Wissen, wie die Koralle wächst

Das Wachstum riffbildender Korallen hängt von mehreren Faktoren ab: Neben Licht, Temperatur und Nährstoffversorgung spielen hier auch die Bewohnung und Beweidung durch wirbellose Tiere und Fische eine Rolle. Zu dokumentieren, wie es um das weltweite Korallenwachstum steht, ist angesichts bestandsbedrohender Phänomene – wie der vermehrt auftretenden "Korallenbleiche" oder sinkender pH-Werte im Ozeanwasser – besonders wichtig. Ein Team rund um Jürgen Herler vom Department für Integrative Zoologie hat nun eine Methode entwickelt, um unbeschädigte Korallen im Feld zu messen, und dazu im "Journal of Experimental Marine Biology und Ecology" publiziert.

In einem laufenden FWF-Projekt untersuchen Jürgen Herler und sein Team den Zusammenhang zwischen dem Wachstum von Korallen und ihrer Besiedelung durch Fischsymbionten (vor allem Meergrundeln). "Es ist denkbar, dass der Fisch seine 'Haus-Koralle' mit Nährstoffen versorgt und gegen Fressfeinde verteidigt – und damit ihr Wachstum beschleunigt", vermutet der Fischbiologe. Um diese These zu bestätigen, muss er aber zunächst einmal die Wachstumsraten messen – eine optimale Methode gab es dafür jedoch bisher nicht: "Lineare Messungen von ganzen Kolonien oder Ästen verzweigter Korallen sind oft ungenau und können das Korallengewebe verletzen", so Herler.

Aber auch die sanftere Methode, bei der im Labor das Auftriebsgewicht von Korallenbruchstücken gemessen wird, hat einige Nachteile: "Dabei wird mit hochpräzisen Waagen mittels Unterflurwägung die Gewichtszunahme über kurze Zeiträume hinweg ermittelt. Das ist sehr aufwändig, und die kurzen Labormessreihen kleiner Korallenteile haben wenig mit dem Wachstum ganzer Korallenkolonien über verschiedene Saisonen oder Jahre hinweg zu tun", kritisiert der Forscher, der trotz intensiver Recherche keine geeignete Methode fand, die eine Messung vollständiger, unbeschädigter Korallen im Feld erlaubt: "Einzig in den 70er Jahren wurde einmal ein Apparat für die Messung im Freiland entwickelt. Der ist aber derart kompliziert, dass er für eine Rekonstruktion nicht in Frage kam."

Neues System entwickelt


Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Markus Dirnwöber machte sich Herler also daran, ein neues System zu entwickeln. "Dazu haben wir die beiden alten und sehr aufwändigen Techniken kombiniert und durch einige Abwandlungen beträchtlich vereinfacht", berichten die Biologen. Anschließend "heuerten" sie Techniker Valentin Perlinger vom Institut für Paläontologie an, der das neue "Hybridsystem" nach ihrer Vorlage baute: Es besteht aus einer speziellen Laborwaage, die – untergebracht in einem Plexiglasgehäuse und auf eine große Messkammer geschraubt – im Meer versenkt wird.

Vorteile bei der Gewichtsermittlung

"Wie gut der neue Apparat zu handhaben ist, hat uns selbst überrascht. Es ist selten, dass ein technisches Gerät am stürmischen Roten Meer genauso funktioniert, wie man es sich im windstillen, trockenen Büro in Wien überlegt hat", freut sich Jürgen Herler. Mit der großen Wiegekammer können Kolonien von bis zu einem halben Meter Durchmesser und mehreren Kilogramm Auftriebsgewicht gewogen werden. Da statt teurer Hochpräzisionswaagen einfachere Laborwaagen zum Einsatz kommen, ist die Methode auch sehr kostengünstig.

Korallentransplantation mit "UHU"

Dennoch war die Entwicklung des Wiegesystems erst die halbe Miete: Für die Durchführung der Messungen vor Ort mussten zuerst einmal die Korallen vom Untergrund abgelöst und auf künstliche, stabile Basen transplantiert werden. "Wir haben uns dafür entschieden, die Nesseltiere möglichst ohne Verletzung des Gewebes vom Korallenfels zu schneiden und mit speziellem Zweikomponenten-Epoxidharz – wie es auch im bekannten UHU-Klebstoff verwendet wird – auf PVC-Platten zu 'picken'. Die Platten werden dann reversibel in größeren Betonbasen im Riff befestigt."

Messungen über längere Zeiträume möglich

Diese vorsichtige Transplantationsmethode ermöglichte nicht nur ungewöhnlich hohe Überlebensraten von über 90 Prozent, sondern erlaubt den Biologen überdies, Messungen über lange Zeiträume hinweg vorzunehmen, da die Korallen während und nach der Messung nicht durch das Hantieren beeinträchtigt werden.

Bedeutung der neuen Methode

Der Nutzen der neuen Methode geht jedoch weit über das aktuelle Projekt hinaus: "Wir wollen ja eigentlich nur wissen, ob Korallenkolonien mit Fischen schneller wachsen als jene ohne Bewohner". Aber Daten zum Korallenwachstum werden von internationalen Forschungsteams für die Beantwortung verschiedenster Fragestellungen, etwa im Bereich Klimaforschung, benötigt. Auch ihre Arbeit wird nun einfacher: Herler und Dirnwöber beschreiben den neuen Apparat in ihrer aktuellen Publikation so genau, dass ihn jeder und jede leicht nachbauen kann. "Es ehrt uns, dass KollegInnen die neue Methode begrüßen, auch wenn sie von Wissenschaftern kommt, die eigentlich nicht vom Fach sind", so der Fischbiologe. Er ist überzeugt, dass die Technik aufgrund ihrer einfachen Handhabung und günstigen Herstellung breite Anwendung finden wird und freut sich schon jetzt auf zahlreiche neue, gut vergleichbare Daten aus aller Welt. (red)


Die Publikation "A simple technique for measuring buoyant weight increment of entire, transplanted coral colonies in the field" erschien im Juli 2011 im "Journal of Experimental Marine Biology und Ecology".

Das dreijährige FWF-Projekt "Anpassungen und Mutualismen zwischen Korallen und Fischen" läuft seit Oktober 2009 unter der Leitung von Dr. Jürgen Herler vom Department für Integrative Zoologie. Projektmitarbeiter ist Doktorand Markus Dirnwöber.