Wirkstoffe aus der Natur

Die Entdeckung und Charakterisierung von Wirkstoffen, die Entzündungsprozesse hemmen, ist das Ziel des kürzlich durch den FWF verlängerten Nationalen Forschungsnetzwerks (NFN) "Drugs from Nature Targeting Inflammation". Insgesamt sind fünf österreichische Universitäten an dem Forschungsnetzwerk beteiligt. Die Koordination liegt bei Hermann Stuppner von der Universität Innsbruck, die Co-Leitung bei Verena Dirsch, der Leiterin des Departments für Pharmakognosie der Universität Wien. Dirsch und ihr Team untersuchen in einem Teilprojekt konkret den Wirkungsmechanismus bestimmter Naturstoffe in Körperzellen.

Die Weidenrinde ist die Quelle von Salizylsäure, dem Ausgangsstoff für die Entdeckung von Aspirin. Statine, die heute in großem Umfang zur Senkung des Cholesterinspiegels im Blut zur Anwendung kommen, wurden ursprünglich in Pilzen entdeckt. Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen, da viele der heute erfolgreichen Arzneimittel auf Naturstoffen basieren. "Die Pharmaindustrie hat die Naturstoffforschung jedoch großteils aufgegeben, da sie aufwendig und langwierig ist", erklärt Verena Dirsch, Leiterin des Departments für Pharmakognosie. Umso wichtiger sei es, dass abseits der Pharmaindustrie Forschung in diese Richtung betrieben wird.

Herzinfarkt und Co

"Das Ziel des Nationalen Forschungsnetzwerks ist es, bestimmte Naturstoffe als Grundlage für neue Wirkstoffe gegen Entzündungen zu finden und gleichzeitig ihren Wirkungsmechanismus zu verstehen", erklärt Dirsch. In sechs Teilprojekten konzentrieren sich die WissenschafterInnen des NFN vor allem auf den Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen, also solche, die das Herz- und Gefäßsystem betreffen. "Die großen 'Volkskrankheiten' sind nach wie vor Herzinfarkt und Schlaganfall, mit dem Ausgangspunkt Arteriosklerose. Dieser Erkrankung liegt ein chronischer Entzündungsprozess zu Grunde. Wir suchen nun konkret nach Naturstoffen, die mit diesen Prozessen interferieren."
Das Konsortium nutzt dabei eine vielfältige Expertise aus den Bereichen der klassischen Pharmakognosie (Phytochemie, Analytik), Botanik, Chemoinformatik, Pharmakologie, vaskulären Biologie, Biotechnologie und Naturstoffsynthese.

Altes ethnobotanisches Wissen

Die Pflanzen und ihre Inhaltsstoffe werden im Rahmen des NFN gezielt ausgewählt: "Wir greifen dabei teilweise auf Wissen aus der Volksmedizin zurück", so Dirsch: "Das Department für Pharmakognosie der Universität Wien verfügt über eine sehr interessante Datenbank mit traditionellem Wissen über bestimmte Arzneipflanzen, das über viele Jahre gesammelt wurde. Darin finden sich noch immer Pflanzen, deren medizinische Wirkung bis heute wenig erforscht ist – genau diese wollen wir näher untersuchen." Die Auswahl der Pflanzen erfolgt auf Basis der genannten Anwendungen in der Volksmedizin und entsprechend dem derzeitigen Stand der Forschung. Je weniger bekannt, umso besser.

Test am Modell

Weitaus aufwendiger ist die weitere Vorgangsweise: Nun muss exakt jener Inhaltsstoff gefunden werden, der für die Wirkung verantwortlich ist. Dazu werden zunächst verschiedene Extrakte aus der Pflanze gewonnen und im Zellkulturmodell getestet; wirksame Extrakte werden weiter fraktioniert. Zudem verfügt die Universität Innsbruck über eine Computer-gestützte Naturstoffdatenbank, die virtuell mit Hilfe von sogenannten Pharmakophormodellen nach wirksamen Substanzen durchforstet (virtuell gescreent) werden kann. Die Datenbank enthält ca. 10.000 dreidimensionale Naturstoffstrukturen, die die WissenschafterInnen auf der Suche nach Wirkstoffen heranziehen können.

Inhaltsstoff gefunden – wie wirkt er?


Verena Dirsch freut sich über die Verlängerung des NFN, da sie und ihr Team sich nun die nächsten drei Jahre auf den Wirkungsmechanismus von bereits isolierten Inhaltsstoffen in Körperzellen konzentrieren können. In ihrem Teilprojekt innerhalb des NFN untersuchen die WissenschafterInnen isolierte pflanzliche Inhaltsstoffe wie Benzofurane, Iridoide oder Lignane auf ihre molekulare Wirkung in der Zelle. "Das Interessante dabei ist, dass wir manchmal Wirkmechanismen finden, die bestimmten Signaltransduktionswegen neue zelluläre Funktionen zuordnen, die vorher so nur wenig oder gar nicht bekannt waren."

Heilpflanze Meisterwurz

Aus der schon seit dem Mittelalter bekannten Heilpflanze "Meisterwurz" – der Leibarzt von Kaiser Ferdinand, J. A. Matthiolus, erwähnt sie 1059 in seinem "Kräuterbuch" – haben die WissenschafterInnen vom Department für Pharmakognosie den Wirkstoff Osthrutin isoliert. Osthrutin, wie weiters gezeigt werden konnte, hemmt erfolgreich das Wachstum glatter Gefäßmuskelzellen: im gesunden Gefäß sind diese normalerweise für die Weit- bzw. Engstellung von Blutgefäßen verantwortlich. Ihre Vermehrung verursacht allerdings Gefäßverengung und trägt damit z.B. zu nachfolgenden akuten Ereignissen, wie einem Herzinfarkt bei. "Das Manuskript über diese Forschungsergebnisse, zu dem fast alle Arbeitsgruppen am Department beigetragen haben, wurde soeben zur Publikation angenommen", freut sich Verena Dirsch. (td)

Das Nationale Forschungsnetzwerk "Drugs from Nature Targeting Inflammation" startete im April 2008. Kürzlich wurde es durch den FWF auf weitere drei Jahre verlängert und läuft seit April 2011 bis April 2014. Die Koordination liegt bei Univ.-Prof. Dr. Hermann Stuppner der Universität Innsbruck, die Co-Leitung bei Univ.-Prof. Dr. Verena Dirsch, der Leiterin des Departments für Pharmakognosie der Universität Wien. Weiters sind in der zweiten Förderperiode die Karl-Franzens-Universität Graz, die Medizinische Universität Wien sowie die Technische Universität Wien in das Netzwerk integriert. Univ.-Prof. Dr. Verena Dirsch und Dr. Elke Heiss (Co-Antragstellerin) leiten im Rahmen des NFN das Teilprojekt "From Cell-based Assays to Molecular Mechanisms".