Wiederaufbau nach der Katastrophe
| 25. Januar 2012Indonesien liegt im sogenannten "Feuerring" und ist besonders oft von schweren Erdbeben betroffen, zuletzt 2005 und 2006. Wie die Wiederaufbaumaßnahmen nach diesen Katastrophen das lokale soziale Gefüge beeinflussen, untersucht ein sozialwissenschaftliches FWF-Projekt.
Heute, sechs bzw. sieben Jahre nach den jüngsten Erdbebenkatastrophen, ist in Indonesien wieder weitgehend der Alltag eingekehrt. Fast alle internationalen Hilfsorganisationen haben das Land verlassen, auch die indonesische Katastrophenhilfe hat ihre Einsätze abgeschlossen. Doch der Wiederaufbau hat Spuren hinterlassen: nicht nur in Form von neu errichteten bzw. renovierten Häusern und Dörfern, sondern auch in veränderten Sozialstrukturen, die mit der neuen Wohnsituation einhergehen.
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter Jänner 2012. Lesen Sie auch: > "Offen für Neues: Förderung des Nachwuchses" (Vorwort von Susanne Weigelin-Schwiedrzik) > "Ist doch logisch, oder?" |
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Diese Wechselbeziehung von Architektur und Gesellschaft im Kontext von Wiederaufbauprogrammen untersucht ein interdisziplinäres Team der Universität Wien und der Technischen Universität Wien in einem aktuellen Joint-FWF-Projekt. Die Projektleitung liegt beim Südostasienexperten Hermann Mückler vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie sowie bei Erich Lehner von der Technischen Universität Wien, zu dessen Forschungsschwerpunkten außereuropäische Architekturtraditionen zählen. Für die inhaltliche Konzeption und Organisation sind die Ethnologin Gabriele Weichart (Universität Wien) und die Vermessungstechnikerin Ulrike Herbig (TU Wien) verantwortlich. Bei den Feldforschungen und Analysen werden sie von weiteren ProjektmitarbeiterInnen unterstützt.
Nias und Yogyakarta
Im Fokus der Forschung stehen zwei sehr unterschiedliche Regionen Indonesiens, die beide stark von Erdbeben betroffen waren: die Insel Nias und die Region Yogyakarta auf der Insel Java. "Nias gilt als sehr ländlich und traditionell und wird in Indonesien gelegentlich als Negativbeispiel genannt, wenn es um den Wiederaufbau geht. Teilweise sind zerstörte Häuser bis heute nicht wiederaufgebaut worden, in manchen Siedlungen fehlt noch immer die Kanalisation. Häufig werden Korruptionsvorwürfe laut. Viele Menschen haben aber auch vom Wiederaufbau und den damit verbundenen Modernisierungsmaßnahmen profitiert", erklärt Weichart die Lage vor Ort.
Wukirsari in Yogyakarta: das traditionelle Haus links hat die Katastrophe besser überstanden als der Neubau rechts, der mit Hilfsgeldern renoviert wurde. (Foto: Marion Rabelhofer) |
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Im oft als "vorbildlich" dargestellten Yogyakarta hingegen habe der Wiederaufbau großteils gut funktioniert: "Ein Erklärungsansatz dafür sind die sehr unterschiedlichen sozio-kulturellen Traditionen in den beiden Regionen. Aber auch die jeweiligen lokalen politischen und ökonomischen Bedingungen und der Gegensatz zwischen Peripherie und Zentrum spielen eine große Rolle."
Lokalaugenschein
Weichart, die bereits einen mehrwöchigen Forschungsaufenthalt hinter sich hat, bringt die Projektziele auf den Punkt: "Wir möchten erfahren, wie die Menschen, die umgesiedelt wurden oder in neu aufgebauten Dörfern leben, selbst ihre Situation einschätzen und welche Rolle lokale Hausbautraditionen spielen." Ihre Daten erhält die Ethnologin durch Interviews und Gespräche mit der lokalen Bevölkerung; Kollegin Ulrike Herbig führt Bauaufnahmen durch und zieht Vergleiche zu traditionellen Hausbauweisen. "Dabei war es uns wichtig, bei den DorfbewohnerInnen untergebracht zu werden. So haben wir Details und Hintergrundinformationen mitbekommen, wie man sie in offiziellen Interviews selten erfährt."
Das Häuptlingshaus im Dorf Hilinawalö Fau in Nias, das mit Hilfsgeldern renoviert wurde. Statt der traditionellen Palmblätter wurde Wellblech für das Dach verwendet. (Foto: G. Weichart) |
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Geoinformationssystem in Planung
Ein Ziel des dreijährigen Projekts ist die Erstellung eines Geoinformationssystems (GIS), das in enger Zusammenarbeit mit KollegInnen der Gadjah Mada University in Yogyakarta und der University of Sumatera Utara entsteht. Es soll neben baulichen und architektonischen Daten ebenso soziologische und kulturelle Informationen beinhalten, die in künftigen Wiederaufbauprogrammen eingesetzt werden können.
Denn häufig werden Hilfsmaßnahmen über die Köpfe der Menschen vor Ort hinweg entschieden und lokale Bedürfnisse – wie Hausbautraditionen oder kulturelle Besonderheiten – nicht berücksichtigt. Etwa wird in gänzlich neu aufgebauten Dörfern, wo ein Haus dem anderen gleicht, die soziale Stellung der DorfbewohnerInnen nicht widergespiegelt. Diese ist aber, wie auch im Westen, für das kulturelle Gefüge der Gemeinschaft wichtig. "Nun ist es spannend zu beobachten, welche neuen Strategien eingesetzt werden, um die eigene Stellung im Dorf hervorzuheben, z.B. durch kleinere Anbauten oder Verzierungen an den Häusern", sagt Weichart.
Ein weiteres Beispiel: In einigen Neubauten in Nias wurden die Küchen – wie in Europa üblich – im Haus installiert. "Doch die lokale Bevölkerung kocht in der Regel draußen und häufig über offenem Feuer", so die Ethnologin. Die neue Datenbank soll ähnliche Fehlplanungen in Zukunft verhindern. "Unsere Forschungen zeigen, dass die Zufriedenheit der betroffenen Menschen umso höher ist, je mehr sie in die Hilfsmaßnahmen eingebunden werden." (td)
Das FWF-Projekt "Architecture, Space, and Society in Post Disaster Built Environments in Indonesia (ASSIP)" unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Mückler vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und Ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Lehner Erich von der Technischen Universität Wien läuft von Jänner 2011 bis Dezember 2013. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen sind Dr. Gabriele Weichart vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und Dipl.-Ing. Dr. techn. Ulrike Herbig von der TU Wien sowie drei DissertantInnen und eine Postdoc-Mitarbeiterin. Projektpartner sind die Gadjah Mada University (UGM), University of North Sumatra (USU), das Museum Pusaka Nias (Indonesien) und das Centre for Asian Studies, IHEID (Genf).