Stichworte, die unweigerlich mit Ihrer Amtszeit und auch mit Ihren Funktionen als Vorsitzender der Rektorenkonferenz (2000-2005) und als Präsident der European University Association (2005-2009) verbunden werden. Wie präsentiert sich die Universität Wien heute?

Winckler: Es ist uns gelungen, die Europäisierung bzw. die Internationalisierung an der Universität Wien voranzutreiben – von den 60 im Jahr 2010 berufenen ProfessorInnen kommen 49 aus dem Ausland, bei den TeilnehmerInnen der Initiativkollegs sind es etwa 50 Prozent. Auch in der ERC-Statistik führt die Universität Wien weit vor der nächsten österreichischen Institution – hier sind wir durchaus mit der Universität Zürich vergleichbar. Insgesamt nimmt die Universität Wien derzeit zehn Millionen Euro pro Jahr aus europäischen Forschungsförderungen ein. Dieser Anteil lässt sich durch eine noch intensivere Teilnahme an europäischen Forschungsförderungsmaßnahmen durchaus erhöhen. Und österreichische Institutionen könnten auch an amerikanische Fördertöpfe kommen. Man sollte also nicht zufrieden sein und noch mehr wollen.

uni:view: Letzteres gilt vermutlich auch für den Bereich Frauenförderung. Kürzlich war dazu in den Medien zu lesen, dass unter den heimischen Universitäten nur die Universität Wien eine Frauenquote von 40 Prozent bei der Beschäftigung von wissenschaftlichem Personal erreicht. Ihre Meinung nach eine Erfolgsgeschichte?

Winckler: Die Universität Wien hat durchaus einiges vorzuweisen. Als ich Rektor wurde, lag die Frauenquote bei den Professuren unter zehn Prozent, mittlerweile sind wir bei über 20 Prozent. Weiters ist es gelungen, Frauen in Bereichen zu berufen, die bislang männerdominiert waren, zuletzt zum Beispiel in der Informatik und Mathematik. Das ist ein sehr guter Weg, aber auch hier gilt es noch weiterzugehen. Die Universität Wien wird dadurch generell gestärkt.

uni:view: Bezogen auf beide Bereiche, Europäisierung/Internationalisierung und Frauenförderung: Glauben Sie, dass dabei vor allem die WissenschafterInnen selbst gefordert sind, oder müssen hier von Seiten des Rektorats, also von oben, Maßnahmen gesetzt werden?

Winckler: Es wird sicherlich vor allem davon abhängig sein, dass die entsprechenden Maßnahmen "vor Ort", in den Fachbereichen, getroffen werden. Das Rektorat hat in dieser Hinsicht nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Dennoch ist es wichtig, dass vom Rektorat klar signalisiert wird, in welche Richtung die Gesamtentwicklung gehen soll, und dass das Rektorat auch durch gezielte Maßnahmen den Prozess stärkt.

uni:view: Rückblickend: Was sind für Sie persönlich die drei wichtigsten Meilensteine Ihrer zwölfjährigen Amtszeit als Rektor der Universität Wien?

Winckler: Zum einen die Schaffung des gesetzlichen Rahmens und die Implementierung einer vollrechtsfähigen Universität. Zum anderen dass es gelungen ist, die Universität Wien in ihrer strategischen Ausrichtung zu stärken – durch den Entwicklungsplan – sowie durch Personal- und Budgetentscheidungen ihr Nachhaltigkeit zu geben. Drittens war es mir wichtig, vermehrt Beschäftigungsmöglichkeiten und Bildungschancen für die Jungen zu schaffen – den Erfolg dieser Initiative sehen Sie auch daran, dass wir die Anzahl der bei uns beschäftigten DoktorandInnen von 500 auf 1.000 verdoppeln konnten. Auch dieser Prozess ist sicher noch nicht abgeschlossen. Eine Universität lebt vom Nachdrängen der Jungen. Die Universität Wien darf keine alte Universität sein.

uni:view: In Ihrer Zeit als Rektor der Universität Wien sind Sie auch mit vielen internationalen Persönlichkeiten zusammengetroffen. Welche Treffen haben Sie dabei am meisten beeindruckt?

Winckler: Für mich waren mehrere Anlässe besonders beeindruckend. Etwa wurde ich einmal eingeladen, im altehrwürdigen britischen Parlament "Oral Evidence" zu geben. Neben der damaligen Vice-Chancellor (Anm.: Rektorin) der Universität Cambridge zu sitzen und über die europäische Universitätsentwicklung zu debattieren – das war schon etwas Besonderes. Weiters kann ich mich erinnern, dass mich die türkischen Universitäten einmal baten, an ihrer Seite in einer hochrangigen Veranstaltung mit dem türkischen Staatspräsidenten um ihre Autonomie in der Rektorswahl zu kämpfen. Insgesamt gab es eine Reihe von unvergesslichen Momenten – da könnte ich noch lange erzählen.

uni:view: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Winckler: In der internationalen Hochschullandschaft gibt es verschiedenste Aufgaben, die auf mich zugekommen sind, u.a. berate ich den rumänischen Wissenschaftsminister und den spanischen Wissenschaftsminister bezüglich der dortigen Exzellenzinitiative. Weiters wurde ich von mehreren deutschen Universitäten eingeladen, in Universitätsräten und in wissenschaftlichen Beiräten bei Evaluierungen mitzuwirken. Bei der EU-Kommission in Brüssel bin ich in mehreren Gremien beratend tätig. Auch wurde ich Trustee einer Stiftung in Princeton/USA.

Daneben werde ich mich wieder meinen Forschungsschwerpunkten widmen – monetäre Ökonomie, Geldpolitik und Geldtheorie. Vor allem möchte ich mich mit der Entwicklung der Finanzmärkte beschäftigen, nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis. Etwa interessiert mich die Frage, wie sich die Perspektiven für Banken und Versicherungen entwickeln werden. Da ist viel los – die Baustellen dort sind inzwischen größer geworden als im universitären Bereich.

uni:view: Es ist bekannt, dass Sie begeisterter Bergsteiger sind. Haben Sie eine besondere Tour in Planung?

Winckler: Ja, tatsächlich. Im Februar will ich auf den Kilimandscharo gehen, allerdings nicht auf der normalen Route, sondern auf einer etwas anspruchsvolleren. Im Unterschied zu Amerika und Asien hatte ich noch kein Bergerlebnis in Afrika.
Aber da ist auch noch der eine oder andere Viertausender in den Alpen, der mich durchaus reizt …

uni:view: Ganz allgemein gesprochen: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Universität Wien?

Winckler: Vor allem zwei Dinge: Zum einen, dass es auch weiterhin gelingen wird, die exzellenten Bereiche in der Universität Wien stark zu halten – und dass sie noch ausgebaut werden. Erst dadurch gewinnt eine Universität in den Augen des wissenschaftlichen Nachwuchses Attraktivität. Zum anderen wünsche ich mir, dass es gelingen möge, unsere hohen Studienabbruchsquoten zu reduzieren – durch Qualitätsverbesserung in der Lehre, durch bessere Betreuung, etc. Die Universität muss den Jungen Bildungschancen geben. Zurzeit hat sie aufgrund der finanziellen Ausstattung nicht die Kraft, das zu tun.

uni:view: Was geben Sie Ihrem Nachfolger, Heinz W. Engl, mit auf den Weg?

Winckler: Was man jedem wünschen muss: dass er auch Glück hat. Wobei ich mit Glück auch meine, dass die Bundesregierung endlich doch zum Schluss kommt, dass es gut ist, auf die Universitäten zu setzen – und dass es Rektor Engl auf dieser Basis gelingen möge, die Universität Wien als starke Universität in Europa auszubauen. (td/br)


Zur Person: Georg Winckler studierte Volkswirtschaftlehre an der Princeton University, USA und an der Universität Wien (Promotion 1968). Seit 1978 ist Georg Winckler Ordentlicher Universitätsprofessor für Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik an der Universität Wien. Im Dezember 1998 wurde er zum Rektor der Universität Wien gewählt (Amtsbeginn Oktober 1999, Wiederwahl 2003 und 2007). Von 2000 bis 2005 war er Präsident der Österreichischen Rektorenkonferenz, von 2001 bis 2005 Vizepräsident, von 2005 bis 2009 Präsident der European University Association (EUA). Seit 2008 ist Professor Winckler Mitglied des Rats für den Europäischen Forschungsraum (ERAB) und seit Februar 2009 Mitglied der PEOPLE Advisory Group der Europäischen Kommission in Brüssel.
Lebenslauf von Georg Winckler (PDF)