Andrea Möller: "Neugierig bleiben und von SchülerInnen lernen"

Andrea Möller

"Zentrale Themen wie Umwelt- und Klimabildung, Bioethik, Sexualität und Gesundheit liegen in Ihrer Hand", rät Andrea Möller ihren Studierenden – und zukünftigen LehrerInnen. Im Interview erzählt sie außerdem, was sie mit dem bekannten Evolutionsbiologen Ernst Mayr verbindet.

uni:view: Sie sind – nach akademischen Stationen in Yale, Lund und Trier – nun seit 2018 Professorin für Didaktik der Biologie und Leiterin des Österreichischen Kompetenzzentrums für Didaktik der Biologie (AECC Biologie). Was ist der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit an der Universität Wien?
Andrea Möller: Einerseits der Ausbau und die Weiterführung meiner bisherigen Forschungsschwerpunkte wie die Kompetenzentwicklung naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung sowie die nachhaltige Umweltbildung. Darüber hinaus knüpfe ich an meine frühere Forschung zur Fachvermittlung an informellen Lernorten wie zum Beispiel Naturkundemuseum oder Nationalpark an. Einer der wichtigsten Gründe, um nach Wien zu kommen, waren u.a. die großartigen Möglichkeiten zur interdisziplinären Forschung, auf die ich mich sehr freue und die ich nun nutzen möchte.

Am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien sind die Österreichischen Kompetenzzentren für Didaktik (Austrian Educational Competence Centres - AECC) für die Fächer Biologie, Chemie und Physik als Plattform für Didaktik der Naturwissenschaften angesiedelt. Vor kurzem wurde das neue Lehr-Lern-Labor AECC Biologie unter der Leitung von Andrea Möller eröffnet (zum Fotonachbericht); derzeit wird der "Forschungs- und Lehrbienenstand Bee.Ed" aufgebaut.


In der Lehre möchte ich mithilfe zweier außerschulischer Lernorte, dem kürzlich eröffneten "Lehr-Lern-Labor AECC Biologie" und dem noch im Aufbau befindlichen "Forschungs- und Lehrbienenstand Bee.Ed", österreichweit Akzente setzten. Darüber hinaus soll das Österreichische Kompetenzzentrum für Didaktik der Biologie als nationales Zentrum in der Lehreraus- und Fortbildung sowie der biologiedidaktischen Forschung weiter ausgebaut werden – in Richtung größerer internationaler Sichtbarkeit. 


"Wir brauchen gute LehrerInnen, damit SchülerInnen in Zukunft an den großen gesellschaftlichen Fragen kompetent teilhaben können. Dafür brauchen LehrerInnen eine gute naturwissenschaftliche Grundbildung", sind sich die Fachdidaktikerinnen Andrea Möller, Katharina Groß und Claudia Angele im Video einig. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Antrittsvorlesungen blicken sie auf zukünftige fächerverbindende Forschungs­ und Lehrperspektiven sowie Unterrichtsentwicklungsprojekte.

uni:view: Was waren wichtige Meilensteine in Ihrem Werdegang? Was hat Sie besonders geprägt?
Möller: Meine beiden Auslandsjahre als Teaching-Assistant an einem englischen Internat und als Biologie-Masterstudentin in den USA! Die Erfahrungen dort waren wichtig, um herausfinden, ob ich eher in die Forschung gehen oder an der Schule unterrichten möchte (um später herauszufinden, dass ich dank fachdidaktischer Forschung beides verbinden konnte). Die positive Dynamik der kollegialen Zusammenarbeit der Lehrerschaft, wie ich sie in der englischen Schule erlebt habe, kannte ich bis dato aus deutschen Gymnasien nicht. Dort habe ich auch viel über die Kraft der Motivation an Schulen gelernt. In den USA hat mich das Engagement der Studierenden und ihre Wertschätzung, studieren zu dürfen, beeindruckt. Und die ProfessorInnen haben mich sofort in ihre Arbeitsgruppen integriert und mitforschen lassen. Deshalb schicke ich motivierte Studierende auch nie ungehört weg, egal, in welchem Studienabschnitt sie sind.

Geprägt hat mich auch mein studentischer Nebenjob, bei dem ich über acht Jahre Schulkassen durch die Ausstellungen des Naturkundemuseums Senckenberg geführt und gelernt habe, mich zwischen Dinosaurierknochen und großem Besucherandrang auf jede denkbare Lehr- und Lernsituation einzustellen. Darüber hinaus haben mir die Stipendien der Fulbright-Kommission und der Studienstiftung des Deutschen Volkes nicht nur Chancen und Freiheiten in Studium und Forschung eröffnet, sondern auch Netzwerke von faszinierenden Menschen geschaffen. 

"Während meines Fulbright-Jahres an der Northern Arizona University in Flagstaff, USA hatte ich bereits als Master-Studentin die großartige Möglichkeit, am Erinnerungsvermögen von Kiefernhähern zu forschen. Trotz Schneeeinbruch musste ich im Winter meine Vögel versorgen und bin tagelang nur noch auf Ski vorangekommen – ein echtes Abenteuer!", erinnert sich Möller.

uni:view: Sie haben an der Goethe Universität Frankfurt am Main studiert. Welche Momente sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Möller: Ich habe diese Zeit in sehr guter Erinnerung. Unsere zoologischen und botanischen Exkursionen gingen dank der großen Allgemeinbildung der DozentInnen weit über die Vermittlung von Biologie hinaus, bis hin zur Besichtigung von antiken Stätten, wo anschließend am Abend noch Fledermäuse gefangen wurden. Einige Lehrveranstaltungen in der Biologie endeten nicht selten mit Überraschungen: So stellte sich heraus, dass unser Meeresbiologe Autor eines Kochbuchs war. Das "Muschelfest" der Frankfurter Zoologie am Ende des Präparierkurses war deshalb legendärer Bestandteil und ein kulinarischer Höhepunkt. Wir hatten insgesamt sehr viel Spaß und Freude im Studium, haben viel diskutiert und uns politisch engagiert, auch in Hochschulgremien. Viele Freundschaften und Kontakte bestehen bis heute und bereichern mein Leben.

"1997 hatte ich während meines Studiums in den USA die Chance, mit Ernst Mayr zu plaudern, einem der einflussreichsten Naturforscher des 20. Jahrhunderts. Obwohl nur zum Getränkeservice eingeteilt, traute ich mich, ihn anzusprechen. Wir waren die einzigen Deutschen auf dem Event und begeisterte Ornithologen, so haben wir uns gleich gut verstanden. Leider hatte er damals auch die weniger angenehme Botschaft an mich, dass man sich seinen Erfolg hart erarbeiten muss."

uni:view: Was ist Ihnen in Forschung und Lehre wichtig?
Möller: Für die Forschung: Zeit! Was bei einer großen Anzahl an Lehramtsstudierenden in Wien oft eine gewisse Herausforderung mit sich bringt. Durch eine frühzeitige Einbindung der Studierenden in die Forschung versuchen wir aber, Synergieeffekte zu schaffen. Abgesehen davon sind die Voraussetzungen für fachdidaktische Forschung in Wien absolut traumhaft.

Besonders am Herzen liegt mir die aktive Förderung von jungen Menschen in der Wissenschaft. Das mache ich u.a. im Rahmen der Nachwuchstagung der Biologiedidaktischen Fachgesellschaft (FDdB) und in Mentoring-Programmen für junge Frauen. Bei letzterem geht es darum, dem Phänomen stetig sinkender Zahlen von Frauen bei zunehmender Qualifikationsstufe entgegenzuwirken und hochqualifizierte sowie motivierte Nachwuchskräfte für die Wissenschaft zu gewinnen. Hier gibt es noch viel zu tun, insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern. In der Fachdidaktik stehen wir durch die starke Konkurrenz des potenziellen Arbeitgebers Schule vor einer besonders großen Herausforderung.  

Wichtig ist mir auch, meinen Studierenden umfassende fachdidaktische und unterrichtspraktische Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Sie sollen frühzeitig potenzielle Lernschwierigkeiten und Schülervorstellungen kennenlernen und die Grundlagen kompetenzorientierter Vermittlungsprozesse erwerben. Dabei reagieren wir auch auf aktuelle schulische Herausforderungen, wie z.B. immer heterogenere Lerngruppen durch Zusammenlegung von Schulformen. Wichtig bei all dem ist: Handwerkszeug mitgeben und Mut machen für praktisches Arbeiten und vielseitige Natur- und Originalerfahrungen im Biologieunterricht! Und anleiten, wie man auch herausfordernde und komplexe Themen wie Umwelt- und Klimaschutz, Evolution und Sexualbildung motivierend und interessant unterrichten kann. 

Als Postdoc am Institut für Biologiedidaktik an der Universität Gießen legte Möller gemeinsam mit Lehramtsstudierenden einen Schulteich an, um zu zeigen, wie man SchülerInnen für die Natur begeistern kann. "Die Zeit an einem der größten Biologiedidaktik-Zentren Deutschlands war für meine fachdidaktische Expertise prägend: hier habe ich meinen 'didaktischen Werkzeugkasten' maßgeblich angelegt und zum ersten Mal empirische Unterrichtsforschung betrieben", erzählt Möller.

uni:view: Was geben Sie Ihren Studierenden mit, um sie auf ihre Aufgabe als künftige LehrerInnen bestmöglich vorzubereiten?
Möller: Nutzen Sie die Zeit Ihres Studiums, um sich mit Wissen zu versorgen! Ein fundiertes fachliches und fachdidaktisches Wissen gibt Ihnen später den Raum, auf die pädagogischen Herausforderungen im Berufsalltag reagieren zu können. Ganz wichtig in der Biologie: Exkursionen. Biodiversitäts- und Artenschutz gelingt nur, wenn Sie Ihre Faszination und Liebe zur Natur an Ihre SchülerInnen weitergeben. Vergessen Sie dabei auch die ästhetische Seite der Natur nicht! Schauen Sie über den Tellerrand hinaus und besuchen Sie Veranstaltungen in anderen Fächern! Nutzen Sie Stipendien zum Studieren und Reisen im Ausland! Vernetzen Sie sich am besten schon während des Studiums: Ohne Kooperationen nach außen und Zusammenarbeit im Inneren ist Schule nicht möglich.

Und: Sie sind nicht "nur" Lehramt, also keine Studierenden "zweiter Klasse". Im Gegenteil: Sie tragen eine große Verantwortung. Zentrale globalgesellschaftliche Themen wie Umwelt- und Klimabildung, Bioethik, Sexualität und Gesundheit liegen in Ihrer Hand. Seien Sie sich Ihrer wichtigen Botschafter- und Multiplikatorrolle bewusst, und denken Sie daran, dass Sie künftige Entscheidungsträger vor sich sitzen haben. Mein wichtigster Rat zum Schluss: Bleiben Sie neugierig! Hören Sie nie auf, von Ihren SchülerInnen zu lernen! 

uni:view: Worauf darf man bei Ihrer Antrittsvorlesung gespannt sein?
Möller: Meine Kolleginnen Katharina Groß, Claudia Angele und ich werden nicht nur Einblicke in unsere Forschung geben, sondern auch einen Ausblick auf zukünftige fächerverbindende Projekte in Forschung und Lehre. Außerdem wird es ein kleines Postersymposium unseres wissenschaftlichen Nachwuchses geben. Zudem werden die mitverwendeten Lehrkräfte des AECC Biologie, die sich seit vielen Jahren im Rahmen des "AECCB LehrerInnenpodiums" engagieren, spannende Einblicke in unsere nationalen Aufgaben am Zentrum geben, aktuell sind das unter anderem unsere Arbeiten am Lehrplan für das Unterrichtsfach Biologie in der Sekundarstufe 1. 

uni:view: Danke für das Interview! (ps/red)


Andrea Möller leitet seit Juni 2018 das Österreichische Kompetenzzentrum für Didaktik der Biologie und ist Professorin für Didaktik der Biologie am Zentrum für LehrerInnenbildung und der Fakultät für Lebenswissenschaften. Am Freitag, 25. Oktober 2019, hält sie um 17 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Von der Kompetenzmodellierung zum Forschenden Lernen: Naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung im Biologieunterricht lernen und lehren". Auf der Veranstaltung werden auch Katharina Groß, Professorin für Didaktik der Chemie und Claudia Angele, Assistenzprofessorin für Fachdidaktik der Ernährung ihre Antrittsvorlesungen halten.