Weniger Schmerz, weniger Mitgefühl
| 10. Juni 2015Wer selbst weniger Schmerzen hat, empfindet auch weniger Mitgefühl mit anderen. Zu diesem Schluss kommen ForscherInnen der Universität Wien rund um den Neuropsychologen Claus Lamm. Sie beobachteten den Effekt bei einer Placebo-Studie, die sie im "Journal of Neuroscience" veröffentlichten.
"Wir konnten erstmals spezifisch den neuronalen Mechanismus zeigen, mit dem Schmerzempfindung und Empathie für Schmerz zusammenhängen", erklärt Claus Lamm, Neuropsychologe an der Universität Wien. Die eigene Schmerzerfahrung stellt für das Gehirn offenbar die Grundlage dar, um Mitgefühl empfinden zu können. Ist diese Erfahrung durch eine Veränderung des Opiat-Haushalts herabgesetzt, werden die Schmerzen anderer als weniger stark eingestuft und das Beobachten als weniger unangenehm empfunden.
Sowohl die StudienteilnehmerInnen als auch die beobachtete Person erhielten kurze Elektroschock-Impulse, entweder mit oder ohne Schmerz-Kontrolle. Dabei benutzten die WissenschafterInnen gar keine echten Schmerzmittel – sondern nur Placebos, die allerdings nachweislich die Schmerzaktivität des Gehirns herabsetzen. "Sie reduzieren den empfundenen Schmerz über die Ausschüttung körpereigener Opiate", so Lamm. "Die Annahme ist, dass der Effekt auch bei echten Schmerzmitteln auftritt, denn Morphin wirkt auf eine ähnliche Weise."
Weitere Studien nötig
Echte Schmerzmittel mit Suchtpotenzial wurden aufgrund ethischer Bedenken nicht eingesetzt. Um den Effekt sicher auch darauf übertragen zu können, wären also weitere Studien nötig. "Das wäre dann auch für den klinischen Bereich interessant", so Lamm. Denn bisher wird nicht untersucht, ob etwa Patienten, die aufgrund chronischer Schmerzen längerfristig entsprechende Medikamente nehmen, auch eine reduzierte Reaktion auf den Schmerz anderer aufweisen.
Bei der Erforschung des offenbar engen neuronalen Zusammenhangs von eigener Empfindung und Empathie ist man mit der aktuellen Studie jedenfalls einen großen Schritt weiter – schon bisher wusste man, dass bei eigenem und fremdem Schmerz die gleichen Areale im Gehirn aktiviert werden. "Nun kennen wir mit größerer Sicherheit den kausalen Mechanismus und haben stärkere Belege dafür, dass teilweise die gleiche neuronale Funktion betroffen ist." Schon bald will das Team um Lamm den nächsten Schritt publizieren: Wenn der Placebo-Effekt durch eine pharmakologische Substanz blockiert wird, ist die Empathie wiederhergestellt. (APA)