In memoriam Dieter Kastovsky (1940-2012)

Am 23. November starb Dieter Kastovsky, emeritierter Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik, an den Folgen eines Herzinfarkts. Dieser plötzliche Tod überrascht und bestürzt, denn er hatte noch viel vor.

An das Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien kam Dieter Kastovsky 1981 von der Universität Wuppertal, wo er seit 1973 Professor gewesen war. Seine frühen Wiener Jahre prägte er durch seine offensive Internationalität: er holte internationale WissenschafterInnen zu Symposien und Gastprofessuren nach Wien und ermunterte die Wiener KollegInnen - insbesondere auch die jungen - dazu, so wie er regelmäßig auf internationalen Kongressen vorzutragen. Das war an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der 1980er und frühen 1990er keine Selbstverständlichkeit. Dieter Kastovsky war ein Meister des Netzwerkens – lange bevor der Begriff Allgemeingut wurde. So engagierte er sich auch stark innerhalb der European Society for the Study of English (ESSE), und ganz besonders bei der Gründung und als langjähriger Vorsitzender des österreichischen Zweigs der ESSE, der AAUTE (Austrian Association of University Teachers of English) im Jahre 1994.
Geprägt durch das Jahr 1968, das er als Mittelbausprecher an der Universität Tübingen verbrachte, hatte Dieter Kastovsky immer ein starkes Interesse an universitätspolitischen Fragen. Und so übernahm er als Mitglied der Fakultät Leitungsaufgaben: zwischen 1986-2006 war er insgesamt 16 Jahre Leiter des 'Dolmetschinstituts', späteren Zentrums für Translationswissenschaft, das in diesem Zeitraum eine bedeutende Auf- und Ausbauphase erfuhr. Als Vorstand des Instituts für Anglistik und Amerikanistik fungierte er zwischen 1990 und 1992.

Zuletzt wollte er "endlich" sein Buch A historical morphology of English bei Edinburgh University Press herausbringen. Die Wortstrukturen des Englischen und davon ausgehende typologische Fragen waren seine wissenschaftliche Leidenschaft: sie beschäftigten ihn seit seiner Dissertation zu den deverbalen Substantiven des Altenglischen mit der er 1967 an der Universität Tübingen promovierte. Neben seinem Doktorvater und Chef Hans Marchand war in Tübingen auch Eugenio Coseriu ein prägender Einfluss. Nachdem ihn in den 1970ern die "generative Revolution" wie viele andere junge europäische Linguisten mitgerissen hatte, wandte er sich ab den frühen 1980ern wieder vermehrt strukturalistischen Ansätzen zu, wobei auch seine Beschäftigung mit der englischen Sprachgeschichte wieder in den Vordergrund rückte. Insbesondere die typologischen Veränderungen vom Altenglischen zum Mittelenglischen wurden ein Zentrum seines Interesses. Vieles davon hat er publiziert (1992, Old English Vocabulary and Semantics, The Cambridge History of the English Language) vieles aber schlummerte in seinen Vorlesungsmanuskripten und sollte "endlich" in Form des oben erwähnten Buches in zusammenhängender Form an die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Zwar hatte Dieter Kastovsky stets auch Fragen der Semantik im Auge behalten (Englische Wortbildung und Semantik, 1982. Narr Verlag) doch erst im Dialog und in der Zusammenarbeit mit seiner Frau Barbara Kryk-Kastovsky entwickelte er Respekt und Anerkennung für theoretische Ansätze, die Sprache und Bedeutung nicht als rein strukturelles oder kognitives sondern als kontextuell-emergentes Phänomen betrachten.

Seit seiner Emeritierung lehrte Dieter Kastovksy regelmäßig an der Warschauer Expositur der Universität Łódź, und dass er während einer dieser Polenreisen starb, hat eine tiefere lebensgeschichtliche Bedeutung. Dieter Kastovsky hatte den Eisernen Vorhang schon immer so gut es ging ignoriert und pflegte ab den späten 1970ern regen Austausch mit Kollegen in Polen, der DDR und der damaligen Tschechoslowakei. Die Verbundenheit mit dem Osten Europas war sicher auch seiner Familiengeschichte geschuldet, wurde er doch 1940 im tschechischen Freudenthal (Bruntal, CZ) nahe der polnischen Grenze geboren. Das offizielle Polen hat ihm diese seine Initiative und Offenheit hoch angerechnet und so war er Träger mehrerer hoher polnischer Ehrenzeichen. Ohne dieses Etikett vor sich herzutragen, war Dieter Kastovsky ein Europäer der ersten Stunde und liebte es, seine Kontakte in allen Ecken des Kontinents (sowie auf mehreren anderen Kontinenten) zu pflegen. Hier verbanden sich der private und der berufliche Dieter Kastovsky in der Freude am Reisen.

Überhaupt war er ein Mensch, dem das Leben Freude machte. Er konnte mit Genuss übers Essen reden und war ein sehr guter Koch, der gerne Gäste an seinen Tisch holte. Er nutzte die Wiener Ballsaison und reiste mindestens einmal jährlich nach New York, um Musicals und 'die Met' zu besuchen, denn er liebte das Musiktheater. "Dazu fällt mir jetzt Folgendes ein" sagte er oft am Ende einer Besprechung und begann eine Arie oder ein Lied zu singen (ziemlich gut), das das Besprochene ironisch oder humoristisch kommentierte - und dann freute er sich diebisch, wenn wieder mal keine/r wusste, aus welchem Werk es stammte.

Christiane Dalton-Puffer für die Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät


Dieter Kastovsky wurde am 26. Dezember 1940 in Freudenthal (Bruntal), Tschechische Republik, geboren und wuchs in Esslingen auf. Seit 1992 in zweiter Ehe verheiratet mit Prof. Dr. Barbara Kryk-Kastovsky, Universität Poznań / Universität Wien. Dieter Kastovsky studierte englische, romanische und deutsche Philologie und Sprachwissenschaft an den Universitäten Tübingen, Berlin (Freie Universität) und Besançon. Nach seiner Promotion arbeitete er 1967-1973 bei Hans Marchand am Englischen Seminar der Universität Tübingen. 1973-1981 Professor für Englische Philologie und Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität, Wuppertal. Seit 1981 ordentlicher Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Wien. 1986-1990, 1994-2004 Vorstand des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen; 1990-1992 Vorstand des Instituts für Anglistik und Amerikanistik, 2004-2006 Leiter des Zentrums für Translationswissenschaft. 1991-2006 Generalsekretär der Societas Linguistica Europaea. Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen, sowie der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, München und Fellow der English Association, London. Orden und Ehrenzeichen: Ehrenmedaille, Adam Mickiewicz Universität, Poznań, 1986; Medal of Honour, Ministry of Education, Volksrepublik Polen, 1989; Officer's Cross of the Order of Merit, Republik Polen, 1990; Commander's Cross of the Order of Merit, Republik Polen, 2005; Goldenes Ehrenzeichen der Universität Wien, 2009.