Christian Göbel: Kommunikationstechnologie in autoritären Regimen
| 10. Juni 2014Als Professor für Sinologie mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung an der Universität Wien interessiert sich Christian Göbel u.a. dafür, ob technologische und politische Innovationen autoritäre Regime stabilisieren. Besonderes Augenmerk richtet er auf China.
Eine Zufallsbekanntschaft und die Regensaison in Thailand: die beiden Gründe, die den jungen Christian Göbel – er war damals gerade 20 geworden – nach Taiwan geführt haben. "Ich war mit einem Freund auf Reisen, als wir im Zug einen Mann aus Taiwan kennenlernten. Er meinte, es sei dort sehr schön, wir sollten es uns ansehen", erzählt Göbel. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Freunde als nächste Destination noch Thailand im Kopf. Da dort aber gerade Regenzeit war, entschieden sie sich spontan um. "Aus zwei geplanten Wochen in Taiwan wurden für mich dann fast drei Jahre", lacht der heutige Professor am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.
Was mit einem ausgeprägten Faible für Sprachen und Neugierde für ein neues Land anfing, entwickelte sich zu einer wissenschaftlichen Karriere im Bereich der sozialwissenschaftlichen Chinaforschung und Politikwissenschaft.
"Motivation und Notwendigkeit" als Motor für das Sprachenlernen
In Taipei studierte der gebürtige Deutsche zunächst Mandarin Chinesisch und erlebte dabei die Umbrüche des politischen Systems mit: Das autoritäre Regime befand sich seit den 80er Jahren im Wandel, 1996 fanden die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen statt. "Das Land blühte auf, Energie war zu spüren", erinnert sich der Forscher. Damals begann er sich für die Veränderung von politischen Systemen zu interessieren.
Christian Göbel schaffte es in nur kurzer Zeit, Chinesisch zu lernen, und setzte sich dabei sehr hohe Ziele: "Ich habe mir gesagt, ich bleibe so lange hier, bis ich fließend Chinesisch sprechen und komplexe Texte lesen kann." (Im Bild: Studentenausweis der National Taiwan Normal University) |
Intensive Forschungsjahre
Zurück in Deutschland studierte Christian Göbel an der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg und der Universität Duisburg-Essen Politikwissenschaft und Moderne Sinologie. 2008 schloss er das Doktorat "summa cum laude" ab.
Nach einigen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen war es wieder an der Zeit aufzubrechen, dieses Mal nach Schweden: An der Lund University verbrachte Göbel intensive Forschungsjahre. Zu den Themen "Reformen im ländlichen China" und "Konsolidierung autokratischer Regime" publizierte er in dieser Zeit in renommierten Journals und schuf die Basis für seine wissenschaftliche Laufbahn.
Seine Forschungsschwerpunkte führen ihn immer wieder nach China: Um zu erfahren, wie sich das autoritäre Regime verändert und welche Rolle dabei die Interaktion zwischen der chinesischen Zentralregierung und den Lokalregierungen spielt, führt er Interviews mit PolitikerInnen und erhebt Datenmaterial zum Thema.
Durch das Internet die Regierungsfähigkeit verbessern?
Besonders interessiert sich der Sinologe und Politikwissenschafter in diesem Zusammenhang für das Internet. Spätestens seit dem Arabischen Frühling ist gut erforscht, wie Gesellschaften das Internet nutzen, um die Politik herauszufordern. Christian Göbel wählt einen anderen Blickwinkel: "Ich stelle mir die Frage, wie das Regime in China das Internet einsetzt, um die Gesellschaft einzubinden bzw. auch zu kontrollieren." Hier existieren sehr spannende internetbasierte Instrumente, beispielsweise Online-Beschwerdeportale, auf denen die Bevölkerung ihren Frust öffentlich machen kann.
Das Gebot der Zentralregierung: Weniger Konflikte auf lokaler Ebene
Göbel analysierte den gesamten Datensatz einer chinesischen Provinz und stellte fest, dass die meisten Beschwerden das Bauwesen, Bildung und die öffentliche Sicherheit betreffen: "Beim Punkt Bauwesen geht es beispielsweise darum, dass Häuser bestimmten Bauprojekten weichen müssen, und die Menschen keine ordentlichen Kompensationen für ihren Verlust bekommen." Die Regierung kanalisiert diese Beschwerden und reagiert: "Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung das Portal als sinnvoll und hilfreich erachtet. So schaffen es die Lokalregierungen, die Menschen von der Demonstration gegen das System abzuhalten", erklärt der Professor. In ärmeren, ländlicheren Provinzen führen PolitikerInnen zu diesem Zweck Telefoninterviews durch. Handelt es sich dabei um ein Mittel zur Stabilisierung des autoritären Regimes oder ist es ein Schritt hin zur Demokratisierung? Näheres dazu wird Göbel am 16. Juni im Rahmen seiner Antrittsvorlesung präsentieren.
Die Forschungsschwerpunkte von Christian Göbel kreisen um China: Reformpolitik, ländliche Politik und Chinas Innovationssystem. Er beschäftigt sich mit vergleichender Autokratieforschung und stellt sich u.a. die Frage, was es bedeutet, eine Demokratie zu sein. Nutzen wir die demokratischen Möglichkeiten? Können wir in Demokratien an wichtigen Entscheidungen teilhaben? |
Universität Wien: "Eine Universität, an der sehr viel passiert"
Nach einer Vertretungsprofessur an der Universität Duisburg-Essen und der Beschäftigung als Senior Lecturer an der University Lund hat Göbel nun seit Februar 2013 die Professur für Sinologie mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung an der Universität Wien inne. "Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich hier etwas bewirken kann. Meine KollegInnen und die Universitätsleitung sind mir sehr offen begegnet", meint der Ostasien-Experte, der sich mittlerweile auch als Vize-Institutsleiter und Vize-Studienprogrammleiter engagiert.
Ein wichtiger Aspekt seiner Tätigkeit ist die Lehre. Entsteht in einer Lehrveranstaltung eine gewisse Dynamik, in der man gemeinsam etwas erreichen kann, so erachtet der neue Professor das als große Bereicherung und schöpft daraus auch Kraft für die Forschung. Er legt Wert darauf, auch den wissenschaftlichen Nachwuchs bestmöglich zu unterstützen, u.a. im Hinblick auf Publikationsmöglichkeiten und Entscheidungen, die die wissenschaftliche Laufbahn betreffen: "Solche Ratschläge dürfen und sollen Promovierende und Postdocs wirklich einfordern!", betont Christian Göbel. (dy)
Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Christian Göbel, M.A., Professor für Sinologie mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung am Institut für Ostasienwissenschaften, zum Thema "E-Government in China: Warum sich Autokraten öffentlicher Kontrolle unterziehen" findet am Montag, 16. Juni 2014, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.