Wer lehrt, hat auch einmal studiert (Teil 1)

Nicht nur für unsere Studierenden, auch für die Lehrenden startet heute das neue Semester. "uni:view" hat nachgefragt, welche Erfahrungen und Tipps sie aus ihrer eigenen Studienzeit mitgenommen haben. Den Anfang macht die Fachdidaktikerin Eva Vetter.

Erinnern Sie sich zurück: Was haben Sie damals an Ihrem ersten Tag auf der Universität Wien (Lehramtsstudium Französisch und Geografie) erlebt?
Eva Vetter: Am ersten Tag an der Uni bin ich in einer Schlange gestanden. Stundenlanges Anstehen gehörte zur Immatrikulation und Inskription, und so habe ich den ersten Tag auf einen Stempel oder eine andere administrative Handlung wartend verbracht. Gut habe ich mich dabei nicht gefühlt. Zu Studienbeginn war ich überhaupt grenzenlos überfordert. Ich kam aus einer Kleinstadt und fand mich nicht sofort in Wien zurecht. Das Institut, an dem ich studieren wollte, hatte vier verschiedene Standorte, und ich war nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte ganz sicher immer ein falsches Formular mit.


Eva Vetter während ihres Au-pair Aufenthalts 1985 in der Bretagne vor der Kathedrale von Quimper. Die Bretagne wurde einige Jahre später auch Gegenstand ihrer Dissertation, in der sie sich inhaltlich mit dem Sprachenkonflikt zwischen Bretonisch und Französisch beschäftigte. (Foto: privat)



Welches Motto hat Sie während Ihres Studiums begleitet?
Eva Vetter: Zum Glück hat sich das Motto im Laufe des Studiums immer wieder verändert. Am Anfang stand das Motto "überstehen" oder "nur nicht wegen der bürokratischen Hürden aufgeben". Es hat sich vieles im Laufe der Zeit eingependelt, auch wenn ich die Bürokratie nie wirklich ohne die guten StudienfreundInnen in den Griff bekommen hätte. Ich konnte mich langsam auf die Möglichkeiten, die einem das Studium damals bot, konzentrieren und meinen Interessen tatsächlich nachgehen. In meinem Studium hatte ich viele Freiheiten und die nutzte ich auch aus. "Wo ist was los?" beschreibt am besten diese Phase. Ich habe tatsächlich das studieren können, was mich interessierte und die Zeit gehabt, Interessen zu entwickeln für Phänomene, die mir fremd waren – aus heutiger Sicht wirkt das wahrscheinlich ungewöhnlich. Das letzte Semester war dann doch sehr konzentriert und das Motto danach "Ich würde noch gerne viel mehr wissen" hat mich letztlich wieder an die Uni geführt.

Was vermissen Sie am meisten an Ihrer Studienzeit?
Eva Vetter: Die Freiheit des Arbeitens und vor allem des Denkens. Als Wissenschafterin hat man ja ohnehin viel mehr Freiheit als in vielen anderen Berufen, doch sind diese Freiräume auch unabdingbar, um kreativ neue Fragen zu entwickeln und an den Antworten zu arbeiten. Ich vermisse jedoch die Tage, die ich als Studentin in den Bibliotheken verbrachte oder die mich als teilnehmende Beobachterin in die Feldforschung geführt haben.

Welche Tipps geben Sie Ihren Studierenden für Ihr Studium mit auf den Weg?
Eva Vetter:
Seien Sie nicht nur pragmatisch und stellen Sie Fragen – lassen Sie nicht locker und schauen Sie über die Grenzen des eigenen Fachs auf der Suche nach einer möglichen Antwort. (mw)


Eva Vetter studierte von 1986 bis 1990 Französisch und Geografie auf Lehramt an der Universität Wien. Zwischen 1992 und 2011 war sie Lehrerin für Französisch und Geografie an der Sekundarstufe II. 1993 schloss sie ihre Dissertation über den "Sprachkonflikt in der ländlichen Bretagne" ab, später war sie u.a. wissenschaftliche Mitarbeiterin an Projekten der Institute für Sprachwissenschaft und Romanistik an der Universität Wien. 2008 habilitierte sie sich in Französischer und Angewandter Sprachwissenschaft; seit September 2011 ist sie Professorin für Fachdidaktik (Sprachlehr- und -lernforschung) und Leiterin des Fachdidaktischen Zentrums/ Sprachlehr- und -lernforschung der Universität Wien.