Michaela Pfadenhauer: Der soziologische Blick auf das Alltägliche
| 17. März 2015Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob eine hüpfende Büroklammer auf Ihrem Bildschirm Ihr Sozialleben beeinflusst? Michaela Pfadenhauer, seit Oktober 2014 Professorin für Kultur und Wissen am Institut für Soziologie, macht sich solche Gedanken – beruflich.
"Es gibt kein Thema, das nicht soziologisch untersucht werden kann", erklärt Michaela Pfadenhauer, die seit Oktober 2014 die Professur für Kultur und Wissen am Institut für Soziologie der Universität Wien inne hat.
Doch was bedeutet eigentlich die Spezialisierung "Kultur und Wissen" genau? "In der Wissenssoziologie nehmen wir einen bestimmten Blick auf die Gesellschaft ein und fragen: Wie können Menschen etwas über die Wirklichkeit wissen?", erläutert die Soziologin: "Wir schauen uns z.B. an, wo die Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten liegen, und was passiert, wenn diese Kultur-Gewissheiten mit anderen Perspektiven konfrontiert werden." Ein klassisches Beispiel dafür sei die Überzeugung, was ess- bzw. genießbar ist und was nicht – die beim Kontakt mit anderen Kulturen erheblich irritiert werden kann.
"Oder auch bestimmte Abläufe: Hier am Institut sind beispielsweise manche Sachen völlig anders als bei meiner Professur in Karlsruhe", sagt Michaela Pfadenhauer und schmunzelt: "Das reicht bis zu der Frage 'Was ist eigentlich eine Professur für Soziologie mit Schwerpunkt Kultur und Wissen?'" Dieser soziologische Blick wurde im Laufe der Zeit selbst Gegenstand von Michaela Pfadenhauers wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, "weil er sich mit dem Alltäglichem beschäftigt, das genau durch die reflexive Dimension interessant wird."
Über Nebenstrecken zur Soziologie
Doch ihr Weg führte die sympathische Professorin nach der Matura nicht direkt zur Soziologie – zuerst studierte sie zwei Semester Germanistik, anschließend schrieb sie sich in Verwaltungswissenschaft ein, wo sie mit der Soziologie in Kontakt kam. "Im Gegensatz zur Verwaltungswissenschaft hat mich die Soziologie gleich fasziniert", lacht die gebürtige Deutsche, die schließlich von 1988 bis 1994 Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Bamberg und München studierte.
"Für eine wissenschaftliche Karriere braucht man einen langen Atem"
Michaela Pfadenhauer bezeichnet es als "historisches Glück", als Studienassistentin bei dem Soziologen Ulrich Beck "gelandet" zu sein. "Er war ein Visionär, stellte politische Fragen über die Zukunft. Da hatte ich sofort das Gefühl, in der Soziologie geht es um etwas." Ihm folgte die damals 24-jährige bereits während dem Studium an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie von 1994 bis 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie arbeitete. "Beim Arbeiten an meiner Dissertation wurde mir klar, dass ich in der Wissenschaft bleiben möchte. Allerdings braucht man für eine akademische Karriere einen langen Atem. Das Privatleben leidet darunter, und man hat das Gefühl, Tag und Nacht arbeiten zu müssen. Es ist halt kein klassischer '9 to 5 Job'", spricht die Soziologin offen, die 2003 an der TU Dortmund promovierte.
Wien ist ein absoluter Glücksfall
Den Ruf an die Universität Wien sieht die Soziologin als absoluten Glücksfall an: "Wien ist in verschiedener Hinsicht attraktiv. Eine fantastische Stadt und eine altehrwürdige Universität, in der das Verständnis, was Universität bedeuten soll, hochgehalten wird, wie nicht zuletzt auch die 650Jahr-Feiern zeigen. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich zum Institut laufe, über meine Entscheidung vom Karlsruher Institut für Technologie an die Universität Wien zu wechseln. Es herrscht auch ein wirklich schönes Klima am Soziologischen Institut."
2016 feiert die Soziologie zwei Jubiläen. Zum einen wird das von Peter L. Berger und Thomas Luckmann verfasste Standardwerk der Wissenssoziologie "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" 50 Jahre alt. Hierzu plant Michaela Pfadenhauer 2016 eine große internationale Konferenz über die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des damit begründeten Sozialkonstruktivismus. Zudem wurde der 5. Soziologentag 1926 in Wien abgehalten. "Diese beiden Jahrestage 2016 thematisch zusammenzubringen, ist mein großes Ziel. Deshalb bin ich aktuell dabei, Unterstützung einzuwerben“, so Pfadenhauer. |
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Soziale Roboter und wir
Jenseits des Sozialkonstruktivismus als Paradigma der Sozialwissenschaften beschäftigt sich Michaela Pfadenhauer im Hinblick auf Kulturwandel und Mediatisierung in ihrer Forschung mit sogenannten "Social Robotics" und wie diese das Soziale verändern. Soziale Roboter, das sind Roboter im weitesten Sinne: Dazu können sogar Siri, der Sprachassistent fürs iPhone, oder selbst Clippy, die ehemalige hilfsbereite Büroklammer von Windows-Office gerechnet werden. Pfadenhauer selber untersucht aber nicht virtuelle, sondern ganz materiale Roboter, wie sie bereits in der Demenzbetreuung im Altenheim eingesetzt werden.
"Deshalb heißt auch der Titel meiner Antrittsvorlesung 'Von Menschen und Dingen'. Wir müssen begreifen, dass technische Objekte zwar schon immer Bestandteil von Sozialität waren, aber die technischen Entwicklungen heutzutage in eine Richtung gehen, wo menschliche SozialpartnerInnen durch künstliche ersetzt werden sollen – ob als BetreuerIn, AssistentIn oder LiebespartnerIn. Es gilt auszuloten, ob sich damit unser Verständnis von Sozialbeziehung verändern muss", erklärt die Wissenschafterin.
Studierende für den soziologischen Blick begeistern
Auf die Frage, was sie von ihren Studierenden erwarte, erklärt die engagierte Soziologin: "Heutzutage ist im Vergleich zu meiner eigenen Studienzeiten vor allem wichtig: Wie erreiche ich die Studierenden trotz voller Hörsäle und überfrachteter Studienpläne?"
Deshalb versucht Michaela Pfadenhauer, ihren Studierenden vor allem das weiterzugeben, was sie selbst als Studentin fasziniert hat: Die Erkenntnis, dass "unglaublich viel in der Soziologie drin steckt und es spannend ist, sich auch mit den ganz alltäglichen Banalitäten zu beschäftigen. Beispielsweise in der Bim auf dem Weg zur Universität oder die klassische Situation an einer Ampel: 'Wieso kommen wir alle eigentlich, mit seltenen Ausnahmen, wunderbar aneinander vorbei?"
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"Was passiert eigentlich zwischen Alt und Sopran?"
Jedoch kann es riskant sein, den soziologischen Blick auf alle Aspekte im (eigenen) Leben anzuwenden: "Hat man einmal etwas aus dem Privatleben zum soziologischen Thema gemacht, verändert sich automatisch die Blickweise und man stellt alles in Frage. Wobei die Verlockung natürlich trotzdem hoch ist", lacht die Wissenschafterin und spricht aus Erfahrung: "Inzwischen habe ich gelernt, dass es Bereiche gibt, da muss man einfach sagen: Das ist mein Ausgleich, da möchte ich nicht soziologisch drüber nachdenken."
Michaela Pfadenhauer ist beispielsweise nicht nur begeisterte Rennradfahrerin und Bergsteigerin, sondern auch leidenschaftliche Chorsängerin. "Ich habe mich gleich beim Chor der Universität Wien erkundigt, ob ich mitmachen darf. Mein fester Plan ist aber, das Chorsingen nicht zu soziologisieren, also eben nicht zu überlegen, "was passiert da eigentlich zwischen Alt und Sopran?", lacht sie.
Begeisterte Wissenschafterin
"Ich empfinde es als Geschenk und Luxus, mich mit zeitaktuellen Themen beschäftigen zu dürfen. Die Soziologie ist eine Disziplin, die sich moderne Gesellschaften auf Grund ihrer Komplexität leisten", resümiert die Soziologin ihre Leidenschaft fürs Fach: "Wenn ich morgens aufwache, arbeite ich mich übers Lesen an das Schreiben heran. Danach an den Schreibtisch zu gehen und die Überlegungen in Worte fassen zu dürfen, ist ein großes Privileg für mich. Denn oft wird mir erst beim Schreiben klar, wie vieldimensional die Welt ist. Am Abend habe ich dann – zumindest manchmal – ein echtes Glücksgefühl." (mw)
Univ.-Prof. Dipl.-Pol. Univ. Dr. Michaela Pfadenhauer, Professorin für Kultur und Wissen am Institut für Soziologie, hält am Mittwoch, 25. März 2015 um 17.00 Uhr ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Von Menschen und Dingen. Sozialität in mediatisierten Zeiten" im Kleinen Festsaal der Universität Wien.
Downloads:
Pfadenhauer_Einladung_zur_Antrittsvorlesung.pdf
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