Wissenschaft im Exil: Die Tropenbotanikerin Mona Lisa Steiner

Die österreichische Botanikerin Mona Lisa Steiner flüchtete 1938 vor dem NS-Regime auf die Philippinen. Ein aktuelles FWF-Projekt am Institut für Zeitgeschichte begibt sich auf eine spannende Spurensuche, die das Leben und Werk der bedeutenden Forscherin im wissenschaftlichen Exil nachzeichnen soll.

Ausgegrenzt, verfolgt und vertrieben – über 135.000 ÖsterreicherInnen mussten während des Nationalsozialismus aus politischen und "rassischen" Gründen ihre Heimat verlassen und ins Exil auswandern. Unter den Betroffenen fanden sich zahlreiche SpitzenforscherInnen der damaligen Zeit wie die Nobelpreisträger Otto Loewi, Erwin Schrödinger, Victor Franz Hess oder die Kernphysikerin Lise Meitner, aber auch zahlreiche wenig bekannte junge NachwuchswissenschafterInnen, deren Lebens- und Berufswege im Exil noch kaum erforscht sind. Eine von ihnen war die Botanikerin Mona Lisa Steiner.

"Wir haben es hier mit einer besonders faszinierenden Figur zu tun", erklärt Carola Sachse, stv. Vorständin des Instituts für Zeitgeschichte. "Einer jungen Pflanzenphysiologin, die zu ihrer Zeit Cutting-Edge-Forschung betrieben hat und für die sich mit dem 'Anschluss' alles verändert hat. Zu sehen, wie es ihr innerhalb weniger Jahre auf den Philippinen gelungen ist, eine neue Existenz aufzubauen und sich als Expertin für die dortige tropische Flora zu etablieren – und das alles noch mit einem aufregenden Familienleben zu verknüpfen –, ist sehr spannend", so die Projektleiterin.


Mona Lisa Steiner wird 1915 als Tochter einer Sängerin und eines Bankbeamten in Wien geboren. Nach Abschluss des Gymnasiums studiert sie Botanik und Zoologie an der Universität Wien. Ihr Studium kann sie allerdings aufgrund der rassistischen Gesetzgebung nicht beenden, trotz fertiggestellter Dissertation. Im Oktober 1938 flüchtet die als Jüdin verfolgte Wissenschafterin ins Exil auf die Philippinen. Das Foto zeigt ihren 1949 ausgestellten österreichischen Reisepass. (Foto: AÖAW-Nachlass Mona Lisa Steiner, 41/10.)



Verstreuter Nachlass


Um einen Einblick in das Leben und Wirken der Tropenbotanikerin zu erhalten, arbeiten sich Sachse und die Wissenschaftshistorikerin Sonja Walch gemeinsam mit dem Projektassistenten Jason Pollhammer durch einen umfassenden Nachlass. Dieser ist auf mehrere Standorte verstreut: Ein Teil findet sich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, ein anderer im Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

"Auch auf den Philippinen liegt einiges an Material", schildert Sonja Walch, die für das Forschungsvorhaben zu Mona Lisa Steiner 2009 mit dem Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften ausgezeichnet worden ist. "Ich werde selbst von Dezember 2013 bis März 2014 in Manila sein, um Archivrecherche zu betreiben und mit den Leuten direkt vor Ort zu sprechen."

Wissenschaft trifft Persönliches

Im Nachlass, der von Walch akribisch für die wissenschaftshistorische Aufbereitung archiviert wurde, finden sich nicht nur die wissenschaftliche Bibliothek und Korrespondenz von Mona Lisa Steiner, sondern auch zahlreiche Notizbücher von Expeditionen, Zettelkataloge, Zeitungsausschnitte, Audioaufnahmen sowie tausende Fotos. Für die botanische Forschung unentbehrliche Herbarbelege übergab Steiner bereits zeitlebens an Michael Kiehn, Leiter des Botanischen Gartens, der sie in das Herbarium der Universität Wien eingliedern ließ.

"Mein persönliches Highlight sind die Feldbücher, in denen sie ihre Expeditionen dokumentiert. Ein authentisches Bild von der Privatperson Mona Lisa Steiner erhält man durch den Briefwechsel mit ihrer Mutter", meint Walch. Sie steht zudem mit den Töchtern der vertriebenen Forscherin in Kontakt, die in Wien und Holland leben und ihr einige Dokumente aus Familienbesitz zur Verfügung stellen. Ein weiterer wichtiger Ansprechpartner ist Michael Kiehn: bei Fragen zur botanischen Forschungsorganisation und tropischen Flora.


Im mittleren Drittel des 20. Jahrhunderts hing die Forschung zur Physiologie und Artenvielfalt von Pflanzen aus (sub)tropischen klimatischen oder geografischen Regionen hauptsächlich von Sammelobjekten aus botanischen Expeditionen ab. Die Sammlung über die philippinische Pflanzenwelt, die Aquarelle und Tuschezeichnungen, die Mona Lisa Steiner mangels fotografischer Möglichkeiten angefertigt hat, ist deshalb umso bedeutender. Im Bild: eine pflanzensystematische Tuschezeichnung aus dem Nachlass. (Foto: AÖAW-Nachlass Mona Lisa Steiner, 17/P-0028-A.)



Botanik und Kalter Krieg


Auf welche Erkenntnisse haben es die WissenschafterInnen abgesehen? "Für mich ist die Person Mona Lisa Steiner ein Knotenpunkt, von dem viele interessante Fragen ausgehen", so Projektleiterin Sachse. Zunächst wäre da einmal der exilhistorische Aspekt: Wie überlebt man auf den Philippinen inmitten des Kriegs im Pazifik? Dann der geschlechterhistorische: Wie kann sich eine Frau in der damaligen Zeit und in dem schwierigen geschichtlichen Kontext beruflich und wissenschaftlich etablieren? Und schließlich der wissenschaftshistorische: Wie hat sich die botanische Forschung seit 1940 bis in die 1960er hinein verändert und entwickelt?

"Eine zentrale Erkenntnis ist, dass damals die Tropenbotanik als eigenes Fach noch gar nicht existiert hat, sondern einfach als Form der botanischen Forschung in den Tropen angesehen wurde. In Österreich hat erst Mona Lisa Steiner diesen Begriff geprägt", erläutert Sachse. "Wir waren zudem sehr überrascht zu sehen, wie stark die Botanik in den Tropen in die Politik hineingewirkt hat", ergänzt Walch: "So stellten wir einen engen Zusammenhang zwischen tropenbotanischer und militärischer Forschung fest. Das gilt sowohl für die Zeit des Zweiten Weltkrieges als auch danach für den Kalten Krieg."


Nach Ende des 2. Weltkriegs gründet Mona Lisa Steiner eine Pflanzenzucht für den Verkauf und Export einheimischer Pflanzen. 1954 schließt sie ihr Botanikstudium an der Universität Wien mit der 1938 nicht mehr eingereichten Dissertation ab. Neben der Gründung botanischer Vereinigungen auf den Philippinen verfasst sie auch zahlreiche Fachartikel und populäre Kolumnen in Zeitungen des Inselstaats. 1962 kehrt die renommierte Botanikerin mit ihrer Familie nach Wien zurück, wo sie sich fortan v.a. der Entwicklung einer vom japanischen Ikebana beeinflussten, speziellen Technik des Blumenarrangements ("Wiener Schule") widmet. Im Alter von 85 Jahren stirbt die Trägerin zahlreicher nationaler wie internationaler Auszeichnungen im Jahre 2000 in ihrer Heimatstadt. Im Bild: Mona Lisa Steiner mit ihrer Rollfilm-Spiegelreflexkamera. (Foto: AÖAW-Nachlass Mona Lisa Steiner, 17/P-0222-A.)



Neuinterpretation von Wissenschaft


Noch ist die Analyse des Nachlasses nicht abgeschlossen. Das ambitionierte Projekt ist erst vor wenigen Monaten gestartet und läuft bis November 2015. "Eines ist aber schon jetzt klar", resümiert Sachse: "Aus Sicht der Wissenschaftsgeschichte reicht es nicht, sich lediglich auf NobelpreisträgerInnen und große wissenschaftliche Durchbrüche zu beschränken. Personen wie Mona Lisa Steiner machen deutlich, wie wichtig es ist, Forschungspraktiken – auch abseits des Mainstreams – in ihren spezifischen politischen Kontexten zu rekonstruieren."


Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter November 2013.
Lesen Sie auch:
Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft
Am Nano-Quanten-Puls der Zeit



Am Beispiel Mona Lisa Steiner werde außerdem ersichtlich, wie gewinnbringend es für die Entwicklung eines Fachs sein kann, wenn traditionelle Methoden mit neuen kreativen Ansätzen verknüpft werden – und sei es aufgrund des Mangels anderer Möglichkeiten. "Steiner hat es trotz der mehr als schwierigen Umstände verstanden, nicht nur die geographischen, sondern auch die kulturellen und fachlichen Grenzen zu überwinden und auf diese Weise die interdisziplinäre Entwicklung im Bereich der Tropenbotanik entscheidend mitzuprägen", fasst Walch abschließend zusammen. (ms)

Das FWF-Projekt "Tropenbotanik im Exil: Mona Lisa Steiner (1915-2000)" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Carola Sachse vom Institut für Zeitgeschichte startete im November 2012 und läuft bis November 2015. Kooperationspartner ist Ao. Prof. Dr. Michael Kiehn vom Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung, Leiter des Botanischen Gartens der Universität Wien. Projektbearbeiterin ist Dr. Sonja Walch, Projektassistent Jason Pollhammer.