Die Ukraine: Ein Land voller Überraschungen

Auf dem Weg von Krakau über Lemberg und Czernowitz nach Kiew beschäftigen sich 24 Studierende der Universität Wien mit Themen wie Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik. Für uni:view berichten sie von ihrer Exkursion.

Tag 4: "Mein Auftrag ist es, Brücken zu bauen"

Wir lassen Polen hinter uns und überschreiten die Grenze in die Ukraine. Bei einem Spaziergang durch Lemberg (Lwiw) werden wir immer wieder überrascht. In vielem erinnert die ehemalige galizische Hauptstadt an österreichische Städte, der Geist der k.u.k. Monarchie ist deutlich zu spüren. Nicht umsonst wird die Stadt im Volksmund auch oft "Klein-Wien" genannt.

Unsere Exkursionsgruppe im malerischen Lemberg.

Mit dem Postulat "Mein Auftrag ist es, Brücken zu bauen" beginnt der österreichische Kultur- und Wissenschafts-Attachée sowie Leiter des OeAD-Büros in der Lemberger Universität, Andreas Wenninger, seinen Vortrag. Projekte, Kooperationen und Initiativen um die Beziehungen zwischen Österreich und der Ukraine zu stärken, werden von der Einrichtung unterstützt.

Im System überleben

Wenninger vermittelt uns spannende Eindrücke und Meinungen aus seiner täglichen Arbeit und dem Leben im Westen der Ukraine. Durchaus kontrovers diskutieren wir über Wirtschaft und Korruption, den Ostukraine-Konflikt sowie die Sicht der ukrainischen Bevölkerung auf Österreich. "Korruption ist allgegenwärtig und jeder – ob gewollt oder nicht – ist Teil des Systems", schildert Andreas Wenninger. Ob im Krankenhaus beim Erhalten einer Infusion oder für einen Schulplatz – informelle Geldflüsse werden neben Subsistenzwirtschaft benötigt, um im System zu überleben. Verbesserungen werden nur sehr langsam umgesetzt, doch gerade in Lwiw hofft die Bevölkerung auf eine bessere Zukunft als Teil Europas.

Andreas Wenninger (links) vom OeAD in Lemberg

Unsere nächste Station ist das "Center for Urban History of East Central Europe“, das sich mit der Sammlung und Digitalisierung von historischen Fotos und Daten ukrainischer Städte sowie deren Erforschung und Publikation beschäftigt. Iryna Skolokina erzählt uns vom multikulturellen Leben vor den Weltkriegen, sozialistischer Urbanität und Architektur und aktuellen Fragestellungen von öffentlichem Raum und partizipativer Stadtgestaltung. In Workshops und Summer Schools werden Projekte wie "Noviy Lviv: Among Parks and the Railway", "Voices of Resistance and Hope: Kyiv-Lviv-Kharkiv" oder "The Idea of the City: Reality Check" realisiert.

Iryna Skolokina (Bildmitte) beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung ukrainischer Städte

Tag 5: Auf den Spuren von Joseph Roth

Nach einem eindrucksvollen Tag in Lemberg, an denen wir die zahlreichen historischen Bande der ehemaligen galizischen Hauptstadt zum übrigen Habsburgerreich sehen und spüren, machen wir uns bereit für unseren "Roth-Trip" in die Stadt Brody, welche sowohl die Heimat unseres Reiseführers Pawel als auch die des 1849 geborenen deutschsprachigen Schriftstellers Joseph Roth ist. Letzterer besuchte das Kronprinz-Rudolf-Gymnasium und absolvierte dieses als letzter Jahrgang in deutscher Sprache.

Wir besuchen die Originalschauplätze seines berühmten Romans "Radetzkymarsch" und können den Flair und den Glanz des damaligen Brody erfahren. Die Ruine der ehemals prachtvollen Synagoge und der große Friedhof erinnern an eine Zeit, in der die jüdische Kultur in dieser Gegend florierte. Den Tag schließen wir nach der Ankunft im hübschen Czernowitz mit einer Erkundung unter stadtgeographischen Gesichtspunkten ab.

Tag 6: Jüdisches Leben in Czernowitz

Wir sind in der letzten aktiven jüdischen Gemeinde in Czernowitz eingeladen. Ihr gehörte seinerzeit auch Paul Celan an, welchem ein Denkmal im Stadtzentrum gewidmet ist. In der 1923 erbauten, reich geschmückten Synagoge tauschen wir uns mit dem örtlichen Rabbiner aus und sind von der beachtlichen Größe und den Aufschriften in gleich mehreren Sprachen auf den Grabsteinen beeindruckt.

Unser nächstes Ziel ist die Festung Chotyn, welche sowohl ein regionaler Tourismusmagnet als auch Schauplatz der gewaltigen Schlacht zwischen Kosaken und Osmanen im Jahre 1621 war. Über Jahrhunderte verlief hier die Grenze zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Königreichen. Wir erkunden das weitläufige Festungsareal, welches als Schauplatz für zahlreiche Filmproduktionen und den weltberühmten Roman "Die weiße Festung" des Nobelpreisträgers Orban Pamuk Bekanntheit erlangte.

Tag 7: Schützen oder nützen?

Im 2.613 Quadratkilometer umfassenden Nationalpark Podilski Towtry, dem größten der Ukraine, liegt unser nächstes Etappenziel. Die "Towtry" bezeichnet ein mit felsigen Hügelformationen durchzogenes miozänes Hochplateau, Reste von Riffkalken der Paratethys.

Talmäander des Dnister im Nationalpark Podilski Towtry

"Der Nationalpark gehört zu den sieben Naturwundern der Ukraine", schildert uns ein Mitarbeiter des Nationalparks, während wir am Ufer des gigantischen Stausees wandern. Die derzeitige Nutzung des Nationalparks für Abenteuertourismus und Stromgewinnung steht im Widerspruch zur ursprünglichen Idee seiner Gründung, dem Naturschutz. Zahlreiche endemische und bedrohte Pflanzenarten sind im Park angesiedelt. Wir machen uns auf in Richtung Kiew, wieder steht uns dichtes Programm bevor. Von diesem werden wir im abschließenden Bericht erzählen.

Fortsetzung folgt …

AutorInnen: Hannes Wirnsberger, Bettina Lampl, Marlene Ecker, David Neuber, Martin Hiesmayr, Laurin Mayer, Sophia Lugmayr, Dominik Novak und S. B.Die Fachexkursion "Polen-Ukraine: Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik" führt 24 Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung von 12. bis 22. Mai 2016 unter der Leitung von Martin Heintel und Gerhard Strohmeier von Krakau nach Kiew.