Jean-Robert Tyran: "Neues entsteht durch Offenheit"

Porträtfoto des Vizerektors Jean-Robert Tyran

Als Vizerektor für Forschung und Internationales hat Jean-Robert Tyran bereits so manchen Stein ins Rollen gebracht. Welche Themen er in der kommenden Amtsperiode angehen möchte und warum dabei ein "Forschungstag" hilft, erzählt er im Gespräch mit uni:view.

uni:view: Sie sind seit Februar 2018 Vizerektor der Universität Wien, zuständig für Forschung und Internationales. Welche "Zwischenbilanz" ziehen Sie?
Jean-Robert Tyran:
Wir haben neue Strukturen im Bereich der Tenure-Track-Professuren geschaffen. Damit machen wir unsere Universität für auswärtige WissenschafterInnen attraktiver, ebnen aber auch Karrierepfade für unsere eigenen SpitzenforscherInnen. Außerdem dienen die "fast track" Professuren als Instrument zur Frauenförderung. Diese erlauben die rasche Beförderung zur assoziierten Professur für ForscherInnen, die renommierte Grants (insbesondere ERC) gewinnen. Das Rektorat setzt den Fakultäten hohe Anreize, Frauen für solche Stellen vorzuschlagen, da in diesem Fall ein namhafter Teil der Lohnkosten nicht die Fakultäten belastet, sondern aus zentralen Mitteln finanziert wird.

uni:view: Aktuell läuft die Ausschreibung zu den Doktoratsschulen, welche Akzente sollen in diesem Bereich gesetzt werden?
Tyran: Die Doktoratsausbildung ist eine wichtige Schnittstelle zwischen Lehre und Forschung, daher lohnt es sich, in diesen Bereich zu investieren. Wir haben dieses Jahr eine Erhöhung des Globalbudgets um 17 Prozent erhalten, in die Förderung von DoktorandInnen investieren wir aber sogar doppelt so viel Geld als bisher. Denn die Ausbildung der künftigen ForscherInnen hat für uns hohe Priorität. Die Inhalte der Doktoratsschulen geben wir dabei nicht vor – es ist kein Top-down Prozess. Unsere WissenschafterInnen, die exzellente Forschung betreiben, gestalten das Programm; wir schaffen die Rahmenbedingungen, damit sich die jungen Leute entfalten und wissenschaftlich glänzen können.


uni:view: Die Bereiche Doktorat und Tenure-Track-Professuren sind bereits auf gutem Wege. Was gibt es in punkto Nachwuchsförderung als Nächstes zu tun?
Tyran: Handlungsbedarf gibt es in der PostDoc-Phase: Dies ist oft die schwierigste Phase der Karriere. In diesem Abschnitt gilt es hart zu arbeiten und Rückschläge wegzustecken, mit Unsicherheit und Ängsten umzugehen. Als Universität müssen wir unsere Forschenden in dieser Phase gezielt fördern, sie coachen und ihnen schon früh Wege in die wissenschaftliche Eigenständigkeit ermöglichen. Die PostDoc-Phase ist auch ein entscheidender Ansatzpunkt für die Frauenförderung: Wir vergeben zwar etwa doppelt so viele Bachelor und Master-Abschlüsse an Frauen als an Männer. Im Doktoratsbereich sind die Zahlen etwa ausgeglichen, doch im Bereich der Professuren überwiegen nach wie vor deutlich die Männer. Wir verlieren viele talentierte Frauen in der PostDoc-Phase auf dem Weg zur Professur. Wir müssen bei dieser "leaky pipeline" in der PostDoc-Phase ansetzen und talentierte Frauen fördern.

uni:view: Internationalität wird im Wissenschaftsbereich immer relevanter. Welche Ziele haben Sie sich diesbezüglich gesteckt?
Tyran: Die Universität ist von ihrem Wesen her offen für Neues. Neues kommt oft von außen, daher braucht es den internationalen Austausch von Ideen und Menschen. Wir bemühen uns auch weiterhin um internationale Kooperationen und besonders um die Verstärkung von strategischen Partnerschaften, damit unsere ForscherInnen an Spitzenuniversitäten in Peking, Kyoto oder Chicago forschen und mit neuem Wissen zurückkehren können. Generell gilt: Internationalisierung ist eine Querschnittsaufgabe, die uns als Universität in allen Bereichen beschäftigt – in der Lehre, im Personalrecruiting, in der Kommunikationsarbeit oder in Forschungsnetzwerken.

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Von seinen Forschungsaufenthalt an der University of Chicago im Rahmen des Mobility Fellowship-Programms berichtet Universitätsassistent Martin Tschiggerl vom Institut für Geschichte im Interview. (© University of Chicago)

uni:view: Wie sieht ein Arbeitstag als Vizerektor der Universität Wien aus?
Tyran:
Viele Gespräche. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist es, die Bedürfnisse und Anregungen unserer Forschenden aufzunehmen. Darüber hinaus gehört zu meinem Tätigkeitsbereich die Strategieentwicklung: Wo wollen wir hin und welche Schritte müssen wir dafür gehen? Außerdem versuche ich, mir nach wie vor einen "Forschungstag" zu bewahren.

uni:view: … einen Tag pro Woche, an dem Sie sich der eigenen Forschung widmen?
Tyran:
Ja genau, ich leite nach wie vor Drittmittelprojekte und betreue Dissertationen. Mein Forschungstag ist für mich eine Art "Reminder": Ich finde es wichtig, dass der Vizerektor für Forschung und Internationales nicht die Bodenhaftung verliert und sich daran erinnert, wie schwierig gute Forschung zu realisieren ist. Hinter guter Forschung stecken nicht nur gute Ideen und Geistesblitze, sondern viel Fleiß, Wille zur Präzision, die Beherrschung von Techniken und Fertigkeiten sowie Beharrlichkeit und Ausdauer. Ich empfinde große Wertschätzung für alle, die jeden Tag von Neuem um den Fortschritt des Wissens ringen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(hm)

Jean-Robert Tyran ist seit 2018 Vizerektor für Forschung und Internationales. Er ist seit 2010 Professor für Finanzwissenschaft am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien, wo er vor seiner Bestellung zum Vizerektor als Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften tätig war. Er hatte zahlreiche Lehr- und Forschungsaufenthalte an renommierten Institutionen, u.a. an der Harvard Kennedy School, der London School of Economics und am Caltech. Vor seinem Wechsel nach Wien war er seit 2004 Professor an der Universität Kopenhagen. Davor war er seit 1997 an der Universität St. Gallen tätig. Sein Doktorat in Wirtschaftswissenschaften schloss er 1997 an der Universität Zürich ab.