Alexandra Lenz: Die Vielfalt der deutschen Sprache

Dialekte und Varietäten der deutschen Sprache sind für Alexandra Lenz, seit September 2010 Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft, nicht nur Forschungsgegenstand, sondern gleichzeitig ihre große Leidenschaft.

Bayern, Südtirol und ganz Österreich mit Ausnahme von Vorarlberg haben eine große Gemeinsamkeit: Man spricht bairisch. Bairisch mit "i", um den sprachwissenschaftlichen Begriff vom geografischen "Bayern" abzuheben. "Für mich als Dialektologin gibt es kaum einen spannenderen deutschen Sprachraum als den bairischen", sagt Alexandra Lenz, die selbst in Rheinland-Pfalz geboren wurde, wo vor allem rhein- und moselfränkisch gesprochen wird, und erklärt: "Das Spezielle an den bairischen Dialekten ist, dass sie von besonders vielen anderen Sprachen umgeben und beeinflusst sind; umgekehrt existieren in den anderssprachigen Nachbarländern auch viele bairische Sprachinseln, wie zum Beispiel in Ungarn oder der Tschechischen Republik. So ergibt sich eine unglaubliche Varietät."

Zum ersten Mal in ihrer wissenschaftlichen Karriere – Stationen waren u.a. die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die Philipps-Universität Marburg und zuletzt die Rijksuniversiteit Groningen (Niederlanden) – hat die Dialektologin mit ihrer Professur an der Universität Wien nun eine Stelle im bairischen Sprachraum inne, worüber sie sich besonders freut: "Die hiesige Dialektologie hat eine lange Tradition und einen sehr guten Ruf."

Zweifelsfälle im Duden

Die Dynamik einer Sprache in all ihren Varianten hat die Sprachwissenschafterin zu ihrem wesentlichen Forschungsschwerpunkt erkoren: "Mich interessiert alles, was von der Norm abweicht. Oft ist sich selbst der Duden nicht sicher; gerade diese Zweifelsfälle sind besonders spannend zu untersuchen. Wer verwendet welche Varietäten in welcher Situation? Und welche Einflüsse können Dialekte auf die Standardsprache haben?" Als Beispiel nennt Lenz die Passivkonstruktion "etwas geschenkt bekommen". Noch vor wenigen Jahren wurde diese Kombination – "richtig" war und ist "es wurde mir geschenkt" – im Deutschaufsatz rot angestrichen, heute wird sie weitgehend im gesamten deutschen Sprachraum als grammatikalisch korrekt angesehen. "Diese Konstruktion ist etwa im Luxemburgischen – zumindest mit dem Verb 'kriegen' – unmarkierter Standard. Das Verb 'kriegen' – umgangssprachlich für 'bekommen' – setzt sich auch vermehrt in der Standardsprache des Deutschen durch."

Bairisch im Fokus

Dialekte unterscheiden sich oft zwischen einer Region und der nächsten, gleichzeitig finden sich von Region zu Region bzw. Raum zu Raum Gemeinsamkeiten, die den SprecherInnen selbst oft gar nicht so bewusst sind. Einen Zusammenhang zwischen Grammatik und Raum im Bairischen, den Lenz untersucht, ist die sogenannte Artikelverdopplung, wie etwa in der Aussage "eine ganz eine lustige Geschichte". Dieses sprachlich-dialektale Merkmal ist im gesamten bairischen Sprachraum recht stabil verbreitet. "In unserem Projekt, in dem wir DialektsprecherInnen dieses Raums befragen, konnten wir feststellen, dass sich das Phänomen sogar über die Generationen ausbreitet", so Lenz: "Das zeigt die Dynamik, die einer Sprache innewohnt."


Verbreitungsgebiet der heutigen bairischen Mundarten (Nordbairisch, Mittel- oder Donaubairisch, Südbairisch)



Ein weiteres Phänomen ist die doppelte Negation, wie zum Beispiel: "Ich habe keine Lust nicht". Im Gegensatz zum doppelten Artikel ist sie im bairischen Sprachraum weniger weit verbreitet. Sie findet sich geografisch gesehen am häufigsten im Süden Bayerns und in Oberösterreich. "Warum diese Sprachkonstruktion gerade dort verstärkt auftritt, müssen wir noch untersuchen", erklärt die Dialektologin.

"Ach, geh" oder "Ach, komm"?
 
Lenz erforscht nicht nur, in welchen Regionen welche sprachlichen Besonderheiten auftreten – Sprache im Raum –, sondern auch, wie räumliche Relationen von verschiedenen SprecherInnen ausgedrückt werden – zum Beispiel Bewegungsaktionen. Welche SprecherInnen sagen eher "ach, geh" und welche "ach, komm"? Für diese laufende Studie spielt Lenz den ProbandInnen bestimmte Videos vor – beispielsweise eines, in dem eine Frau einen Stift in ein Astloch hineinlegt. Die ProbandInnen verwenden zur Beschreibung dieser Tätigkeit ganz unterschiedliche Verben, darunter "geben", "legen" oder "platzieren". "Es ist faszinierend zu sehen, welche SprecherInnen einer Region sich in ihren Antworten ähneln, so sagen etwa sehr viele WienerInnen 'hineingeben'", erläutert Lenz: "In Österreich hat 'geben' überhaupt einen besonderen Stellenwert, denn es ist ein Positionierungsverb für beide Richtungen, also 'reinlegen' und 'rausnehmen'."

"Ich stecke gerne Leute an"

An der Universität Wien und am Institut für Germanistik fühlt sich Lenz, die zum Entspannen sakrale Musik hört und sich gerne auch selbst ans Klavier setzt, sehr wohl: "Ich habe mich hier bereits gut eingelebt und schätze die kollegiale und offene Atmosphäre am Institut." Auch die Lehre und das Arbeiten mit den Studierenden bereitet ihr viel Freude. Vor ihrer Professur an der Universität Wien war die Sprachwissenschafterin Adjunct Professor an der Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande. "Dort ist die Zahl der Germanistik-Studierenden überschaubar. Ich empfinde die Vielzahl an Studierenden hier in Wien aber durchaus positiv, da man aktive Nachwuchsförderung betreiben kann. So habe ich bereits ein Netzwerk für DoktorandInnen aufgebaut", sagt Lenz und fügt schmunzelnd hinzu: "Zudem liebe ich es, so viele Leute wie möglich mit meiner Leidenschaft für Sprachwissenschaft anzustecken". (td)

Univ.-Prof. Dr. Alexandra Lenz, hält am Freitag, 18. November 2011, um 18 Uhr im Großen Festsaal ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Sprache im Raum – Raum in der Sprache".