Stefan Boresch: Einmal Harvard und zurück

Der Chemiker Stefan Boresch hat sein Doktoratsstudium in Harvard absolviert, um bei dem aktuellen Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus zu lernen. Mit seinem gesammelten Wissen kehrt er nun als Professor für Computergestützte Strukturbiologie zurück an seine Alma Mater, die Universität Wien.

Für Stefan Boresch bedeutet seine Professur am Institut für Computergestützte Biologische Chemie mehr als bloß einen weiteren wichtigen Karriereschritt. "Für mich stellt diese Position auch eine Rückkehr zu meinen akademischen Wurzeln dar", so der Chemiker, der 1965 in Wien geboren ist. Von 1984 bis 1990 studiert er Chemie an der Universität Wien, seine Diplomarbeit verfasst er bei seinem heutigen Institutskollegen Othmar Steinhauser. Im Zuge eines Reisestipendiums der Austrian Fulbright Commission wechselt er dann ab 1990 in die USA, wo er im Rahmen seiner Dissertation insgesamt sechs Jahre lang bei Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus an der renommierten Harvard University forscht und lehrt.

Nach dem "ebenso intensiven wie ungemein spannenden und gewinnbringenden" Aufenthalt in Cambridge reist er gemeinsam mit Karplus nach Straßburg, wo dieser neben seiner Stelle in Harvard die Position eines "professeur conventionné" am Laboratoire de Chimie Biophysique der Universität Straßburg angenommen hat. Erst 1997 kommt Boresch wieder an seine "Heimatuniversität" – damals allerdings noch als Universitätsassistent am Institut für Theoretische Chemie. Im Anschluss an seine Habilitation im Jahr 2002 wird er hier zunächst außerordentlicher Professor. 2006 folgt noch ein weiterer Forschungsaufenthalt am ISIS in Straßburg. Seit Oktober 2011 hat er schließlich eine Professur für Computergestützte Strukturbiologie an der Universität Wien inne.

Von "einem der Besten" gelernt

Dass der Ehemann und Vater von drei Mädchen nach mehreren Jahren an der US-Eliteuni viele wertvolle Erfahrungen und Fähigkeiten mit in seine Wiener Heimat bringen kann, liegt auf der Hand. "Ich bin nach Harvard gegangen, um bei einem der Besten zu lernen", so der Forscher, der den engen Kontakt zu seinem Doktorvater "nicht nur fachlich, sondern auch persönlich sehr geschätzt" hat: "Wenn man Karplus kennenlernt, kann er zu Beginn eher reserviert sein. Hat man allerdings erst einmal eine Zeit lang in seiner Forschungsgruppe mitgearbeitet, ändert sich das sehr schnell", erzählt Stefan Boresch.


In Harvard war Stefan Boresch auch als Teaching Assistant für Martin Karplus (Bild) tätig. "Schon im zweiten Semester kam Karplus zu mir und bat mich, einen Kurs zu übernehmen", erinnert sich der Wiener Chemiker zurück: "Irgendwann Mitte des Semesters fragte er mich dann, ob ich nicht gemeinsam mit einem Kollegen einen seiner Kurse halten könnte, da er selbst verreisen wollte. Wir waren verblüfft, dass er uns schon so früh ein derart großes Vertrauen schenkte. Ein paar Monate später hat er uns dann sogar noch einen Scheck über jeweils 400 Dollar in die Hand gedrückt und gemeint, dass uns das jetzt zustehen würde. Schließlich hätten wir ja die Vorlesung gehalten und nicht er." (Foto: Harvard University)


An die Zeit in Harvard erinnert er sich aber nicht nur wegen der wertvollen Zusammenarbeit mit Martin Karplus sehr gerne: "Besonders fasziniert hat mich an dieser Universität, dass ich sehr schnell viele Freunde und Bekannte aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen finden konnte. Egal ob in Geschichte oder Architektur – alle waren absolute ExpertInnen auf ihren Gebieten. Das hat zu sehr intensiven und spannenden Diskussionen quer über die Fächergrenzen hinweg geführt, die für mich sehr bereichernd waren", schildert Boresch.

Simulation chemischer Prozesse

Die interdisziplinäre Ausrichtung charakterisiert auch heute die Forschungsarbeit des Chemikers. "Die Computergestützte Strukturbiologie befindet sich an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen wie Chemie, Biologie, Informatik, Physik, Mathematik oder Medizin. Ihr Ziel ist ein besseres grundlegendes Verständnis chemischer Prozesse", erklärt der Experte. Die detaillierte Untersuchung des Ablaufs biochemischer Reaktionen in Biomolekülen mit experimentellen Methoden ist höchst aufwendig und liefert oft nur indirekte Ergebnisse. "Hier kommen dann Computer bzw. Supercomputer wie der Vienna Scientific Cluster (VSC) ins Spiel, mit deren Hilfe es möglich ist, die Details chemischer Reaktionen zu simulieren".


Die Rechenzeiten am VSC (Bild) sind begehrt, stehen aber nicht immer gleich zur Verfügung. Der Chemiker, der sich auch privat mit Computern beschäftigt, hat sich eine Lösung einfallen lassen: "Wir können alternativ auf die Rechenpower der Grafikkarten herkömmlicher Standard-PCs zurückgreifen. Hierfür habe ich eine eigene CHARMM-Version entwickelt, die es ermöglicht, sowohl mit herkömmlichen als auch mit polarisierbaren Kraftfeldern zu rechnen. Damit erzielen wir die Leistung von 32 VSC-Prozessorkernen".


Stefan Boresch hat sich dabei vor allem auf die Nutzung und Entwicklung eines ganz konkreten Simulationsprogramms namens "CHARMM" (kurz für "Chemistry at HARvard Molecular Mechanics") spezialisiert. Diese Software wurde ursprünglich in Martin Karplus Gruppe in Harvard entwickelt, und wird weltweit kontinuierlich in mehreren Arbeitsgruppen weiterentwickelt. "Ich selbst habe eine unbefristete Entwicklerlizenz und bin die erste Anlaufstelle bei Fragen und Problemen, die hier am Institut auftauchen, wo das Programm mittlerweile breit eingesetzt wird", ergänzt der Wissenschafter.

Am Puls der Zeit

Mit seiner Forschung bewegt sich Boresch sowohl thematisch als auch technologisch am Puls der Zeit. "Computergestützte Verfahren werden mit der zunehmenden Rechenleistung der Computer immer wichtiger für die wissenschaftliche Forschung. In der Chemie gibt es etwa im Bereich der Molekularmechanik noch viele ungelöste Fragen. Wir kennen zwar die theoretischen Gleichungen, können sie aber ohne die Unterstützung des Computers nicht lösen", betont der Professor.

Wer sich einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand verschaffen will, sollte unbedingt die Antrittsvorlesung des Chemikers besuchen. "Ich werde viel mit konkreten Beispielen arbeiten und habe auch ein kleines Experiment vorbereitet, um die wichtigsten Zusammenhänge zu verdeutlichen", verrät Stefan Boresch vorab. (ms)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Boresch, seit Oktober 2011 Professor für Computergestützte Strukturbiologie und stellvertretender Vorstand des Instituts für Computergestützte Biologische Chemie der Fakultät für Chemie, hält am Montag, 16. Dezember 2013, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "Chemie und Biologie am Computer".