Peter Reichl: Neue Töne in die Informatik bringen
| 28. April 2015In der Informatik spielten UserInnen bisher eine eher untergeordnete Rolle, im Vordergrund stand vor allem Technik. Der neue Informatik-Professor Peter Reichl möchte das ändern – mit einer "Anti-Kopernikanischen Wende", die den Menschen zurück in den Mittelpunkt des technologischen Universums rückt.
Auf den ersten Blick mag ein E-Piano im Büro eines Informatik-Professors überraschen. Auch die – von seiner Frau gemalten – Bilder und etliche philosophische Bücher im Zimmer von Peter Reichl, der seit März 2013 die Professur für Informatik (Kooperative Systeme) an der Universität Wien innehat, brechen wohl mit einigen Klischees. So facettenreich wie sein Büro ist auch der sympathische Wissenschafter selbst.
Zusammenbringen, vernetzen, Brücken bauen – diese Begriffe spielen im Leben des gebürtigen Bayern eine wichtige Rolle. Auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit, denn Peter Reichl forscht u.a. zu Kooperativen Systemen – aus einem interdisziplinären Blickwinkel: "Mir geht es weniger um gemeinsame Dokumentenverwaltung, sondern um Menschen und Systeme." Der Informatik-Professor der Universität Wien plädiert für eine "anti-kopernikanische Wende in der Informations- und Kommunikationstechnik", über die er auch in seiner Antrittsvorlesung am Montag, 4. Mai 2015, sprechen wird: "Es geht darum, den Faktor Mensch zurück ins Zentrum zu rücken und sich anzusehen: Für wen ist die Technologie denn eigentlich da?"
Runde eckige Kanten
Durch einen "fantastischen Lehrer am Gymnasium", der am 4. Mai auch zur Antrittsvorlesung von Peter Reichl nach Wien kommt, fand der heute 47-jährige während seiner Schulzeit Zugang zur Mathematik: "Mich hat damals wie heute vor allem auch die ästhetische Seite der Mathematik angesprochen. Zur Schulzeit schien mir nichts so vollkommen wie eine mathematische Kugel. Erst sehr viel später habe ich allerdings dann gemerkt, dass es darauf gar nicht ankommt, sondern mich die Menschen mit ihren Ecken und Kanten viel mehr interessieren."
Von 1991 bis 1992 hat Peter Reichl an der University of Cambridge studiert, wo er mit dem "Punting" in Kontakt kam: "Das ist dort quasi Nationalsport. Während ich bei meinem ersten Besuch im Feber 1990 noch standesgemäß im River Cam landete und nur knapp an einer Lungenentzündung vorbeischrammte, funktionierte es 1992, wie man auf dem Foto sieht, schon besser", so Reichl. (Foto: Privat)
Mit Pythagoras und Platon
1987 folgte ein Mathematik und Physik-Studium in München. Parallel studierte er zwei Jahre lang auch Philosophie. "Mein StudentInnenwohnheim lag direkt neben der Hochschule für Philosophie München, so dass ich fast ausschließlich mit Philosophie-Studierenden zusammenwohnte. Mich wurmte es, dass ich von ihren Diskussionen kaum ein Wort verstand, und so habe ich beschlossen, das noch zusätzlich zu studieren", schmunzelt Peter Reichl, der dieses Zusatzstudium mit dem sog. "Bakkalaureat" abschloss.
Freies Denken
"Der Kern dessen, was ich von der Mathematik mitgenommen habe, ist das Interesse für Struktur, die viel wichtiger ist als das konkrete Resultat", erklärt Peter Reichl, der 1999 in Informatik promovierte und ab 2001 am Forschungszentrum Telekommunikation Wien (FTW) tätig war. 2010 folgte die Habilitation an der TU Graz. "Ich habe rund 15 Jahre lang relativ industrienah gearbeitet. Das war eine gute und wichtige Erfahrung, allerdings schätze ich nunmehr an einer Universität ungemein, dass ich die Freiheit habe, mir zu überlegen: Was ist denn wirklich wichtig und wert, die nächsten 20 Jahre meines Schaffens dafür aufzuwenden?", erklärt der Wissenschafter.
Peter Reichl sammelt alte Rechenmaschinen wie die abgebildete CURTA. Die Faszination für "in Metall gegossene Algorithmen" gibt er an seine Studierenden weiter: "Ich möchte zeigen, dass wir mit dem momentanen Stand der Technik am Endpunkt einer jahrzehnte-, manchmal jahrhundertlangen Entwicklung stehen, während der viele kluge Köpfe viele kluge Sachen gemacht haben, von denen wir aber heute regelmäßig nur die Endresultate wahrnehmen."
Vom Menschen ausgehen, nicht von der Technik
Ein neues Forschungsthema des Informatikers beschäftigt sich mit "Usable Security", d.h. Datensicherheit aus Nutzerperspektive. "Alle technischen Entwicklungen sind vorhanden und funktionieren, aber kaum einer verwendet sie. So lautet z.B. das meistgebrauchte Passwort '123456'. Oder ein aktuelles Beispiel: Ein französischer Fernsehsender offenbart für alle Welt sichtbar sämtliche Social Media-Passwörter, weil ein Redakteur bei einem Live-Interview vor einer Wand sitzt, auf der diese notiert sind", erklärt Peter Reichl.
Er untersucht in seiner Forschung vor allem auch, wie Technologien aufgesetzt sein müssen, damit die Menschen sie tatsächlich benutzen. "Ein neues Konzept hier nennt sich 'Quality of Experience'. Da steht nicht die rein technische Qualität eines Dienstes, sondern die Zufriedenheit der UserInnen im Mittelpunkt. Nach einem Jahrzehnt intensiver Anstrengungen hat sich dieses Konzept inzwischen etabliert, und auch die Industrie zeigt mehr und mehr Interesse, ihre Strategien danach auszurichten."
Bildung statt Ausbildung
"Ich halte bewusst Lehrveranstaltungen in der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP). Ich möchte meinen Studierenden gerne zeigen, dass Universität mehr ist als eine Wissensvermittlungsmaschine, sondern ein gemeinsamer Lebensraum, und das möchte ich ihnen von Anfang an – auch durch meine Vorbildfunktion – vermitteln. Ich glaube einfach daran, dass eine Universität dazu da ist, den Menschen zu einem besseren Wesen zu machen und nicht nur zu einer besseren Informatikerin oder zu einem besseren Historiker", erläutert Peter Reichl.
Während seiner Studienzeit in München entdeckte Peter Reichl seine Leidenschaft für die Oper: "Ich war wirklich über vier Jahre hin fast jeden zweiten Abend dort. 150 Abende im Jahr – ich habe noch die Eintrittskarten. Immer ein Stehplatz für 5 Mark, mein ganzes Budget ging dafür drauf", schmunzelt der Informatiker rückblickend. Seine Frau Marena lernte er 1998 bei einem gemeinsamen Bühnenauftritt während eines Duetts aus Donizetti’s Oper "Der Liebestrank" kennen. Das Bild zeigt die beiden bei einem Benefizkonzert zu Ostern 2002. (Foto: Privat)
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum" (Friedrich Nietzsche)
Musik ist nach wie vor eine große Leidenschaft von Peter Reichl, der 15 Jahre lang in einem Streichquartett gespielt hat und neben Geige auch Cello, Orgel und Klavier beherrscht. "Ich war sogar einmal in der Versuchung, Sänger zu werden, hatte sogar einen Vertrag in Meran als Tenor und sollte den Grafen Almaviva im 'Barbier von Sevilla' singen. Allerdings gab es dann einen Brand im Opernhaus, und die Produktion wurde abgesagt. Das war das Ende meiner Gesangskarriere, denn ich interpretierte es als einen 'Wink des Himmels', doch bei der Wissenschaft zu bleiben", lacht Reichl.
Gemeinsam mit seiner Frau, einer ausgebildeten Opernsängerin, veranstaltet der Wissenschafter auch heutzutage noch Konzerte. Und vernetzt auch hier die verschiedenen Bereiche seines Lebens miteinander – Wissenschaft und Musik, Musik und Wissenschaft: "Mein Team am Institut für Informatik und ich arbeiten z.B. gerade mit der Staatsoper zusammen, und zwar in Hinblick auf deren Streaming Applikation", erzählt Peter Reichl und schließt: "Meine Erfahrung ist, dass sich alles gegenseitig befruchtet und am Ende zusammenwächst. Daran glaube ich und empfinde es als großen Luxus, durch meinen Beruf diese Möglichkeiten zu haben." (mw)
Univ.-Prof. Dipl.-Math. Dr. Peter Reichl, Privatdoz, Leiter der Forschungsgruppe Cooperative Systems (COSY) an der Fakultät für Informatik, hält am Montag, 4. Mai 2015, um 17 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Quo vadis, digitale Welt? Plädoyer für eine Anti-Kopernikanische Wende in der IKT" im Großen Festsaal der Universität Wien. Gemeinsam mit Univ.-Prof. Torsten Möller (zum Porträt), PhD, der über "Visual Data Science: Improving Science Through Visual Reasoning" spricht.
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Antrittsvorlesung_Reichl_Moeller_Mail_03.pdf
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