Vormodernes Recht als Denkmodell für die Gegenwart?
| 23. August 2019Beim Joint Historical Law Moot Court konnten Studierende der Uni Wien ihr Wissen über das jüdische Recht und das Ius Commune unter Beweis stellen und vor einem fiktiven Gericht verhandeln. Stephan Wendehorst vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte berichtet aus Tel Aviv.
Seit 2016 experimentiert das Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität mit zwei Moot Courts zum historischen Recht, dem "Ius Commune MC – The Imperial Aulic Council" und dem "Historical Jewish Law MC – The Rabbinic Tribunal of Prague". Ersterer orientiert sich an einem konkreten historischen Fall, den der meist in Wien ansässige kaiserliche Reichshofrat getroffen hat. Die Fallgestaltung des "Historical Jewish Law MC – The Rabbinic Tribunal of Prague" ist an die Rechtssprechung des Prager Rabbinatsgerichts angelehnt.
Welches Recht hat Recht?
2019 sind der "Ius Commune Moot Court – The Imperial Aulic Council" und der "Historical Jewish Law Moot Court – The Rabbinic Tribunal of Prague" ausnahmsweise unter einem Dach zusammengefasst worden. Die Fallgestaltung orientierte sich an einem Erbschaftsstreit in der Familie eines in Frankfurt am Main ansässigen kaiserlichen Hofjuden. Ob in diesem Fall von den christlichen Richtern des kaiserlichen Reichshofrats jüdisches Recht oder das lokale Frankfurter Partikularrecht anzuwenden war, beschäftigte die Studierenden während der Verhandlung. Die Teams hatten einmal die KlägerInnen- und einmal die Beklagtenseite zu vertreten.
In diesem Jahr waren acht Studierende der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien am Joint Historical Moot Court beteiligt: Konstantin Aichinger, Moumi Awudu, Lynn Efrati, Oleksandr Fentsyk Magnus Gielge, Isabella Höfferer, Markus Sampt und, Julia Schachinger, Das Semi-Finale erreichten Konstantin Aichinger, Moumi Awudu, Lynn Efrati und Isabella Höfferer, das Finale Konstantin Aichinger und Isabella Höfferer. Im Bild: Alle TeilnehmerInnen (© Edward Fram)
Vormoderne Welt und aktuelle Relevanz
Mit 24 Studierenden und einer beinahe ebensogroßen Zahl von DozentInnen und Coaches bot der Joint Historical Moot Court eine seltene Gelegenheit für die intensive Beschäftigung mit Kollision und Zusammenspiel von römischem Recht, kanonischem Recht, Frankfurter Partikularrecht und jüdischem Recht als einem weiteren Partikularrecht der vormodernen Rechtsordnung des Ius Commune. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise nationalstaatlicher Rechtsordnungen hatte die Beschäftigung mit der vormodernen Welt des Ius Commune, in der der staatliche Gesetzgeber nur eine, wenn auch bedeutende Quelle von Normativität war, aktuelle Relevanz.
Die Moot Courts zum Recht der frühen Neuzeit entstanden im Rahmen des Forschungsclusters The Jewish Holy Roman Empire, das seit 2010 dem Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte zugeordnet ist. Modell für die beiden Moot Courts waren der Roman Law International Moot Court und der Moot Court zum Rheinischen Recht. 2018 wurden die beiden Moot Courts zum historischen Recht gemeinsam mit den anderen Moot Courts der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mit dem Teaching Award (siehe Beitrag in uni:view) ausgezeichnet.
Moot vor dem Moot
Dem von der Buchmann Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Tel Aviv am 7. August 2019 ausgerichteten Finale vorausgegangen waren zwei jeweils einwöchige Pre-Moots und ein breit angelegtes Programm an Einführungs- und Begleitvorträgen zur Stellung von Juden und Jüdinnen und des jüdischen Rechts in der vormoderne Welt des Ius Commune. Die Teilnahme an den beiden Pre-Moots war für die TeilnehmerInnen aus Wien, Moskau, Tel Aviv und New York verbindlich vorgesehen. Trotz unterschiedlicher Ausgangslage, was die Kenntnis des jüdischen Rechts und des Ius Commune betraf, sollte ein hinreichendes Minimum an Expertise hergestellt werden.
Joint Historical Moot Court in 2020
Nach dem erfolgreichen Verlauf des diesjährigen Joint Historical Moot Court werden 2020 auch die Lomonossow Universität Moskau und die Hebräische Universität Jerusalem am Historical Jewish Law Moot Court – The Rabbinic Tribunal of Prague beteiligt sein. Damit hat sich ein in den ersten Jahren von den Universitäten Wien und Tel Aviv getragenes weitgehend bilaterales und forschungsorientiertes Unternehmen in einen internationalen Moot Court mit vorerst fünf teilnehmenden Universitäten aus drei Kontinenten, mehreren Entscheidungsrunden und einer kompetitiven Komponente entwickelt. Weitere Universitäten haben bereits ihr Teilnahmeinteresse zum Ausdruck gebracht.
Der erste Pre-Moot des 5. Historical Jewish Law Moot Court – The Rabbinic Tribunal of Prague wird im Februar 2020 von der Hebräischen Universität ausgerichtet. Im September entscheidet sich, ob die Lomonossow Universität bereits im kommenden Jahr den zweiten Pre-Moot sowie das Finale in Moskau ausrichtet.
Stephan Wendehorst ist Lektor für Rechtsgeschichte und koordiniert den Forschungscluster "The Jewish Holy Roman Empire – History of the Jews in the Holy Roman Empire and its Successor States", der seit 2010 dem Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien zugeordnet ist.