Ronald Maier: Brücken bauen im digitalen Ökosystem

Porträtfoto von Vizerektor Ronald Maier

Von der Donau in die Welt und wieder zurück, von der Wirtschaftsinformatik zur Digitalisierung: Mit der neuen Funktion als Vizerektor für Digitalisierung und Wissenstransfer schließt sich für Ronald Maier ein Kreis. Welche Pläne er hat und warum Wissen "fließen" muss, erzählt er im Interview.

uni:view: Sie sind mit Oktober 2019 Vizerektor der Universität Wien, zuständig für Digitalisierung und Wissenstransfer. Mit welchen Plänen starten Sie in diese Funktion?
Ronald Maier: Ich widme mich der Funktion voller Demut und Begeisterung. Als Institutsleiter an der Uni Innsbruck habe ich die Universität aus Sicht der Forschungs-, Lehr- und Verwaltungspraxis kennengelernt. Nun leiste ich meinen Beitrag, damit die Uni Wien den vorhandenen Schub in der Digitalisierung für die Zukunft nutzt und gleichzeitig Tradition und Werte bewahrt. Es ist ein Spagat zwischen der großen Vision und der "Basisarbeit", sprich konkreten Schritten.
 
uni:view: Wo steht die Uni Wien im Bereich Digitalisierung?

Maier: Sie ist bestens positioniert und hat eine gewichtige Stimme in der Gesellschaft. Denn Digitalisierung ist nicht neu. Das Thema muss aber übergreifend gesehen werden. Dafür möchte ich die vorhandenen Initiativen, Projekte und Pläne miteinander verbinden, Konvergenzkräfte aktivieren und Brücken zwischen den verschiedenen Einheiten bauen. Jeder Bereich hat seine eigene Sicht auf die Digitalisierung, wir können viel voneinander lernen und einander bereichern. Ich spreche gerne vom digitalen Ökosystem.


uni:view: Der Umgang mit Daten und digitalen Technologien ist der Universität Wien nicht fremd ...

Maier: Die verschiedenen Disziplinen haben langjährige Erfahrung mit großen Datenmengen. Es gibt einen konstruktiven wie auch kritischen Blick auf die Digitalisierung – das zeichnet die Universität Wien aus. Nicht nur in der Forschung, auch in der Lehre gibt es eine Reihe von digitalen Initiativen und Projekten, wie z.B. die Anmeldungs- oder Lernmanagementsysteme. Darüber hinaus wird mit modernen Lehrmethoden wie z.B. MOOCs (Massive Open Online Courses) mehr als nur experimentiert. Außerdem gibt es viel wissenschaftliche Expertise im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens, die unter anderem in der Data Science Forschungsplattform gebündelt ist.

uni:view: Was steht konkret auf Ihrer "Digitalisierungsagenda"?
Maier: Zunächst geht es ums Zuhören! Was leisten die Fakultäten, Zentren und Dienstleistungseinrichtungen? Welche Ideen und Impulse gilt es aufzunehmen? Daraus entwickeln wir eine Strategie mit konkreten Zielen. Das erste ist, die digitalen Angebote für Studierende gebündelt zu betrachten und zu überlegen, wie wir den Erwartungen der "Netflix Generation" gerecht werden. Der zweite Block betrifft die Forschung: Neben der großartigen Breite und Tiefe originärer Forschung über, mit und für Digitalisierung an der Uni Wien fallen Forschungsdaten an, mit denen kompetent gearbeitet wird. Wir schauen, wo im Management des Datenlebenszyklus noch Bedarf besteht: von der Datenerhebung über die Analyse, das Sichern der Zugänglichkeit und Reproduzierbarkeit bis hin zur Archivierung. Als dritter Schwerpunkt steht die elektronische Administration auf der Agenda, hier sollen Prozesse und Systeme gut abgestimmt und qualitätsvoll weiterentwickelt werden. 

uni:view: Neben der Digitalisierung widmen Sie sich dem Wissens- und Technologietransfer. Warum ist das Zusammenrücken von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft wichtig?

Maier: Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sind über die Menschen miteinander verwoben. Die schnelle Entwicklung in der Digitalisierung zeigt die Notwendigkeit eines noch stärkeren Zusammenrückens. Die Universität spielt dabei eine wichtige Rolle, die wir partnerschaftlich wahrnehmen müssen. Wissenstransfer braucht eine gesamtheitliche Perspektive und darf nicht als Einbahnstraße gesehen werden. Gemeinsam mit anderen AkteurInnen, u.a. mit der Stadt Wien, den Ministerien, PartnerInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Gesellschaft, entwickeln wir das Wissen in der Gesellschaft weiter. Darüber hinaus haben wir ein Auge auf wirtschaftliche Innovationen. Denn die Uni Wien betreibt nicht nur erstklassige Grundlagenforschung, sondern auch höchst relevante angewandte und translationale Forschung – und hier wollen wir weiterhin eine tragende Rolle spielen.

Vizerektor Maier thematisiert im Rahmen der Ringvorlesung "Digitale Transformationen" an der Universität Wien Herausforderungen und Lösungsansätze für ein Wissensmanagement im digitalen Wandel, das ermöglicht und vernetzt sowie kritisch reflektiert und schützt. Infos zum Erweiterungscurriculum "Digitalisierung verstehen und mitgestalten"

uni:view: Wie haben Sie sich auf die neue Funktion als Vizerektor vorbereitet?
Maier: Als begeisterter Bergsteiger bin ich natürlich in die Berge gegangen! Im Sommer war ich im Tiroler Karwendelgebirge unterwegs und habe mich dabei gefragt, was ich in dieser neuen Rolle bewirken, bewegen und mit Leben füllen kann. In den Bergen gibt es ständige Richtungswechsel: Auf den langen Graten bewege ich mich mal auf der Nord-, mal auf der Südseite, am Gipfel weitet sich der Blick übers Land. In den Karen und Hängen werden die warmen Felsen oder die duftenden Latschen im Detail erkennbar. Solche Perspektivenwechsel sind wesentlich für meine Funktion. Der zweite Schritt in der Vorbereitung war konkreter: Mitte September haben wir gemeinsam mit anderen Unis Digitalisierungsvorhaben beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung eingereicht. Dafür habe ich in den letzten Monaten eine Vielzahl interessanter Gespräche geführt und dabei eine Menge faszinierender Menschen kennengelernt! Das war für mich ein großartiger Einstieg.

uni:view: Sie sind für ein breites Themengebiet zuständig, bei dem Zusammenarbeit wichtig ist. Was macht für Sie erfolgreiche Kooperation aus?
Maier: Über alle Kooperationsarten hinweg sind zwei zutiefst menschliche Faktoren wichtig: Vertrauen und Empathie. Ersteres muss in dem Kontext, in dem zusammengearbeitet wird, aufgebaut werden. Der zweite Faktor bezieht sich darauf, wie ich die Position meines Gegenübers wahrnehme und die gesamte Gruppe in einen gewissen "Flow" bringe. Für vertrauensbildende Maßnahmen sind Offenheit, Transparenz und ständige Kommunikation wichtig. Neben den "Digital Collaboration Tools" war auch die "Connectivity" einer meiner Forschungsschwerpunkte. Wir haben Maßnahmen entwickelt, um die produktive, wachstumsorientierte und das Wohlbefinden fördernde Wirkung von "Konnektivität" zu erhöhen. Wie fühlen wir uns in der, auch digital vermittelten, Zusammenarbeit mit anderen Menschen wohl, ohne überfordert zu sein?

uni:view: Werden Sie mit einem Fuß in der Forschung bleiben?
Maier: Die oben genannten Forschungsschwerpunkte sind für meine Funktion wesentlich. Außerdem habe ich mich zu "Wissensmanagementsystemen" habilitiert, was wunderbar zum Wissenstransfer passt. Hier hat sich gezeigt, dass es nicht ausreicht, Informationen und Wissen zu sammeln. Man muss es vernetzen und in Fluss bringen. Ich habe bereits jetzt einige neue Forschungsideen entwickelt, die meine ForschungspartnerInnen und ich weiterverfolgen werden. Ich werde die Forschung sicher nicht ganz ruhen lassen. Dafür forsche ich zu gerne. (schmunzelt)

uni:view: Was bedeutet der Schritt zum Vizerektor für Sie persönlich?

Maier: Ich freue mich, weil sich für mich ein Kreis schließt! Meine akademische Lern- und Entwicklungsreise nahm an der Donau ihren Anfang, als gebürtiger Oberösterreicher habe ich in Linz studiert. Dann ging es weiter an den Rhein, wo ich promovierte und von dort zurück an die Donau, wo ich mich in Regensburg habilitierte. Zwischenstationen waren der Oconee River in Athens, Georgia (USA) und Halle an der Saale. Nach zwölf Jahren in Innsbruck am Inn schließt sich nun der Bogen und ich bin wieder an der Donau. Ich war einer der ersten Studierenden im Bereich Wirtschaftsinformatik und bin jetzt der erste Vizerektor für Digitalisierung an der Universität Wien. Von Linz an der Donau in die Donaumetropole Wien, von der Wirtschaftsinformatik zur Digitalisierung. Das klingt sehr stimmig für mich.
 
uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(ps)

Ronald Maier ist ab 1. Oktober 2019 Vizerektor für Digitalisierung und Wissenstransfer an der Universität Wien. Er war zuletzt Professor für Wirtschaftsinformatik und leitete seit 2008 das Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft und Logistik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der Johannes-Kepler-Universität Linz und promovierte 1996 an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Koblenz. Nach einem Aufenthalt am Terry College of Business an der University of Georgia in Athens (USA) habilitierte er sich 2001 an der Universität Regensburg. Von 2002 bis 2007 leitete er den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.