Ivo Hofacker: Die Faszination theoretischer Modelle

Seit Dezember 2010 ist Ivo Hofacker Professor für Biochemische Modellierung an den Fakultäten für Chemie und Informatik. Studiert hat er jedoch Physik, und die bildet nach wie vor die theoretische Grundlage seiner Forschung, in der sich der Bioinformatiker den Strukturen von Biomolekülen widmet.

"Vor zehn Jahren wurde ich oft gefragt, warum ich mit RNA arbeite und nicht mit Proteinen", erzählt Ivo Hofacker. "Heute würde das niemand mehr fragen. In meinem Forschungsbereich hat sich ein großer Bewusstseinswandel vollzogen: Die RNA ist in den letzten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt gerückt", fügt der Professor erklärend hinzu.

Zwischen Physik, Chemie und Informatik

Hofacker hat sich schon als Kind für biologische Fragestellungen interessiert – in erster Linie faszinierten ihn aber theoretische Modelle: "Das Biologiestudium fand ich zu wenig theoretisch, und das Fach Bioinformatik gab es zu jener Zeit noch nicht. So habe ich mich für ein Studium der Physik entschieden", erklärt er seinen akademischen Werdegang, der von München über Wien nach Illinois und schließlich wieder nach Wien führte. Heute arbeitet er im interdisziplinären Bereich der strukturellen Bioinformatik und hat bezeichnenderweise eine Doppelprofessur an der Fakultät für Chemie und der Fakultät für Informatik inne. "Die meisten Lehrveranstaltungen halte ich allerdings für BiologInnen", ergänzt der Wissenschafter und erklärt: "Mein Forschungsbereich hat nämlich mit Biologie genauso viel zu tun wie mit Chemie und Informatik".

RNA-Strukturen …

Für den Leiter der Forschungsgruppe Bioinformatics and Computational Biology steht schon seit über zehn Jahren die Ribonukleinsäure – sprich RNA – im Forschungsmittelpunkt. "Wir wissen heute, dass die wenigsten im Genom produzierten RNAs Proteine kodieren." Nun stellt sich die Frage: Welche Funktionen, bzw. Aufgaben haben diese nichtkodierenden RNA? "Da die Sequenziermethoden um ein vielfaches schneller geworden sind, stehen wir vor einer großen Menge neuer Möglichkeiten: Vielleicht können wir schon bald die Interaktion zwischen Proteinen und RNA besser verstehen und die RNA-Strukturen aufklären", hofft der Wissenschafter.

… und RNA-Software

Hofacker beschäftigt sich vor allem mit Strukturvorhersage, Vergleich der RNA-Struktur und Sequenzdesign: Seit 15 Jahren arbeitet der Vorstand des Instituts für Theoretische Chemie am "Vienna RNA Package" – einer Sammlung von verschiedenen Algorithmen. "Die Software und Methoden zur Strukturvorhersage, die wir in diesem Rahmen entwickeln, stehen für alle frei zur Verfügung", betont der Bioinformatiker.


Die Ribonukleinsäure – kurz RNA – steht schon seit langem im Mittelpunkt der Forschung von Ivo Hofacker. Im Bild ein RNA-Modell (Foto: Universität Wien).



Unter dem Titel "RNA in silico: Bioinformatik im postgenomischen Zeitalter" hält der neue Professor am 9. Mai 2012 seine Antrittsvorlesung. Heute steht demnach nicht mehr das Genom im Zentrum, sondern das, was mit dem Genom passiert. In welche regulatorische Netzwerke sind die verschiedenen RNA eingebunden, bzw. wie wird der gesamte Organismus reguliert? Die Vorhersage der RNA-Interaktion und -regulation ist für medizinische Anwendungen sehr wertvoll: Maßgeschneiderte RNA stehen derzeit hoch im Kurs: "Die ersten Medikamente auf Basis künstlicher RNA sind bereits in der klinischen Testphase", so Hofacker.

"in silicio" vs. "in vitro"

Als Theoretiker trifft er vor allem Vorhersagen, die dann im Experiment bestätigt bzw. widerlegt werden. "Theorie und Experiment sind in den letzten Jahren näher zusammengerückt – die Wertschätzung der Theorie ist gestiegen." Den Grund dafür sieht Hofacker in den neuen Hochdurchsatzmethoden, die riesige Datenmengen liefern: An der Auswertung am Computer kommt heute keiner mehr vorbei. "Die Theorie liefert wichtige Informationen für die richtigen Fragestellungen, bzw. das Design des nächsten Experiments", erklärt Hofacker, der als stellvertretender Leiter der Forschungsplattform "Structural and Functional Analysis of mRNA Molecules Targeted by the RNA-binding Protein Tristetraprolin" für den theoretischen Input zuständig ist. "Letztendlich geht's auch uns TheoretikerInnen darum, neue Einblicke in die Biologie zu gewinnen", bringt es der Forscher auf den Punkt.

Wissenschaft verstehen

Für die Lehre nimmt sich der Professor besonders viel Zeit – die Anzahl seiner Lehrveranstaltungen übersteigt sein "Soll" bei weitem. "Ich habe das Glück, dass ich vor allem im kleinen, sehr motivierten Kreis lehren darf", freut sich Hofacker, der seinen Studierenden den Zugang zur biologischen Chemie vor allem anhand aktueller Fragestellungen statt vorgefertigter Hausübungen näher bringen will. Dass es wichtig ist, Zusammenhänge zu verstehen, Thesen und Modelle zu bilden, vermittelt der zweifache Vater auch seinen Kindern: "Man kann nicht früh genug damit anfangen, Dinge zu hinterfragen". (ps)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dipl.-Phys. Dr. Ivo Hofacker, Vorstand des Instituts für Theoretische Chemie und Leiter der Forschungsgruppe Bioinformatics and Computational Biology, zum Thema "RNA in silico: Bioinformatik im postgenomischen Zeitalter" findet am Mittwoch, 9. Mai 2012, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal statt.