Verica Trstenjak: Vom EuGH in das Herz Europas

Verica Trstenjak hat als Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof sechs Jahre lang die Rechtsentwicklung der EU mitbestimmt. Seit April 2013 lehrt und forscht die renommierte slowenische Juristin als Professorin für Europarecht in ihrer neuen Wahlheimat Wien, im Herzen Europas.

"Ich war immer irgendwie die Jüngste ...", beginnt Verica Trstenjak ihre Antwort auf die Frage nach ihrem bisherigen Karriereweg. Wer den Lebenslauf der 50-jährigen Slowenin betrachtet, erkennt schnell, was sie damit meint: Schon im Alter von 23 erhält Verica Trstenjak ihr Diplom an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Ljubljana, 1987 schließt sie ihr juristisches Examen ab. Mit 32 ist sie bereits stellvertretende Staatssekretärin im slowenischen Ministerium für Forschung und Technologie; nach dem Abschluss des Doktoratsstudiums übernimmt sie von 1996 bis 2000 den Posten der Staatssekretärin.

Im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg bewirbt sich Trstenjak dann 2004 für eine Stelle als Richterin am Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg, die sie auch prompt erhält und bis 2006 innehat. Auch eine darauffolgende Ausschreibung für die begehrte Position eines Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) kann sie erfolgreich für sich entscheiden. "Als Generalanwältin konnte ich von 2006 bis 2012 die Rechtsentwicklung der EU mitbestimmen. Die Entscheidungen haben einen Einfluss auf rund 500 Mio. EU-BürgerInnen – eine ebenso große Verantwortung wie Herausforderung", betont Trstenjak.


"Ich war sehr zufrieden mit der Arbeit am Europäischen Gerichtshof, aber nicht mit dem Leben in Luxemburg. Das ist mir zu weit im Norden, es ist zu kalt und es gibt zu viel Regen. In Wien – im Herzen Europas – hat das Leben eine ganz besondere Qualität und es scheint öfter die Sonne. Wien ist einfach Wien, hier geht man gerne hin", erzählt Verica Trstenjak. Im Bild: Die Juristin in der traditionellen roten GeneralanwältInnen-Robe im Foyer des EuGH-Gebäudes in Luxemburg.



"Wollte immer Professorin werden"


Dass die anerkannte Europarechtsexpertin nach dieser prestigeträchtigen Tätigkeit mehrere Jobangebote ausgeschlagen hat, um eine Professur an der Universität Wien anzunehmen, begründet sie mit zwei unterschiedlichen Faktoren: "Erstens wollte ich immer schon Professorin werden. Ich habe mich bereits in Luxemburg entschieden, wieder in den akademischen Bereich zu gehen und nicht in der Politik oder an einem Gericht zu bleiben." Im Grunde habe sie auch in ihrer Zeit als Staatssekretärin, Richterin und Generalanwältin stets "mit einem Bein in der Wissenschaft" gestanden: "Ich hatte auch damals ständig nebenbei einen Lehrauftrag", schildert Trstenjak.

Der zweite Grund liegt in der Gestaltung der Arbeitspraxis. "Als Professorin habe ich deutlich mehr Freiheiten – nicht nur wissenschaftlich, sondern auch, was die Zeiteinteilung betrifft. Ich schätze diese Flexibilität sehr, am EuGH war das eher strikt geregelt", meint die Juristin, die ihre neu gewonnenen Freiheiten vor allem für wissenschaftliche Publikationen oder Besuche von Fachveranstaltungen nutzen will. "Wichtig war für mich auch, dass die Universität Wien eine der ältesten deutschsprachigen Universitäten ist und noch dazu ein sehr gutes internationales Renommee hat", ergänzt die Wissenschafterin.

Brandaktuelle Fragen

Als Professorin für Europarecht befasst sich Verica Trstenjak mit einem breiten Spektrum an Themenbereichen. Als spezielle inhaltliche Schwerpunkte nennt sie unter anderem Europäisches Verbraucherschutzrecht, Urheberrecht, Grundrechte und Zivilrecht. Die konkreten Fragen, mit denen sie sich dabei beschäftigt, könnten kaum aktueller sein. "Speziell das Urheberrecht und der Verbraucherschutz haben in Zeiten des Internets enorm an Bedeutung gewonnen. Die Menschen kaufen immer öfter im Web ein, laden sich Daten herunter und schließen online Verträge ab. Hier stellen sich immer neue rechtliche Fragen", erläutert die Expertin.

Zurzeit arbeitet sie zudem an mehreren Publikationen, etwa zu Fragen der Unionsbürgerschaft. "Ich habe dieses Thema auch für meine Antrittsvorlesung bewusst gewählt, weil wir in diesem Jahr das 'Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger' feiern. Ich möchte die Entwicklung und Bedeutung der Unionsbürgerschaft aufzeigen. Sie ermöglicht, dass wir uns innerhalb der EU-Grenzen frei bewegen können", stellt die Professorin klar.

Im Rahmen ihrer Forschung stellt Verica Trstenjak beispielsweise auch die Frage, wie eine effektive Kontrolle der Finanzmärkte durch nationale und europäische Agenturen aussehen könnte und wie sich angesichts einer Finanzkrise ein effektiver Rechtsschutz für Betroffene gewährleisten lässt. "Durch den Konkurs einiger Banken haben hunderttausende Investoren viel Geld verloren. Welche Ansprüche haben die Geschädigten bzw. wie sollen sie hier rechtlich vorgehen?", so die Wissenschafterin.

Theorie trifft Praxiserfahrung

In Anbetracht ihrer beeindruckenden Karriere und der wohl unschätzbaren Erfahrungen, die Verica Trstenjak in ihren zahlreichen bisherigen Positionen gesammelt hat, wundert es nicht, dass die juristische Expertise der Slowenin heiß begehrt ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt schon in der Zahl ihrer gegenwärtigen Positionen und Mitgliedschaften. Aber natürlich können auch ihre StudentInnen davon profitieren. "Praxisbezug ist mir in der Lehre besonders wichtig. Ich arbeite viel mit praktischen Beispielen und versuche, meine Erfahrungen und mein Wissen an die Studierenden weiterzugeben. Sie sollen die Problemstellungen verstehen und sich als JuristInnen entwickeln, die nicht nur Gesetze lesen können, sondern diese auch kritisch hinterfragen und beurteilen können", meint Trstenjak abschließend. (ms)

Univ.-Prof. Dr. Verica Trstenjak, seit April 2013 Professorin für Europarecht am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, hält am Mittwoch, 11. Dezember 2013, um 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Civis europeus sum – Die Unionsbürgerschaft: Vom Wirtschaftsbürger zum politischen Bürger" – gemeinsam mit Univ.-Prof. Mag. Dr. Ursula Kriebaum (zum Porträt) vom Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung und Univ.-Prof. MMag. Dr. Klaus Hirschler (zum Porträt) vom Institut für Finanzrecht.