Über den Grund des Vergnügens am philologischen Vergleich

Achim Hölter ist seit September 2009 Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Seine Antrittsvorlesung zum Thema "Über den Grund des Vergnügens am philologischen Vergleich - Bemerkungen zur Gegenwart und Zukunft der Komparatistik" hielt er am Mittwoch, 23. Juni 2010, im Kleinen Festsaal. Für "dieUniversitaet-online" hat Achim Hölter seinen Vortrag zusammengefasst.

"Komparatistik" ist der historisch üblich gewordene Name für (Allgemeine und) Vergleichende Literaturwissenschaft. Diese vor ca. 200 Jahren entstandene Teildisziplin der Philologie definiert sich heute als jene Literaturwissenschaft, die regelmäßig Sprachgrenzen, Grenzen zu anderen Künsten bzw. Medien und seit einiger Zeit auch zu anderen Wissenschaften oder Wahrnehmungsweisen überschreitet. Verglichen werden Texte, AutorInnen, Gattungen, Inhalte, Strukturen, Konstanten zwischen literarischen Kulturen verschiedener Sprache, außerdem auch literarische Texte mit ihren Adaptionen in anderen Künsten und Medien, Musik, Bildkunst, Film, Comic, und gelegentlich Aussagen mit dem Wissen anderer Wissenschaften.

Zweckfreies Spiel, ästhetischer Reiz und die Lust am Besserwissen


Neben zweckrationalen und ethischen Fachbegründungen ist die Komparatistik auch deshalb so lebendig, weil sie schlicht Spaß macht. Worin besteht das Vergnügen am philologischen Vergleich?

1. In der Offenheit und dem zweckfreien Spiel der Analogie.
2. Im Geltenlassen starker Texte nach erfolgtem Vergleich, letztlich im ästhetischen Reiz des zum Vergleich provozierenden Kunstwerks.
3. In dem durch Vergleich in Gang gesetzten ewigen Wettbewerb, einer etwas idealistischen Konzeption von Kanonbildung.
4. In der bei KomparatistInnen häufigen Lustverheißung des Rechthabens durch Bestätigung philologischer Hypothesen.
5. In der Kontroll- und Ordnungslust des Bücher- oder Textesammelns.
6. Im subtilen Reiz des Erkennens von Entsprechungen auf den dritten Blick.
 7. In der oft uneingestandenen Lust am Besserwissen, zumal auch gegenüber den AutorInnen selbst.
8. In der Angst-Lust des Vorgeschmacks von Unendlichkeit, den das Erhabene der Büchermassen bietet.

Diese und andere Gründe motivieren nicht exklusiv, aber besonders typisch das Vergnügen der KomparatistInnen an ihrem Fach.

Komparatistik studieren


Vergleichende Literaturwissenschaft kann momentan an 39 Universitäten des deutschen Sprachraums studiert werden; in Österreich ist diese Disziplin gar ein Standardfach. Dennoch steht sie in einer gewissen Mittelposition: traditionsreich und aktuell, aber als Disziplin kein dauerndes Mediengespräch. Die AbsolventInnen qualifizieren sich überdurchschnittlich, finden attraktive Arbeitsplätze, doch als Nicht-Lehramtsfach ist die Komparatistik politisch wenig geschützt.

Nach der Zahl der Studierenden (meist mehrere Hundert, in Wien sogar über Tausend) gehört sie den 'großen' Fächern an, den 'kleinen' aber oft nach der Zahl des festen Lehrpersonals. Zudem hat der Bologna-Prozess eine Verknappung der sprachlich-ästhetischen Zusatzqualifikationen bewirkt, die auf Dauer der Qualität des Faches schaden könnten. Hingegen zeigt sich, nicht zuletzt am Arbeitsmarkt, dass Komparatistik als Weltliteraturwissenschaft markante Vorteile bietet, zumal sie die realen globalisierten Literaturverhältnisse des 21. Jahrhunderts abbildet. Dabei wird sie stets aufs Neue ihr Verhältnis zu den Einzelsprachphilologien klären müssen.

Vom Finden ...

Auf problematische Weise interessant wird in Zukunft die Kategorie der Belesenheit: Die Such-Hermeneutik, die mit der Frage beginnt, ob und wo AutorInnen sich zu einem Motiv oder Thema geäußert haben, ist so nicht fortzusetzen. Stattdessen erwächst eine sehr ernsthafte Aufgabe daraus, das richtige Suchstichwort samt Synonymen zu finden, ja, historische Orthographien und idiosynkratische Namensformen zu berücksichtigen. Diese "Wortschatzarbeit" erfordert umfassendere Fremdsprachenkenntnisse denn je.

Auch kann man kaum noch getrennt danach fragen, welche Bücher ein Autor oder eine Autorin verarbeitet hat oder welche Filme, Comics, usw. Die Anonymität des weltweiten digitalen Korpus wird dazu führen, dass gerade die Volltextsuche die Basisthese der Diskurstheorie verwirklichen wird. Im digitalen Zeitalter sind also Quellenforschung, Prioritätsfragen, geistiges Copyright, Rekonstruktion des individuellen kreativen und des intertextuellen Verarbeitungsprozesses via Schreibspuren ein prekäres Ziel.

... zurück zum Suchen

Deshalb gehört es zur Propädeutik der Komparatistik, das Verdienst vom Finden in das zielorientierte Suchen zurückzuverlegen. Die wichtigste Arbeitsphase wird vor dem Einschalten des Computers liegen. Ein Jahr darüber zu reflektieren, Konzepte zu entwickeln, potenzielle Begründungen zu entwerfen, und dann in einem Monat mit allen Registern der Digitalität die Bestätigung zu generieren, so ungefähr dürfte in Zukunft eine verantwortliche komparatistische Studie entstehen, so auch bleibt das intellektuelle Vergnügen am Vergleich erhalten.

Univ.-Prof. Privatdoz. Dr. Achim Hermann Hölter, M.A. ist seit September 2009 Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.