10 Jahre Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing
| 04. Mai 2011Dieses Jahr begeht die Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing an der Universität Wien ihr zehnjähriges Bestehen. Mit der Gründung im Februar 2001 war die Universität Wien die erste Universität in Österreich, die eine solche Serviceeinrichtung geschaffen hat. Im Interview berichten Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung, welche die Beratungsstelle beherbergt, und Elisabeth Schnepf, Psychotherapeutin und seit Gründung der Serviceeinrichtung für Beratungen zuständig, über ihre Erfahrungen.
uni:view: Vor zehn Jahren, im Februar 2001, wurde die Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing an der Universität Wien gegründet. Gab es konkrete Anlässe für die Einrichtung der Anlaufstelle?
Sylwia Bukowska: Die Gründung der Beratungsstelle geht auf die Initiative der ehemaligen Vizerektorin Gabriele Moser zurück. 1999 wurde an der damaligen Medizinischen Fakultät eine Umfrage unter den MitarbeiterInnen durchgeführt. Die Ergebnisse belegten, dass Mobbing oder/und sexuelle Belästigung zum Arbeitsalltag vieler UniversitätsmitarbeiterInnen gehört. Das führte zu konkreten Überlegungen, wie eine Anlaufstelle für Betroffene organisiert sein könnte. Die Stelle wurde zwar an der Abteilung Frauenförderung verankert, sie steht aber seit dem ersten Tag allen Universitätsangehörigen, Frauen und Männern, offen.
uni:view: Wurde die Beratungsstelle von Anfang an von den MitarbeiterInnen angenommen?
Bukowska: Die Stelle wurde als eine Serviceeinrichtung konzipiert, an die man sich – wenn erwünscht – auch anonym wenden kann. Damit wollten wir von Anfang an das bestehende Spektrum der universitären Einrichtungen um einen "geschützten" Raum erweitern. Und – das ist ganz wichtig – bei den Beratungen gilt ein strenger Vertrauensgrundsatz. Die Beraterin, Elisabeth Schnepf, ist die einzige, die weiß, wer die Beratungsstelle mit welchem Anliegen aufgesucht hat. Nicht einmal ich als Leiterin der Abteilung kenne die Namen der Betroffenen.
Elisabeth Schnepf: Die Beratungsstelle wurde ziemlich rasch von den MitarbeiterInnen der Universität angenommen. Im ersten Beratungsjahr von April 2001 bis April 2002 fanden bereits 72 Beratungen statt. Die größte Gruppe der Betroffenen, die die Beratungsstelle aufsuchten, waren damals MitarbeiterInnen des allgemeinen Universitätspersonals. Am schwächsten besucht wurde die Beratungsstelle zu Beginn von Studierenden, was, denke ich, u.a. damit zusammenhing, dass diese schwieriger zu erreichen waren.
uni:view: Was sind die Hauptanliegen und die Ziele der Beratungsstelle?
Schnepf: Die Beratungsstelle ist eine erste Anlaufstelle für Betroffene. Hier kann in einem geschützten Rahmen über Vorfälle, Befindlichkeit, erforderliche Unterstützung und mögliche nächste Schritte laut nachgedacht werden. D.h., es geht vielfach um Klärung und darum, sich Orientierung oder einen Überblick zu verschaffen. Oft erleben es Betroffene als sehr entlastend, mit einer außenstehenden Person über die Situation sprechen zu können.
uni:view: Welchen Stellenwert hat die Beratungsstelle heute, zehn Jahre nach ihrer Gründung?
Bukowska: Wir haben den Eindruck, dass das Konzept der Stelle von den Betroffenen in all den Jahren positiv angenommen wurde. Es freut uns, dass viele von der Beratungsstelle über "Mundpropaganda" erfahren haben. Das sehen wir als ein Zeichen für positive Bewertung der Beratungsleistung. Neben der Unterstützung in den konkreten Fällen, begleitet uns aber durchaus auch das Ziel, strukturelle Problemstellungen, die im Rahmen der Beratungsgespräche angesprochen werden, als Themen der Universitätskultur aufzufassen. Das halte ich für einen wesentlichen Aspekt dieser Servicestelle, wobei die Perspektive auf dieser Ebene nur eine mittel- bis langfristige sein kann.
Schnepf: Ich denke, dass die Beratungsstelle mittlerweile ein fixer Bestandteil der Universität geworden ist und sich die Einrichtung einer solchen Anlaufstelle als richtig erwiesen hat. Ich bekomme immer wieder die Rückmeldung von Betroffenen, dass sie positiv überrascht sind, dass die Universität diese Beratungsleistung kostenlos zur Verfügung stellt und damit Problembewusstsein dokumentiert.
uni:view: Auf welche Weise wird die Beratungsstelle beansprucht?
Schnepf: Pro Jahr wenden sich zwischen 70 und 90 Personen an uns, und mehr als die Hälfte dieser Personen nehmen ausführliche persönliche Beratungsgespräche in Anspruch. Die Beratungsstelle wird seit ihrem Bestehen von mehr Frauen als Männern besucht: Der Frauenanteil beträgt jährlich zwischen 70 und 80 Prozent. Dies hat einerseits wohl durchaus etwas mit der Geschlechter- als auch Machtverteilung an einer Universität zu tun, andererseits ist im gesamten psychosozialen Feld zu beobachten, dass Frauen grundsätzlich eher dazu bereit sind, sich in schwierigen und belastenden Situationen Unterstützung zu holen.
Auch melden sich deutlich mehr Betroffene wegen Mobbing als aufgrund von sexueller Belästigung bei uns. Das hat vermutlich nicht unbedingt damit zu tun, dass es weniger Vorfälle gibt, sondern damit, dass Übergriffe von sexueller Belästigung bei Betroffenen oft eine große Verunsicherung auslösen, die meist auch von Schuld- und Schamgefühlen begleitet wird. Im Fall von sexueller Belästigung liegen eine enorme Verletzung der Intimitätsgrenzen und ein massiver Eingriff in die persönliche Integrität vor. Das macht es für die Betroffenen oft viel schwieriger als bei Mobbing, die Situation mit anderen zu besprechen. Bestehende Autoritäts- oder Abhängigkeitsverhältnisse erschweren die Situation für die Betroffenen zusätzlich.
uni:view: Die Beratungsstelle hat keine Interventions- oder Sanktionsbefugnis. Wie können Sie den Betroffenen helfen?
Schnepf: Eine Intervention durch die Beratungsstelle ist kaum ein Anliegen der Betroffenen. Ich nehme mir für ein Gespräch sehr viel Zeit – ein Erstgespräch dauert meist eineinhalb bis zwei Stunden – um tatsächlich nach einer ersten Einschätzung der Situation einen passenden und auch realistischen nächsten Schritt gemeinsam überlegen zu können. Neben all der möglichen Unterstützung von anderen universitätsinternen Servicestellen erleben Betroffene weiterführende Unterstützung durch Supervision oder Coaching oft als sehr hilfreich.
uni:view: Was ist Ihr persönliches Resümee nach zehn Jahren Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing?
Schnepf: Ich habe den Eindruck, dass die Problembereiche Mobbing und sexuelle Belästigung bewusster wahrgenommen – und damit auch weniger hingenommen – werden. Und dies halte ich für eine sehr wesentliche Entwicklung, zu der nicht zuletzt die Universität selbst durch die Einrichtung einer solchen Beratungsstelle beigetragen hat. Das gibt Hoffnung für weitere inneruniversitäre Verbesserungen im Sinne der Betroffenen.
Bukowska: Auf die Beratungsstelle bezogen freut es mich zu sehen, dass der Bekanntheitsgrad dieser Einrichtung kontinuierlich steigt (unabhängig davon, ob jemand selbst Bedarf an einer Beratung hat). Auf die Universität Wien als Gesamtorganisation bezogen, freue ich mich über den Beitrag, den diese Stelle im Rahmen des breiten Spektrums verschiedener Servicestellen der Universität Wien leistet. (td)
Die Beratungsstelle Sexuelle Belästigung und Mobbing wurde im Februar 2001 gegründet. Im April 2001 fanden die ersten Beratungen statt. Verankert ist die Beratungsstelle in der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung, die von Mag. Sylwia Bukowska, Bakk. geleitet wird. Die diplomierte Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin Elisabeth Schnepf führt die Beratungsgespräche.