Studium Generale: "Sich auf andere Erfahrungswelten einlassen"

Die Universität Wien bietet ab März 2019 das österreichweit erste Studium für die nachberufliche Phase an. TeilnehmerInnen durchlaufen im Studium Generale zwölf Module und vertiefen sich in verschiedenen Fachgebieten. uni:view spricht mit den Programmleitern Rudolf Richter und Herbert Ipser.

uni:view: Im März 2019 startet erstmals das Studium Generale. Was verbirgt sich dahinter?
Herbert Ipser:
Das Studium Generale ist eine allgemeine Universitätsausbildung für ältere Menschen, meist in der nachberuflichen Phase. Den TeilnehmerInnen wird ein vielfältiges Programm mit verschiedenen Fächern geboten. Theologie, Soziologie, Geographie, Chemie, Politikwissenschaft, Zeitgeschichte, Kommunikation, Informatik, Molekularbiologie, Rechtswissenschaften und Philosophie sind vertreten.

Rudolf Richter: Die TeilnehmerInnen lernen im Studium Generale die unterschiedlichen Herangehensweisen und Denkweisen der Fächer kennen. Sie haben die Möglichkeit, ihr Allgemeinwissen zu vertiefen und sich mit aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen fundiert auseinanderzusetzen. So können beispielsweise Phänomene wie der Klimawandel ganzheitlich betrachtet werden, da die TeilnehmerInnen mit chemischen, geographischen und soziologischen Zugängen gleichermaßen vertraut sind.

uni:view: Das Studium Generale an der Universität Wien ist das erste nachberufliche Studium in Österreich. Wie kam es dazu?
Richter:
In Wien leben über 300.000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Wir möchten für diese Gruppe ein fundiertes, interdisziplinäres Bildungsangebot schaffen, das sich die Spannweite der Fächer und Studienrichtungen an der Universität Wien zu Nutze macht.

Ipser: Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Menschen den Wunsch haben, den Austritt aus der Arbeitswelt fließend zu gestalten. Sie möchten sich auch nach Berufsende weiterbilden, Interessen vertiefen oder einen Universitätsabschluss nachholen. So ist die Idee eines eigenen Universitätslehrgangs am Postgraduate Center der Uni Wien entstanden.

uni:view: Welche Abschlüsse können die TeilnehmerInnen erwerben?
Richter:
Der Universitätslehrgang geht über vier Semester und schließt mit dem Grad "Akademische/r AbsolventIn" ab. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, eine Masterarbeit zu schreiben – hierfür braucht es allerdings Vorerfahrungen im Umfang eines Bachelorstudiums, also 180 ECTS-Punkte. Bereits absolvierte Diplomstudiengänge oder erste Studienabschnitte und – je nach Einzelfall – Weiterbildungen im Zusammenhang mit einer Praxistätigkeit können angerechnet werden.

uni:view: Inwiefern geht das Studium Generale auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ein?
Richter:
Die jungen Studierenden kommen mit Maturawissen an die Uni, doch die TeilnehmerInnen des Studium Generales bringen 30 oder mehr Jahre an Berufserfahrung mit – genau da müssen sie abgeholt werden. Sie waren teilweise ZeitzeugInnen, haben wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die im Studium behandelt werden, miterlebt. Das kann für die Diskussion hilfreich sein, stellt die Lehrenden aber auch vor gewisse Herausforderungen bei der Stoffvermittlung.

Ipser: Hier hilft der Erfahrungswert unserer Lehrenden. Wir haben hochkarätige WissenschafterInnen an Bord, die im Studium Generale lehren. Viele von ihnen sind bereits selbst in einem fortgeschrittenen Alter. Wir wünschen uns noch mehr Durchmischung und sind nach wie vor auf der Suche nach Vortragenden und ModulleiterInnen, die ihre Expertise einbringen möchten.

Im Studium Generale lehren? Die Programmleitung des nachberuflichen Studiums sucht engagierte Lehrende der Universität Wien, die ihr Fachgebiet älteren Studierenden näher bringen möchten. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an: studiumgenerale(at)univie.ac.at

uni:view: Welche Empfehlung geben Sie den TeilnehmerInnen des Studium Generale mit auf den Weg?
Ipser:
Es wird wichtig sein, dass die Studierenden selbst Impulse geben, wie sie die Module und Lehrveranstaltungen gestalten möchten. Auf diese Weise werden sie mehr von dem Studium haben und auch wir lernen dazu.

Richter: Mein Rat: Neugierde und Offenheit mitbringen! Die TeilnehmerInnen sollten bereit sein, sich auf andere Erfahrungswelten einzulassen.

uni:view: Was wünschen Sie sich als Leiter für die Zukunft des Studium Generale?
Ipser:
Ich wünsche mir eine größere Vielfalt. In Zukunft sollen noch mehr Fächer im Studium Generale angeboten werden.

Richter: Wenn allein die Universität Wien schon eine große Palette an Themen aufweist, wie sieht es dann erst mit dem Standort Wien aus? Ein weiterer Schritt könnte sein, andere Universitäten und deren Spezialgebiete miteinzubeziehen.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (hm)

Herbert Ipser ist Professor für Anorganische Chemie. Seine Fachgebiete sind u.a. metallische Verbindungen und Legierungen. Rudolf Richter forscht und lehrt an der Fakultät für Sozialwissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u.a. Familiensoziologie, Soziologie der Lebensformen und Sozialstrukturanalyse. Gemeinsam leiten sie das Studium Generale am Postgraduate Center der Universität Wien.